Aktuell wird in Deutschland wieder hitzig darüber diskutiert, wie die Integration von Zuwanderern gelingen kann. Doch was ist überhaupt "gelungene Integration"? Ist sie nur Sache der Zuwanderer? Und was passiert, wenn sie scheitert?
Die sexuellen Übergriffe in vielen deutschen Städten an Silvester haben die Diskussion noch einmal befeuert, neu ist sie indes nicht.
Doch mit der Flüchtlingskrise ist die Frage, wie Integration gelingen kann, aktueller denn je.
Zu den am häufigsten ausgesprochenen Empfehlungen zählen: Zuwanderer sollen schnell Deutsch lernen, schnell einen Job finden, schnell raus aus den Sammelunterkünften.
Doch die Probleme, vor denen vor allem Flüchtlinge etwa bei der Arbeitssuche stehen, sind groß.
Zudem wird oft außer Acht gelassen, welche Rolle die Einheimischen bei der Integration spielen können und müssen.
Einen Job zu finden, gilt neben den Sprachkenntnissen als eines der Schlüsselelemente auf dem Weg zur Integration. Allerdings stehen hier auf diesem Weg mit die größten Hürden.
Carola Burkert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kennt sie: "Die Probleme sind vor allem fehlende deutsche Sprachkenntnisse sowie unzureichende Qualifikationen und fehlende Zeugnisse. Manchmal sind sogar Zeugnisse vorhanden, aber es ist schwierig, sie auf das deutsche System zu übertragen", sagt die Sozialwissenschaftlerin.
Hinzu komme, dass Flüchtlinge häufig traumatisiert seien und die oft lange Unsicherheit über ihren Aufenthaltsstatus sie für Arbeitgeber nicht gerade attraktiv mache.
Arbeitsverbot in ersten drei Monaten
Grundsätzlich dürfen Asylbewerber und sogenannte Geduldete in den ersten drei Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht arbeiten.
Ab dem vierten Monat dürfen sie sich bewerben, es wird aber geprüft, ob es bevorrechtigte Bewerber gibt. Nicht selten bekommt dann auch tatsächlich ein anderer Mitbewerber den Job.
Diese Vorrangprüfung fällt vom 16. Monat an weg, ab diesem Zeitpunkt sind die Einschränkungen für Zuwanderer gering.
Die Erfahrung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zeigt aber, dass es im ersten Jahr nach der Ankunft in Deutschland nur jeder Zehnte in den Arbeitsmarkt schafft.
Nach fünf Jahren ist es dann jeder Zweite, nach zehn Jahren mehr als zwei Drittel.
"Das dauert viel zu lange", sagt Carola Burkert. Die ersten Jahre seien für die Integration entscheidend und die Arbeit ein wichtiger Integrationsmotor.
"Mit einem ausreichenden Einkommen kann die Lebensplanung eigenständig gestaltet werden, man hat das Gefühl, einen produktiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Zudem ist Arbeit - nicht nur für Zuwanderer - wichtig für den sozialen Status."
Flüchtlinge sind nicht nur Arbeitskräfte
Wenn es um die Frage geht, wie Deutschland von Zuwanderern profitieren könne, lautet die Antwort häufig, dass Zuwanderer der Gesellschaft mit ihrer Arbeitskraft und in der Folge mit Steuern und Sozialbeiträgen nutzen würden.
Der Politologe Hidir Celik verweist hierbei auch auf den Fachkräftemangel: "Viele der Flüchtlinge sind junge Menschen und wir haben derzeit in Deutschland viele unbesetzte Lehrstellen, zum Beispiel im Pflegebereich. Sie könnten diese Lücken schließen."
Flüchtlinge sind aber mehr als nur Arbeitskräfte - und so geht der Beitrag der Zuwanderung über die rein wirtschaftlichen Aspekte hinaus.
"Natürlich öffnet der Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturkreisen auch das eigene Denken", sagt Celik, der als Leiter der EMFA (Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn) viel mit Flüchtlingen und Einheimischen zu tun hat.
Und dieses Öffnen des eigenen Denkens beträfe nicht nur Individuen, sondern die gesamte Gesellschaft.
"Vielfalt ist erstrebenswert und produktiv", sagt der Migrationshistoriker Jochen Oltmer. "Und zwar vor allem, weil das immer neue Aushandeln gemeinsamer Werte eine Gesellschaft dazu zwingt, eigene Denkmuster und Weltanschauungen kritisch zu hinterfragen."
Oltmer findet es wichtig, dass ein Staat sich selbst nicht als zu homogen vorstellt. Denn in einem homogenen Staat gäbe es einen großen Druck auf Minderheiten, der sich in Gewalt gegen diese Minderheiten äußern würde.
Oltmer glaubt, dass Integration - er verwendet lieber den Begriff "Teilhabe" - gelingen kann, wenn sich Zuwanderer um Teilhabe bemühten, ihnen aber auch gezeigt werde, dass sie in der "Aufnahmegesellschaft" anerkannt würden.
Mit Deutschen auf Augenhöhe
Diese Anerkennung ist auch aus Sicht der Soziologin Annette Treibel extrem wichtig. "Einwanderer wollen von den länger im Land ansässigen Deutschen auf Augenhöhe angesprochen werden", sagt sie.
Dazu gehöre zum Beispiel, dass man "den Herkunftstalk durch Smalltalk" ersetze - also bei jemandem mit dunkler Hautfarbe etwa nicht als erstes frage: "Woher kommen Sie?" und vielleicht gleich noch: "Wann gehen Sie wieder zurück?"
Solche Fragen seien ein subtiler Versuch, eine Rangordnung festzulegen.
Treibel, das macht auch dieses Beispiel deutlich, sieht Integration als Aufgabe für alle - vor allem auch für die Einheimischen.
Im September hat sie ein Buch mit dem Titel "Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland" veröffentlicht, in dem sie die Rolle von Einheimischen bei der Integration herausstellt.
Kein Königsweg zur Integration
Natürlich trügen ein Job, eine gute Ausbildung und Sprachkenntnisse dazu bei, dass das Zusammenleben von Zuwanderern und Deutschen funktioniere, so Treibel. Da seien die Zuwanderer in einer gewissen Bringschuld.
Es sei aber auch sehr deutlich, dass Deutschland zwar de facto ein Einwanderungsland sei, aber viele seiner Bewohner darauf nicht eingestellt seien - und auch gar nicht wollten, dass Zuwanderer sich integrierten, weil diese eine gefühlte Konkurrenz darstellen würden.
Mit einer, wie von der CDU geplanten, Integrationsverpflichtung lässt sich das Problem aus Treibels Sicht nicht lösen. Deutschland brauche vielmehr ein Einwanderungsgesetz mit einer Einwanderungsquote für qualifizierte Migranten.
Dass die Integration in Deutschland aber scheitern könnte, befürchtet die Soziologin Annette Treibel nicht.
Die Konflikte und Debatten, wie sie auch nach den Vorfällen an Silvester nun aufbrechen, seien eher heilsam, "weil sie uns zwingen zu überlegen, wie wir miteinander leben wollen".
Migrationshistoriker Jochen Oltmer sieht das ähnlich. Es gehe um ein Aushandeln gemeinsamer Werte. "Allerdings muss dieses Aushandeln gewaltfrei laufen." Das hängt aus seiner Sicht vor allem mit der wirtschaftlichen Situation zusammen.
"In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, das zeigt die Geschichte, werden die Diskussionen, werden die Verteilungskämpfe harscher - und Unterschiede zwischen Eingewanderten und Einheimischen gewinnen dann an Bedeutung."
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