- Im "ZDF-Sommerinterview" äußert sich CDU-Chef Friedrich Merz unter anderem über die Versorgungssicherheit in Deutschland, die Äußerungen von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und sein Verhältnis zu Markus Söder.
- Welche Pläne Merz für Deutschland hat, erfährt man leider nicht. Dafür aber, wie Merz mit seiner eigenen Verantwortung umgeht: nämlich zögerlich.
Drei Anläufe brauchte Friedrich Merz nach seiner ersten Karriere in der Politik, um sich nach den Versuchen 2018 und 2020 dann endlich 2022 doch noch seinen Wunsch vom CDU-Vorsitz zu erfüllen. Zuvor hatte
Darüber sprach Banerjee mit Friedrich Merz
Natürlich geht es auch bei Shakuntala Banerjee um Gaskrise und Versorgungssicherheit und hier konfrontiert sie Friedrich Merz mit dessen Vergangenheit: "Haben Sie eigentlich mal nachgerechnet, wie viel Gas wir in den Speichern hätten, wenn die Bundesregierung im März auf Sie gehört hätte, als Sie gesagt haben: ‚Lassen Sie uns Nordstream 1 sofort dichtmachen, um die Sanktionen zu verschärfen?‘"
Merz will das in dieser Eindeutigkeit nicht gesagt haben: "Ich habe im Frühjahr, als der Krieg begann, natürlich auch darüber nachgedacht, welche Sanktionen sind noch möglich und hab’ dazu auch Nordstream 1 genannt. Allerdings immer unter dem Vorbehalt, dass aus anderen Leitungen, die es ja auch noch gibt, genug Gas nach Deutschland kommt, um die Leitungen zu füllen."
Von der Versorgungssicherheit kommt Banerjee zur Einigkeit in der Union und zitiert
Banerjee bringt noch einmal Markus Söder und dessen Gedanken "Im Ernstfall sollten wir nochmal drüber reden, Nordstream 2 aufzumachen" ins Spiel. "Das ist nicht meine Meinung, das ist auch nicht die Meinung der Bundestagsfraktion, das ist nicht die Meinung der CDU", unterläuft Merz nun die kurz zuvor getroffene Aussage über "völlige Einigkeit" bei Sanktionen, ehe er fortfährt: "Und wir haben auch mit
Damit gibt Merz dem Gespräch eine Richtung, die auch Banerjee einschlagen wollte, nämlich zu den Aussagen von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der weiter Öl und Gas aus Russland beziehen wolle. Dazu sagt Merz: "Es ist seine Meinung. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung, den Plan, den sie hat, nämlich Kohle bald, Öl bis zum Ende des Jahres vollständig zu ersetzten, auch aus anderen Quellen, erfolgreich sein wird."
Für die ostdeutschen Länder stehe insbesondere die Raffinerie in Schwedt infrage. "Schwedt braucht Rohstoffe Es geht jetzt um die Frage: Woher kommen die? Sobald klar ist, dass wir kein Öl mehr aus Russland beziehen, muss diese Raffinerie mit anderem Öl versorgt werden. Die Quellen gibt es und die müssen erschlossen werden. Schwedt darf nicht stillgelegt werden", erklärt Merz. Darüber, wie er das bewerkstelligen will, sagt Merz: "Dann denken wir darüber nach, welche Alternativen wir dann noch erwägen können."
Die Versorgung mit fossiler Energie aus Russland ist aber nicht die einzige Meinungsverschiedenheit zwischen Merz und Kretschmer, denn der sächsische Ministerpräsident fordert laut Banerjee ein "sofortiges Einfrieren des Ukraine-Konfliktes auch mit Blick auf die wirtschaftliche Lage im Osten" Dazu verweist Merz unter anderem auf Vorstandsbeschlüsse und zitiert die estnische Premierministerin Kaja Kallas: "Energie mag teuer sein, aber Freiheit ist unbezahlbar." Findet auch Merz: "Und in dieser Haltung sind wir uns einig."
