Jakob Blasel ist einer der Köpfe der Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der 19-Jährige, warum Klimaaktivisten die Bundesregierung verklagen, wie aus seiner Sicht das Land umgebaut werden sollte und warum er trotz allem auf Siemens setzt.

Ein Interview

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Seit gut einem Jahr sorgen die Klimaaktivisten von Fridays for Future (FFF) deutschland- wie weltweit für Aufsehen. Jakob Blasel ist seit Anfang an dabei und einer der Sprecher der Bewegung in Deutschland.

Der 19-Jährige und seine meist ebenso jungen Mitstreiter wollen in diesem Jahr verstärkt Unternehmen ins Visier nehmen. Erst vergangene Woche hatte FFF mit bundesweiten Protesten versucht, eine geplante Lieferung von Siemens in ein Kohlebergwerk in Australien zu verhindern. Im Februar wollen Klimaaktivisten auf der Aktionärsversammlung des Konzerns demonstrieren.

Parallel soll der Druck auf die Bundesregierung mit mehreren Verfassungsbeschwerden erhöht werden. Welche Aktionsformen am erfolgsversprechendsten scheinen, warum ein klimafreundlicher Umbau des Landes nicht zwangsläufig Arbeitsplätze kosten wird und warum er trotz allem auf Siemens hofft, erklärt Klimaaktivist Blasel im Interview mit unserer Redaktion.

Klimaaktivisten haben vergangene Woche drei Beschwerden am Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung und den Bundestag eingereicht. Demnach verstoße das im Dezember verabschiedete Klimaschutzgesetz gegen das Grundgesetz. Wie sehen Sie das?

Jakob Blasel: Ich unterstütze das Vorhaben, das ist eine kluge Sache. Auch 2020 braucht die Klimabewegung eine große Bandbreite an Aktionsformen.

Und die Klagen werden erfolgreich sein?

Die Erfolgschancen sind gar nicht mal so schlecht. In den Niederlanden hat aktuell eine Verfassungsklage dazu geführt, dass die dortige Regierung ihre Klimaschutzbemühungen verstärken musste. Für uns ist es nun ein weiter Weg. Den mussten wir aber einschlagen, weil die Große Koalition nichts unternimmt, um die CO2-Emissionen zeitnah und dauerhaft zu senken.

Was wirft Fridays for Future der Bundesregierung konkret vor?

Im Kern geht es um das Recht auf Unversehrtheit und die Fürsorgepflicht des Staates. Beides wird aus unserer Sicht durch das Kilmapaket verletzt. Schlussendlich sind die Grundrechte der Klägerinnen und Kläger – darunter unter anderem Luisa Neubauer und Linus Steinmetz von Friday for Future – persönlich bedroht. Uns haben sich auch einige vom Klimawandel bereits massiv betroffene Menschen aus Bangladesch und Nepal angeschlossen. Sie klagen darauf, dass ihr Eigentum aufgrund der gescheiterten Klimapolitik zerstört wird.

Die Verfassungsklage zielt nicht darauf ab, die Klimaziele direkt anzuheben. Es gibt keinen direkten rechtlichen Konsequenzen im Erfolgsfall. Dennoch steht dann die Bundesregierung unter Zugzwang.

"Wir werden alle demokratischen Mittel voll ausschöpfen"

Sind Klagen der letzte Ausweg für Fridays for Future, um nach einem Jahr Demonstrieren Veränderungen zu erreichen?

Die Lage ist so brenzlig und so akut, dass wir alle demokratischen Mittel voll ausschöpfen, um die Klimakrise zu stoppen.

Das fängt damit an, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Und es geht weiter, an die Verantwortung von Unternehmen zu appellieren. Siemens darf verdammt nochmal nicht die Technik für eine der weltweit zerstörerischsten Kohleminen bereitstellen, der australischen Adani-Mine.

Stichwort Siemens: Konzernchef Joe Kaeser hatte verkündet, weiterhin an dem Australien-Projekt festzuhalten.

