Medienberichten zufolge ist es einer der größten Anstürme auf die spanische Exklave Ceuta in der letzten Zeit: Mit selbstgebauten Flammenwerfern und "brutal wie nie zuvor" überwinden mehr als 600 Migranten den Grenzzaun. Spanien findet sich damit plötzlich im Mittelpunkt der Migrationskrise wieder.
Teils mithilfe von Flammenwerfern Marke Eigenbau sind mehr als 600 Migranten am Donnerstag ohne Papiere gewaltsam in die spanische Nordafrika-Exklave Ceuta gestürmt.
Die Grenzbeamten wurden kurz vor Sonnenaufgang überrumpelt, als die Flüchtlinge die gut sechs Meter hohen doppelten Grenzzäune überwinden konnten und EU-Gebiet erreichten, wie ein Sprecher der Vertretung der spanischen Regierung in Ceuta der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Es sei einer der größten Flüchtlingsanstürme der jüngsten Zeit auf die Exklave an der Straße von Gibraltar gewesen, berichteten spanische Medien unter Berufung auf die zuständigen Behörden.
Dabei seien die Migranten - mehrheitlich junge Männer aus westafrikanischen Ländern - so "brutal wie noch nie zuvor" vorgegangen, wurde ein Polizeisprecher von der Nachrichtenagentur Europa Press zitiert.
Angriffe mit Stöcken, Scheren und Flammenwerfern
Die Flüchtlinge hätten die Beamten unter anderem mit Stöcken, Blechscheren und sogar aus Plastikflaschen selbstgebauten Flammenwerfern attackiert, hieß es.
Einige der Männer hätten die Beamten auch mit Branntkalk beworfen, der beim Kontakt mit der Haut gefährliche Verätzungen verursache. Auch Kettensägen seien eingesetzt worden, um die Zäune zu durchschneiden.
Das Rote Kreuz in Ceuta teilte auf Twitter mit, man habe nach dem Ansturm 592 Migranten und 22 Polizisten ärztlich betreut. Im spanischen Fernsehen sah man viele Flüchtlinge mit Schnittwunden, die sie sich mutmaßlich an den messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen zugezogen hatten.
Elf Migranten und vier Beamte seien in ein Krankenhaus in Ceuta gebracht worden, so das Rote Kreuz.
Das spanische Fernsehen berichtete, die Migranten hätten einen toten Winkel der Überwachungskameras an den 8,4 Kilometer langen Zäunen ausgenutzt, um die wachhabenden Beamten zu überraschen.
Den Angaben zufolge versuchten Hunderte weitere Migranten, ebenfalls über die Grenzzäune zu klettern. Sie seien aber von spanischen und marokkanischen Beamten daran gehindert worden.
Erstaufnahmezentrum schon zuvor völlig überfüllt
Den Berichten zufolge liefen die meisten der Migranten nach der erfolgreichen Aktion ins Erstaufnahmezentrum in Ceuta. Vor den Kameras des spanischen Fernsehens versammelten sich Dutzende jubelnde Afrikaner. Sie schwenkten Fahnen und T-Shirts, reckten die Arme in die Höhe und skandierten "Bossa, bossa, bossa" (Sieg, Sieg, Sieg).
Die Realität, die die Flüchtlinge in Ceuta erwartet, ist derweil alles andere als paradiesisch. Nach Medienberichten war das Erstaufnahmezentrum der Exklave mit rund 600 Insassen schon zuvor völlig überfüllt.
In den von verschiedenen Organisationen scharf kritisierten Erstaufnahmezentren müssen die Flüchtlinge in Spanien monatelang - oft über ein Jahr lang - ausharren, bis sie aufs Festland dürfen. Menschenrechtler berichten von Misshandlungen und Diskriminierung.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mitgeteilt, dass Spanien zum neuen Hauptziel der illegalen Migranten geworden sei. Seit Jahresanfang seien mehr als 22.700 Flüchtlinge über die westliche Mittelmeer-Route in Europa angekommen.
Flüchtlingskrise in Spanien bisher kein großes Thema
Die Flüchtlingskrise war bis vor kurzem in der spanischen Öffentlichkeit noch kein großes Diskussionsthema. Nach dem Ansturm vom Donnerstag warf die Parlamentssprecherin der liberalen Partei Ciudadanos, Melisa Rodríguez, dem neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez "Vernachlässigung der Pflichten" vor.
Man könne ein Land "nicht mit Gesten regieren", sagte sie. Madrid hatte unter anderem angekündigt, die umstrittenen messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen entfernen zu wollen.
Spanien verfügt in Nordafrika über zwei Exklaven, die beide von Marokko beansprucht werden: Ceuta an der Meerenge von Gibraltar und das 250 Kilometer weiter östlich gelegene Melilla.
In der Nähe der beiden Gebiete harren Zehntausende notleidende Afrikaner vorwiegend aus Ländern südlich der Sahara auf eine Gelegenheit, in die EU zu gelangen. (dh/dpa)
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