Ausgerechnet die Türkei könnte die Lösung der Flüchtlingskrise in Europa bringen. Beim gestrigen EU-Gipfel haben sich die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsstaaten auf einen Aktionsplan mit dem Nachbarland vor Europas Toren geeinigt. Zwar müssen noch Details geklärt werden, doch die Marschrichtung steht. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten hier zusammengefasst.
Worauf hat man sich denn nun geeinigt?
Die Türkei wird die Europäische Union bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise unterstützen. Dazu sind verschiedene Schritte vereinbart worden, die in den kommenden Tagen noch genauer ausgearbeitet werden sollen. In Ankara hatte sich eine Brüsseler Delegation mit den Vertretern der türkischen Regierung darauf geeinigt, dass die Türkei mehr als zwei Millionen – zumeist syrische – Flüchtlinge registriert. Wenn Aussicht auf Asyl in der EU besteht, sollen diese Menschen Papiere bekommen, mit denen sie legal in die Union einreisen dürfen. Zugleich verspricht Staatschef Recep Tayyip Erdogan, seine Grenzen nach Europa schärfer zu kontrollieren, um die illegale Zuwanderung einzudämmen. Außerdem sagte die Regierung zu, sich künftig aktiv am Kampf gegen die Schleuser zu beteiligen. Bislang hatte Ankara diese weitestgehend gewähren lassen – als Druckmittel gegen Europa. Wer in der Türkei bleibt, soll künftig auch arbeiten dürfen – als weiterer Anreiz für Flüchtlinge, nicht zu bleiben.
Was wurde aus der geplanten Schutzzone in Nordsyrien?
Erdogan hat schon früher von der Schaffung einer solchen Pufferzone im Norden Syriens gesprochen. Dort könnten sechs Flüchtlingslager entstehen, um die derzeit gut acht Millionen Syrer, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, zumindest teilweise aufzunehmen und Schutz im eigenen Land zu bieten. Damit diese Zone entstehen könnte, bräuchte es aber die Unterstützung der Vereinten Nationen. Die Europäische Union könnte sich allenfalls finanziell beteiligen.
Wie viel würde die EU zahlen?
Erdogan fordert für seine Unterstützung drei Milliarden Euro. Eigentlich stand dafür gestern Abend auch schon die Zusage. Doch die Staats- und Regierungschefs trauen dem Land nicht, das nicht nur gegen die Terrormiliz IS, sondern auch gleich gegen die kurdische Minderheit und die verbotene Arbeiterpartei PKK vorgeht. Erst wenn Ankara die versprochenen Schritte auch in die Tat umsetzt, will man über mehr Geld reden. Bis dahin bleibt es vorerst bei 500 Millionen Euro zusätzlich zu einer Milliarde Euro, die die Türkei bereits aus Europa bekommen hat. Dabei hat das Nachbarland Syriens bereits mehr als zwei Millionen Flüchtlinge bei sich aufgenommen und dafür in den vergangenen Jahren sieben Milliarden Euro ausgegeben. Stärkere finanzielle Hilfe aus Europa wird dort dringend gebraucht.
Was bedeutet die Entscheidung für die Türkei?
Die seit Jahren ins Stocken geratenen Verhandlungen mit der Türkei als EU-Beitrittskandidat sollen "neuen Schwung" bekommen. Ein Prozess, dem Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nur zähneknirschend zugestimmt haben dürfte: Denn bei seinem Amtsantritt hatte der Luxemburger noch betont, dass die Union sich in den kommenden Jahren nicht vergrößern werde. Doch ein schneller Beitritt der Türkei bleibt nach wie vor unwahrscheinlich: Die Verhandlungen laufen seit zehn Jahren eher zäh, nur 13 von insgesamt 35 Kapiteln werden derzeit verhandelt. Acht wurden eingefroren und wohl erst wieder aufgetaut, wenn die Türkei Zypern als EU-Staat anerkennt.
Abgesehen von der aufgefrischten Beitrittsperspektive hat sich der türkische Staatschef mit seiner Forderung nach Visaerleichterungen für seine Bürger durchgesetzt.
Was hat Europa davon?
Gelingt es tatsächlich, alles in die Tat umzusetzen, wäre der Europäischen Union gleich in zwei Punkten geholfen. Zum einen müssten die Hilfesuchenden sich nicht mehr in die Hände von Schleusern begeben, die sich an ihrer Not bereichern und gleichzeitig das Leben dieser Menschen aufs Spiel setzen. Zum anderen erhofft man sich von der Zusammenarbeit, den Zustrom von Flüchtlingen besser regulieren zu können. Dazu trägt bei, dass die Türkei sich bereit erklärt hat, jene Menschen bei sich aufzunehmen, deren Asylantrag in der EU abgelehnt wurde.
Dafür müsste die Türkei allerdings von den EU-Staaten als sicheres Herkunftsland anerkannt werden, was bisher nicht der Fall ist.
Wie geht es jetzt weiter?
Bundeskanzlerin Angela Merkel reist am Sonntag nach Ankara, um Staatschef Erdogan zu treffen und über Details zu sprechen. Auch die EU-Kommission will in den kommenden Tagen weiter verhandeln. Einen Zeitplan gibt es aber noch nicht. Doch Europa drängt auf schnelles Handeln. Ratspräsident Donald Tusk appellierte daher an Erdogan: "Wenn Sie uns helfen, helfen wir Ihnen".
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