Gegen Mitte des Interviews kommt Banerjee dann zur Person Merz und dessen Aufgaben als Parteivorsitzender. Angesichts der Wahlerfolge derer, die eher für den Merkel-Mitte-Kurs stehen, fragt Banerjee: "Was ist denn aus dem konservativen Reformer Merz geworden?" Dazu sagt Merz: "Dieser konservative Friedrich Merz ist immer bei seiner Meinung geblieben, zum Beispiel beim Thema Frauen-Quote." Er habe immer gesagt, dass das die "zweitbeste Lösung" ist, sagt aber auch "Es ist nun allerdings auch nicht das größte Problem, dieses Landes. Es ist ein Problem meiner Partei."
Beim Umgang der Bundesregierung mit den Vorschlägen der Union kritisiert Merz deren ablehnende Haltung, sagt aber auch: "Die Türen stehen immer offen." Zum Verhältnis zu Markus Söder und dessen Sticheleien befragt, hat Merz eine andere Wahrnehmung und sagt: "Markus Söder und ich arbeiten wirklich sehr, sehr gut zusammen." Man treffe sich immer montags um acht Uhr zur Videobesprechung mit "dem engsten Führungskreis beider Parteien".
So schlug sich Friedrich Merz
Friedrich Merz präsentiert sich im Sommerinterview rhetorisch geschickt, aber auch etwas vage. Ein richtiges Bild von ihm und seinen Positionen bekommt man nicht. Merz zitiert gerne, verweist auf Vorstandsbeschlüsse, versteckt sich hinter einem "wir", so dass man gar nicht recht weiß, was er, Merz, eigentlich will. Was sind seine Vorstellungen von und für Deutschland, wo würde er das Land gerne sehen, welche Zukunft stellt er sich für die Bürger vor? Dass man hier nicht mehr erfährt, mag auch daran liegen, dass Banerjee nicht konkret danach fragt, aber nicht nur daran.
Ein deutlich besseres Bild bekommt man hingegen davon, wie Friedrich Merz mit Verantwortung umgeht. In Bezug auf die Merkel-Ära fragt Banerjee einmal: "Sie müssen doch auch zugeben: In den vergangenen 16 Jahren hat Ihre Partei und hat die Union eigentlich den Grundstein für fast jede Großkrise gelegt, die wir jetzt sehen. Wo arbeiten Sie denn die Fehler auf, die da passiert sind?"
Und Merz? Der reagiert in seiner Erst-Antwort wie man es eigentlich nicht von einem Politiker mit Verantwortungsgefühl und Selbstkritik erwarten würde – er gibt anderen die Schuld: "In den letzten 16 Jahren waren wir in der Regierung, aber wir waren nie alleine. Von diesen 16 Jahren waren 12 Jahre die Sozialdemokraten dabei. In den letzten vier Jahren war Olaf Scholz der Finanzminister. Und wie wir beide wissen, hat der Finanzminister das Kassenbuch der Bundesrepublik Deutschland unterm Arm."
Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder hat sich die CDU in den vergangenen 16 Jahren als Partei der Kanzlerin von den Koalitionspartnern auf der Nase herumtanzen lassen oder hier will sich jemand ziemlich plump aus der Affäre ziehen. Das merkt auch Banerjee und hakt nach: "Aber jetzt spielen Sie die Richtlinienkompetenz ganz schön runter, die Sie da hatten."
Erst jetzt will Merz zumindest ein bisschen Verantwortung übernehmen. "Ich bekenne mich zu der Verantwortung, die die CDU in der Zeit hatte, ohne jede Frage und wir diskutieren natürlich darüber. Wir wissen, dass wir da Fehler gemacht haben", erklärt Merz, will aber erwähnt haben, dass er von den 16 Jahren selbst nur vier Jahre dabei gewesen ist.
So schlug sich Shakuntala Benerjee
Es ist eine zukunftsvergessene Konstante, dass in den Sommerinterviews von ARD und ZDF die Klimakrise und die Konzepte der Parteien maximal eine untergeordnete Rolle spielen. Nun ist nicht ganz klar, ob Shakuntala Banerjee mit ihrer allerersten Frage an Merz auf die Klimakrise Bezug nimmt oder ob es ihr um andere Aspekte geht. Dennoch fragt die Journalistin Merz zu dessen Privatjet-Flug zur Hochzeit von Christian Lindner auf Sylt: "Bereuen Sie, dass Sie diese Bilder produziert haben?"