Wir werden nicht locker lassen. Es kann nicht sein, dass wir nur eine Woche laut sind und Siemens denkt, die Sache wäre dann erledigt. Wir werden mit Tausenden am 5. Februar vor der Hauptversammlung in München protestieren. Nicht nur der Vorstand trägt die Verantwortung, sondern auch alle Shareholder der Aktiengesellschaft. Jeder einzelne muss mit seinem Gewissen ausmachen, wie Siemens handelt.

Aber ist das Unternehmen nicht nur ein kleines Rädchen in dem Projekt? Es geht schließlich nur um ein Auftragsvolumen von 18 Millionen Euro und eine Zugsignal-Anlage.

Wir glauben, Siemens hat großes Veränderungspotential. Der Konzern könnte tatsächlich jetzt noch etwas bewegen und einlenken.

Wir dürfen zudem nicht vergessen: Siemens ist für die Minenbetreiber elementar wichtig. Die australischen Sicherheitsstandard für Signalanlagen sind vergleichsweise hoch. Diese können laut "FAZ" nur drei große Unternehmen erfüllen – und zwei davon haben aber bereits abgesagt.

Die Hoffnung, dass sich Siemens umentscheidet, ist also noch nicht verloren?

Bei Siemens ist auf jeden Fall das Potenzial da, dass Unternehmen umzustellen und den Fokus nur noch auf Zukunftstechnologien zu setzen. Das Gegenbeispiel ist RWE: Der Energiekonzern hat sich das zwar auch vorgenommen, doch aus meiner Sicht ist es bei RWE nahezu unmöglich, dass Unternehmen in kurzer Zeit klimaneutral umzubauen. Bei Siemens scheint uns das machbar. Es fehlt nur am Willen.

"Reiner PR-Gag von Siemens"

Besteht nicht schnell die Gefahr, dass gerade Großunternehmen nur öffentlich vorgeben, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, und viele Aktionen nicht mehr als Greenwashing sind?

Viele Unternehmen sind tatsächlich schon auf diesen Zug aufgesprungen. Aber es ist wie in der Politik: Wenn es darum geht, etwas konkret umzusetzen, auf einen kleinen Auftrag zu verzichten, um klimatechnische Projekte nicht zu ermöglichen, dann ziehen sich viele zurück. Künftig werden CEOs und Aktienbesitzer die Verantwortung tragen, auch unangenehme Projekte zu verwirklichen, wenn sie unser aller Zukunft dienen. Unternehmensverantwortung sollte nicht nur ein Lippenbekenntnis sein.

Joe Kaeser hatte Luisa Neubauer einen Sitz im Siemens-Aufsichtsrat angeboten, sie lehnte ab. Hätte sie das Angebot angenommen, hätte sie doch den Weg des Unternehmens mitbestimmen können.

Ich hätte mich genauso entschieden. Sie wäre nur eine von vielen Entscheiderinnen und Entscheidern gewesen, die bei klimakritischen Abstimmungen wohl sehr schnell überstimmt worden wäre.

Luisa hat den Sitz aber auch deshalb abgelehnt, weil sie dem Unternehmen rechtlich verpflichtet wäre. Wir alle können uns nicht so stark an ein Unternehmen binden, wenn wir weiterhin unabhängige Klimaaktivisten sein wollen.

Letztendlich war es ein reiner PR-Gag von Siemens. Ich selbst war überrascht, wie nervös der Konzern geworden ist. Doch ihre PR-Strategie war leicht zu durchschauen. Nur weil Siemens sich zu Klimaneutralität in der Produktion bis 2025 verpflichtet hat, werden wir das Vorgehen in Australien nicht akzeptieren. So leicht lassen wir uns nicht einwicklen.

Wie soll eine solch massive Transformation, wie Friday for Future es von Unternehmen, aber auch vom ganzen Land verlangt, vonstattengehen? Beispielsweise in der Autoindustrie, einem der größten Arbeitgeber Deutschlands?

Aus Effiziensgründen wird langfristig sowieso auf Elektroantriebe umgestellt. Viele Arbeitsplätze werden also in jedem Fall wegfallen – egal ob sich die Anzahl der Autos verringert oder nicht. Vielen in der Automobilindustrie ist das wohl auch bewusst. Wichtig ist daher, dass diese Transformation sozial gerecht abläuft – egal ob aus wirtschaftlichen oder aus klimatechnischen Gründen. Optimalerweise läuft beides zusammen.

