Die Einführung einer Vier-Tage-Woche sorgt für Diskussionen. Was spricht in der Industrie aber eigentlich dagegen?
Vor knapp einem Monat hatte die Gewerkschaft IG Metall erklärt, sie fordere bei den im November beginnenden Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie eine Viertagewoche – bei vollem Lohnausgleich.
Der Verhandlungsführer der IG-Metall in der nordwestdeutschen Stahlindustrie, Knut Giesler, sagte selbstbewusst der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" [Bezahlinhalt]: "Wir wollen eine echte Entlastung für die Beschäftigten erreichen, ohne dass sie deshalb weniger verdienen."
Beschäftigte hätten durch die Viertagewoche mehr Lebensqualität. Auch sei eine Viertagewoche förderlich für die Gesundheit der Stahlarbeiter. Konkret schwebt Giesler für die Einführung der Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie die Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden vor.
Dies sei in der Verwaltung und im Zwei-Schicht-Betrieb allerdings deutlich einfacher umzusetzen als im sogenannten Drei-Schicht-Betrieb. Zugleich sei die Vier-Tage-Woche auch eine Möglichkeit, die im Zuge des grünen Umbaus der Stahlindustrie zu erwartenden Arbeitsplatzverluste zu verhindern.
Forderung löst auf Arbeitgeberseite Kopfschütteln aus
Gieslers "Chef", IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, rechnet nach eigenen Angaben damit, dass mit der Viertagewoche das Arbeitsvolumen insgesamt gesteigert werde. "Elf Millionen Beschäftigte, meist Frauen, arbeiten in Teilzeit. Das sind fast 30 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, das ist mit der höchste Anteil in Europa", sagte er "Bild am Sonntag".
Wenn nur noch 32 Stunden gearbeitet werden müsste, seien mehr Frauen bereit, in Vollzeit zurückzukehren, weil das Modell auch mit Familie funktioniere.
Während die bisherigen Rückmeldungen aus den Stahlbelegschaften laut Giesler ausgesprochen positiv sind, löst die Forderung auf Arbeitgeberseite Kopfschütteln aus.
"Die Forderung kommt schlicht zur Unzeit"
Für Gerhard Erdmann, Geschäftsführer des Stahlerzeugers Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) mit Sitz in Duisburg, stellt sich die Lage anders dar; die Forderung der Gewerkschaft sei nicht zu realisieren. "Die Forderung kommt schlicht zur Unzeit", sagte Erdmann im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die viel zitierte ökologische und klimaneutrale Transformation der emissionsstarken Stahlindustrie wird derzeit diskutiert und vorbereitet. Dies bedeutet Erdmann zufolge, dass die Stahlunternehmen neue Fabriken bauen und in Betrieb nehmen müssen. Dies sei ein erhebliches Mehr an Arbeit. Eigentlich müsste man angesichts des Fachkräftemangels nicht von Arbeitszeitverkürzungen, sondern von einem Mehr an Arbeitszeitbedarf sprechen. "Aktuell gibt es keine Möglichkeit, die Arbeitszeit um 8,5 Prozent zu verkürzen und noch weiter zu verteuern."
"Wir brauchen noch mehr Flexibilität bei der Regelung von etwaiger Mehrarbeit"
Einem Unternehmen mit 5.000 Beschäftigten etwa entzöge eine Arbeitszeitverkürzung um 8,5 Prozent das Arbeitszeitäquivalent von 420 Mitarbeitenden. Das sei organisatorisch und finanziell nicht zu verkraften. Hinzukämen die existenzbedrohend hohen Energiekosten.
Erdmann skizziert ein Bild einer Kostenexplosion für die Stahlarbeitgeber, sollte die Viertagewoche Realität werden. "Wir müssten zehn Prozent mehr Leute einstellen. Das ist nicht zu stemmen – weder personell noch organisatorisch."
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Für das traditionsreiche Stahlunternehmen mit knapp 3.000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von etwa drei Milliarden Euro, das sich dem grünen Stahl verschrieben hat und für diese "Transformation" öffentliche Fördergelder benötigt, ist aber auch klar, dass es im Kampf um Arbeits- und vor allem Fachkräfte weiterhin attraktiv bleiben muss. "Wir investieren in die Qualifizierung und in die Gesundheit unserer Mitarbeitenden und brauchen noch mehr Flexibilität bei der Regelung von etwaiger Mehrarbeit."
Erdmann: Branche "attraktiv" und "gut" bezahlt
Generell betont Erdmann, dass die Branche bereits "attraktiv" sei und "gut" bezahle. Viele junge Menschen hätten Lust, diesen Transformationsprozess, an dessen Ende 2045 die Stahlindustrie vollständig dekarbonisiert sein soll, zu begleiten.
Studien aus England haben gezeigt, dass die Produktion, Umsätze und Erträge auch bei einer Viertagewoche nicht leiden und die Mitarbeitenden glücklicher und gesünder sind. Erdmann meint, dass diese britischen Studien nicht übertragbar seien auf den Industriesektor. "Diese Studien greifen in der Industrie eindeutig zu kurz."
Seine Begründung: "An der viel zitierten britischen Studie hat kein einziges Industrie- und erst recht kein Stahlunternehmen teilgenommen. Anders als im Dienstleistungsbereich, in dem man ohne technische Schwierigkeiten am Wochenende das Büro abschließen kann, können die kontinuierlichen Prozesse in weiten Teilen der Stahlindustrie übers Wochenende nicht einfach abgeschaltet werden." Kokereien, Hochöfen und Stahlwerke liefen im Prinzip an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden am Tag.
Kritik kommt auch von der Union und FDP
Unterstützung erhält Erdmann naturgemäß vom Arbeitgeberverband BDA und aus der FDP und Union. "Deutlich weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich – wirtschaftlich ist das eine Milchmädchenrechnung", sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter der "Bild am Sonntag". Auch Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius ist dagegen. "Wenn unsere erste Priorität ist, bei vollem Lohnausgleich weniger zu arbeiten, gewinnen wir international kein Spiel mehr", sagte Källenius der gleichen Zeitung.
Von Union und FDP kommt ebenfalls Kritik an der Idee der Viertagewoche. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), etwa warnte im "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt], dies werde Deutschlands Wirtschaft schaden. Die FDP warnte davor, dass die Viertagewoche auf viele Bereiche nicht übertragbar sei.
Eine flächendeckende Einführung der kürzeren Arbeitswoche hält auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) derzeit für nicht zielführend.
Verwendete Quellen:
- waz.de: IG Metall will die vier Tagewoche im Stahl durchsetzen,
- bild.de: Wir brauchen die Vier-Tage-Woche
- bild.de: "Falsches Signal!" Arbeitgeber gegen Vier-Tage-Woche
- tagesspiegel.de: "Eine Milchmädchenrechnung": Arbeitnehmervertreter fordern Viertagewoche – Arbeitgeber dagegen
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