Auch hier antwortet Merz zuerst nicht, wie man es vielleicht von einem Politiker mit Einsicht und Verantwortungsbewusstsein erwartet: "Ich hab die Bilder nicht produziert, die sind gemacht worden. Und ich bereue nicht, dass ich geflogen bin. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Ich verbrauche mit diesem kleinen Flugzeug weniger Sprit als jeder Dienstwagen eines Mitglieds der Bundesregierung. Und deswegen fliege ich."
Nun muss man sich einmal vorstellen, wie es wäre, wenn jemand wie Robert Habeck erstens mit dem Privatjet nach Sylt geflogen und zweitens danach so eine Antwort gegeben hätte. Aber Merz hat offenbar das Glück, dass die Erwartungen an ihn als Vorbild geringer sind, denn Gegenargumente gibt es genügend: Er hätte auch mit dem Zug fahren können, wie es der Rest der Bevölkerung macht. Er hätte seinen eigenen Wagen zur Relativierung heranziehen können, nicht den der Bundesregierung, er hätte auch nicht wieder die Schuld anderen geben können, denn man kann nur die Bilder machen, die andere produzieren.
Kurzum: Die Antwort hätte selbstkritischer, ja erwachsener ausfallen können und es ist gut, dass Banerjee hier nicht lockerlässt: "Das Bild wirkt natürlich aber auch für sich und Sie haben gesehen, dass es viel Kritik ausgelöst hat und dass die Leute da nicht ganz so genau nachrechnen", übernimmt Banerjee zwar unkritisch seine Sprit-Argumentation, hakt aber immerhin nach: "Passt das wirklich jetzt in diese Zeit oder lassen Sie demnächst mal das Flugzeug öfter stehen?"
"Ich nutze das vor allem für berufliche Zwecke, stehe dazu", antwortet Merz, als mache die Klimakrise bei beruflichen Zwecken eine Ausnahme, und fährt dann mit einer ausweichenden Antwort fort: "und es ist auch, wenn Sie so wollen, ein alter Traum von mir immer schon gewesen, aber ich weiß, dass ich damit behutsam umgehen muss und das tue ich." Das Interessante an dieser Antwort ist nicht nur, dass sie die Frage nicht beantwortet, sondern dass die Schlagworte "berufliche Zwecke" und "behutsam umgehen muss und das tue ich" so gar nicht zu Merz’ Kurztrip zu Christian Lindners Hochzeit passen.
Und auch wenn Banerjee hier vielleicht etwas offen lässt, ob sie mit ihrer Frage explizit nur Bezug auf Mobilität in Zeiten der Klimakrise genommen hat oder generell auf Verantwortungsbewusstsein und Vorbildfunktion von Politikern – es ist gut, dass sie diese Frage gestellt hat und hartnäckig geblieben ist. Ein Urteil, das man auch über große Strecken des restlichen Interviews fällen kann.
Das Fazit
Es war ein gutes Sommerinterview. Nicht, weil Merz so viel über seine Visionen für Deutschland preisgegeben hat, sondern weil er es eben nicht getan hat. "Wir alle haben bestimmte Situationen falsch eingeschätzt. Wir stehen heute vor großen Herausforderungen und mein Blick richtet sich nach vorn. Der Rest ist eine Frage, die die Historiker beantworten müssen", erklärt Merz am Ende des Interviews. Ob er mit "wir" auch sich meint und was er mit Blick nach vorne sieht, das hat Merz leider nicht verraten. Dafür aber anderes.
Denn natürlich sind zwanzig Minuten nicht viel Zeit, aber Zeit genug, um sich als Zuschauer ein Bild zu machen und um als Interviewter ein Bild zu formen. Und dieses Bild, das Merz da am Sonntagabend im ZDF geformt hat, ist nicht das eines Visionärs mit Verantwortungsbewusstsein. Stattdessen präsentiert sich Merz als jemand, der sagt, er übernehme Verantwortung, doch wenn er es soll, schiebt er zuerst andere vor.
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