Es ist Aufgabe der Politik, sich mit Betriebsräten zusammenzusetzen und einen gemeinsamen Weg zu finden. Aber die Industrie ist ja nicht dumm. Sie werden verstärkt Busse oder andere Fahrzeuge bauen. Die Deutsche Bahn bestellt dieser Tage so viele neue Züge wie seit Jahren nicht. Die Aufträge werden sich also eher verlagern, als komplett wegfallen – wenn die Unternehmen den Trend der Zeit erkennen.

Arbeitsplatzverluste werden also aus Ihrer Sicht kein großes Problem sein?

Beim Umstieg auf nachhaltiges Wirtschaften werden wir in Deutschland immer genug zu tun haben. Das Problem wird weniger Arbeit generell sein, sondern dass die Menschen künftig andere Jobs machen müssen. Davor habe ich großen Respekt. Das wird für viele Leute sehr hart und eine krasse Herausforderung. Aber was wäre die Alternative?

"Die Bewegung ist parteiübergreifend"

Auch die Kohleindustrie steht vor großen Umwälzungen. Am vergangenen Mittwoch haben Bundesregierung, Länder und Betreiber den Fahrplan für den Kohleausstieg bis 2038 beschlossen. Reicht das?

Nein. Seit es Fridays for Future gibt, machen wir deutlich: Dieser Plan ist nicht tragbar, wir müssen bis spätestens 2030 aus der Kohle raus, anders können wir unsere Klimaziele nicht einhalten. Es wurden viele gesellschaftliche Akteure mit einbezogen, es wurde von einem Konsens gesprochen. Wir, die Jugend, waren aber nicht beteiligt. Das ist kein Konsens!

Luisa Neubauer und Sie sind Mitglieder bei den Grünen. Andere Aktivisten wollen bewusst Teil der außerparlamentarischen Opposition bleiben. Welches ist der erfolgversprechendere Weg?

Es gibt keinen eindeutig richtigen Weg, wir müssen an allen Hebeln ansetzen. Es ist ein ganz persönliches Empfinden, was man für sinnvoll hält und wo man sich wohlfühlt. Auch Fridays-For-Future-Aktivisten sind an dieser Stelle frei. Einig sind wir uns in der Frage, dass wir gemeinsam die Klimakrise stoppen wollen.

Wenn FFF-Aktivisten ins Parlament einziehen, dann über eine Liste der Grünen?

Die Bewegung ist parteiübergreifend. Schon jetzt sind Fridays-for-Future-Aktivisten in den unterschiedlichsten Parteien aktiv, viele aber auch ausschließlich außerparlamentarisch.

Auch bei der AfD?

Es ist Konsens, dass sich jeder bei demokratischen Parteien engagieren kann. Das schließt die AfD aus. Wir haben vereinzelt Ortsgruppen, wo sich Leute bei der CDU engagieren, und ein paar mehr Ortsgruppen, wo Leute bei Grünen, SPD und der Linkspartei aktiv sind. Die meisten sind allerdings nicht an eine Partei gebunden.

Im Juni soll es ein selbstbetiteltes Demokratie-Festival im Berliner Olympiastadion geben, das über Crowdfunding aber auch über einige Großspenden finanziert werden soll. Wegen der Erhebung eines Eintrittspreises, Äußerungen der Organisatoren zur Teilnahme von Nazis und wenig Transparenz in der Finanzierung ist das Vorhaben umstritten. Es wird aber unter anderem von Luisa Neubauer und der Berliner FFF-Ortsgruppe unterstützt.

Mich stört an der bisherigen Berichterstattung, dass dies als Fridays-for-Future-Aktion verkauft wird. Das war vielleicht auch von uns ein Kommunikationsfehler. Das Demokratie-Festival ist kein Teil der Bewegung, die Ortsgruppe Berlin berät das Projekt. Ich bin aber gespannt, wie sich das entwickeln wird und wünsche den Organisatorinnen und Organisatoren trotzdem ein erfolgreiches Projekt.

Werden Sie selbst hinfahren?

Ich habe mich noch nicht entschieden.

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