FPÖ-Chef Herbert Kickl wurde mit der Bildung einer Regierung zusammen mit der ÖVP beauftragt. Sollte diese zustande kommen, hätte das nicht nur für Österreich tiefer greifende Konsequenzen.
Nach dem überraschenden Ende der Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos in Österreich sieht es ganz danach aus, dass die FPÖ zusammen mit der ÖVP koalieren und mit Herbert Kickl der erste FPÖ-Kanzler der Geschichte Österreich regieren wird.
Wie ist dieser Sinneswandel der ÖVP zu erklären? Unsere Redaktion hat unter anderem darüber und was ein Kanzler Kickl für Deutschland beziehungsweise die EU bedeuten könnte, mit Markus Wagner, Professor für Quantitative Parteien- und Wahlforschung am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, gesprochen.
Herr Wagner, wie kam der plötzliche Gesinnungswandel der ÖVP zustande? Bis vor kurzem haben Spitzenpolitiker wie der neue Parteichef Christian Stocker noch erklärt, mit
Markus Wagner: Zwei Gründe waren wohl ausschlaggebend: Einerseits werden die Umfragewerte für die ÖVP immer schlechter. Die Befürchtung war wohl, dass sich das unter einer Dreierkoalition nur fortsetzen würde, da ja auch Sparen angesagt ist.
Und was noch?
Andererseits gibt es jetzt in der Steiermark eine Länderregierung unter FPÖ-Führung, die relativ gelassen aufgenommen wurde. Eine Dreierkoalition zu akzeptieren, war immer unattraktiver.
Inwiefern hat sich hier auch etwas bei der ÖVP verändert seit der vergangenen Woche?
In der ÖVP sind die Stimmen lauter geworden, die Kickl als Kanzler akzeptieren würden und die die Umsetzung des Wirtschaftsprogramms als wichtiger ansehen als mögliche demokratie- und außenpolitische Konsequenzen.
Kurzzeitig war Sebastian Kurz im Gespräch als neuer ÖVP-Chef. In Deutschland hat das Kopfschütteln hervorgerufen aufgrund der Verfahren, die nach wie vor gegen ihn laufen. Inwiefern ist er politisch rehabilitiert?
Er ist noch nicht politisch rehabilitiert. Es ist unsicher, wie beliebt er wäre, wenn er zurückkäme – auf die Höhen seiner Kanzlerschaft wird er es kaum wieder schaffen.
Aber?
Wenn die Verfahren gegen ihn beendet sind, könnte er zurückkommen, und das erscheint im Moment auch als wahrscheinlich.
Wie wahrscheinlich ist es, dass nun eine Koalition aus ÖVP und FPÖ zustande kommt?
Diese Option ist mittlerweile sehr wahrscheinlich, da die andere Option – Neuwahlen – für die ÖVP noch weniger attraktiv ist.
Herbert Kickl hat die Regierung von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán als Vorbild für Österreich bezeichnet. Was bedeutet ein Kanzler Kickl für Österreich?
Das ist noch nicht ganz abzusehen und hängt von der Art der Koalition ab.
Was ist bereits jetzt erkennbar?
Es wird auf jeden Fall ein strammer Rechtskurs, vor allem in der Migrationspolitik, mit einer Rücknahme von klimapolitischen Maßnahmen. Wirtschaftspolitisch wird es sehr liberal zugehen. Die offene Frage ist, inwiefern die FPÖ auch außen- und EU-politisch das Sagen haben wird – da sind die Einstellungen der FPÖ ja sehr anders als die der ÖVP.
Sie sprechen es bereits an. Herbert Kickl hat sich für ein Ende der Russland-Sanktionen ausgesprochen. Welche Folgen hätte seine Kanzlerschaft für die EU-Außenpolitik und die gemeinsame Ukraine-Politik?
Das kommt darauf an, was mit der ÖVP vereinbart wird. Tendenziell sieht es aber so aus, also ob der russlandfreundliche Block in der EU weiter wachsen wird. Es wird auf jeden Fall schwerer werden für die EU, hier zu einer gemeinsamen Linie zu finden.
Bisher ist die FPÖ immer durch einen Knall aus der Regierung ausgeschieden, zuletzt durch die bekannte Ibiza-Affäre, die auch die ÖVP in eine Krise gestürzt hat. Ist bei einer erneuten Koalition aus ÖVP und FPÖ etwas ähnliches zu erwarten?
Das wird man sehen müssen. Die Personaldecke in der FPÖ ist immer noch eher dünn, da sind Fehler durch mangelnde Erfahrung oder Kompetenz möglich. Andererseits managt Kickl seine Partei viel professioneller als Strache.
Was könnten mögliche Konfliktlinien zwischen ÖVP und FPÖ sein?
Die wichtigsten Konfliktlinien sind wohl in der EU- und Außenpolitik, sowie auch in der Rolle von Justiz und Polizei, wo es ja auch schon 2017 bis 2019 ziemlich geknallt hat zwischen den Parteien.
In Deutschland gibt es Stimmen, die einer Regierungsbeteiligung der AfD entgegensehen und sagen, dass die Rechtspopulisten sich dann schon selbst entzaubern werden. Ist so etwas bei der Regierung Kickl zu erwarten?
Bisher war es immer so, dass die FPÖ bei einer Regierungsbeteiligung stark an Zuspruch verloren hat. Man muss also erwarten, dass sie zumindest etwas an Beliebtheit verlieren werden, zumal jetzt auch etliche Sparvorhaben umgesetzt werden müssen.
Über den Gesprächspartner
- Markus Wagner ist Professor für Quantitative Parteien- und Wahlforschung am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.
Verwendete Quelle
- Einschätzung von Markus Wagner
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