Der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke jährt sich Anfang Juni zum fünften Mal. Angesichts der jüngsten Angriffe auf Politiker hat seine Familie eine Botschaft an politisch Engagierte.
Am späten Abend erschießt der Rechtsextremist Stephan E. den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf dessen eigener Terrasse. Aus nächster Nähe zielt er auf den CDU-Politiker und gibt als Grund später dessen liberale Haltung zur Flüchtlingspolitik an.
Die Tat in der Nacht zum 2. Juni 2019 gilt als erster rechtsextremistischer Mord an einem Politiker in der Bundesrepublik. Fünf Jahre später erschüttert sie noch immer - besonders angesichts der jüngsten Angriffe auf Politiker.
Familie Lübcke: Politisch Engagierte sollen standhaft bleiben
Lübckes Familie appelliert vor dessen fünftem Todestag mit Blick auf die Attacken an politisch Aktive, sich nicht einschüchtern zu lassen. "Gerade weil die Familie Lübcke erlitten hat, wie aus Worten Taten werden, schaut sie mit Entsetzen auf die aktuellen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker – ob durch Drohungen im Netz oder körperliche Attacken", lässt sie über einen Sprecher der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mitteilen. Ausdrücklich wolle sie alle Betroffenen und all diejenigen, die sich für unsere Demokratie einsetzen, bestärken, sich nicht von den Angriffen einschüchtern zu lassen. "Bleiben Sie standhaft, weichen Sie nicht von Ihren Überzeugungen und Haltungen ab, Sie sind nicht allein", betont sie und fordert besseren Schutz für Mandats- und Amtsträger.
Realistisch betrachtet könnten leider nicht alle Taten verhindert werden, jedoch müsse deutlich mehr für den Schutz der haupt- wie auch der ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker sowie der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger getan werden. "Leidvoll hat die Familie erfahren, wie es ist, wenn der Schutz nicht gegeben ist."
Wegen seines Engagements für Flüchtlinge war der Christdemokrat Lübcke zur Hassfigur der extremen Rechten geworden. Er erhielt Morddrohungen und wurde vor und nach seinem Tod Opfer von Hass und Hetze im Internet. Auf einer Bürgerversammlung zu der geplanten Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in der nordhessischen Kleinstadt Lohfelden im Jahr 2015 verteidigte der damalige Regierungspräsident das Vorhaben. Auf Buhrufe, Beschimpfungen und Provokationen erwiderte er: "Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Es ist die Freiheit eines jeden Deutschen."
Unter den Besuchern der Veranstaltung war auch der Mann, der ihn vier Jahre später auf seiner Terrasse im nordhessischen Wolfhagen-Istha ermorden sollte. Er habe seinen Fremdenhass zunehmend auf Lübcke projiziert, seit sich dieser auf der Bürgerversammlung für die Aufnahme von Flüchtlingen starkgemacht hatte, gab Stephan E. später vor Gericht an. Er verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.
Hessens Innenminister Poseck: Mord an Lübcke war tiefe Zäsur
Der schreckliche Tod Lübckes werde gerade vor dem Hintergrund der vermehrten Angriffe in den vergangenen Tagen und Wochen wieder in Erinnerung gerufen, sagt Hessens Innenminister Roman Poseck. Er zeige, zu welchen Taten rechtsextrem motivierte Täter fähig seien. Deshalb müsse man alles daransetzen, dass sich so eine Tat niemals wiederholt. "Der Mord steht auch beispielhaft dafür, dass auf Worte oft Taten folgen. Wer Hass sät, erntet Gewalt", sagt der CDU-Politiker.
Zuletzt hatten mehrere Angriffe auf Politikerinnen und Politiker Aufsehen erregt. In Dresden wurde der SPD-Wahlkämpfer Matthias Ecke krankenhausreif geschlagen, in Berlin gab es einen tätlichen Angriff auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD). Auch Politiker von AfD und Grünen wurden bedroht und attackiert.
Extremismusforscher warnt vor Verrohung der demokratischen Kultur
Der Leiter des Demokratiezentrums Hessen, Reiner Becker, bezeichnet der Mord an Walter Lübcke als einen Tiefpunkt in der Historie der Bundesrepublik Deutschland. "Ein Tiefpunkt im Kontext der Veränderung unserer Gesellschaft mit Blick auf die Etablierung von Rechtspopulismus." Die Tat und ihre Folgen seien neben der menschlichen Tragödie eine Katastrophe für die Demokratie. "Der Mord an Walter Lübcke ist ein Punkt, an dem man festmachen kann, wo Demokratie möglicherweise erodiert", so der Extremismusforscher.
Dass sich die Bedrohungslage von Amtsträgern auf kommunalpolitischer Ebene seither nicht verbessert hätte, zeigten die jüngsten Angriffe auf Politiker. "Insgesamt zeigt sich, dass auch die kommunale Ebene ein Austragungsort geworden ist für gesellschaftspolitische Polarisierung", erklärt Becker. "Wir sehen daran, wie sich politische Kultur verändert und verhärtet hat."
Zwar sei die Sensibilität gegenüber Grenzüberschreitungen größer geworden und es seien verschiedenen Maßnahmen ergriffen worden. Es sei jedoch wichtig, diese Wahrnehmung weiter zu stärken. "Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Verantwortung für unser Gemeinwesen nicht am eigenen Gartenzaun endet." Becker vergleicht die Demokratie mit einem Baum, bei dem das feine Wurzelwerk für Halt sorge. Es könne kaputtgehen, während der Baum noch völlig gesund wirke. "Eines Tages kippt der Baum einfach um, ohne dass Wind wehen muss. Und wir alle fragen uns, warum. Weil wir uns dieses feine Wurzelwerk nicht angeschaut haben." (Nicole Schippers, dpa/pak)
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