Israel verhandelt mit der Hamas, Moskau mit Kiew. Normalbürger stellen sich Gespräche zwischen zwei verfeindeten Staaten oder Verhandlungen mit Terroristen äußerst kompliziert vor. Verhandlungsexperte Matthias Schranner weiß, wie es dabei vonstatten geht.

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Matthias Schranner war als Verhandlungsführer und Ausbilder im deutschen Bundesinnenministerium für Verhandlungen mit Geiselnehmern und Bankräubern verantwortlich. Heute unterstützt und berät er die UN, Weltkonzerne und politische Parteien bei schwierigen Verhandlungen. Aus Gründen der Geheimhaltung darf er nicht sagen, mit welchen Fällen er aktuell betraut ist. Im Interview erklärt er, wie Verhandlungen zwischen Konfliktparteien wie Israel und der radikal-islamischen Hamas ablaufen.

Herr Schranner, für Sie sind kritische Verhandlungen nicht fremd. Welche wichtige Erkenntnis haben Sie daraus gezogen?

Matthias Schranner: Die wichtigste Frage ist immer: Was möchte ich erreichen? Ist es Frieden oder Harmonie? Frieden ist das Gegenteil von Krieg. Da geht es um Regularien, an die sich beide Seiten halten können, zum Beispiel einen Waffenstillstand als Vorstufe zum Frieden. Harmonie verhandelt man in einer Beziehung, wenn man den anderen wirklich verstehen will, was ihn umtreibt. Bei Frieden geht es eher um einen Weg, wie man miteinander umgehen kann. Bei Harmonie muss man tiefer einsteigen.

Wer verhandelt mit wem?

Entscheidungsträger sind in den direkten Verhandlungen nicht involviert. Direkte Verhandlungen sind immer sehr konfliktträchtig. Man beschuldigt sich gegenseitig wie im Syrienkonflikt bei einer Versammlung in der UNO. Deshalb verhandeln eher Unterhändler. Also Leute, die nicht im Rampenlicht stehen, sondern stattdessen im Verborgenen die Fäden ziehen. Es gibt auf jeder Seite ein Team, in dem jeder einen bestimmten Verhandlungsauftrag hat. Wenn Entscheidungsträger zum Zug kommen, ist man in der Konfliktlösung schon sehr weit.

Was zeichnet einen Unterhändler aus?

Man versucht immer, jemanden zu finden, der historisch unbedarft ist. Das heißt, er sollte keinen Nachteil haben, weil er schon bei einer anderen Verhandlung dabei war. Oder nehmen Sie mich. Ich wäre mit meinem deutschen Pass bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas wohl nicht geeignet aufgrund meiner Nationalität. Es müssen Leute sein, die verhandlungssicher sind, und auf die sich beide Seiten einigen können.

Der israelische Außenminister hat jetzt mehr deutsches Engagement gefordert.

Da stellt sich die Frage, ob das eine echte oder eine taktische Bitte ist. Will Israel wirklich den Deutschen die Führung überlassen oder wird das nur gesagt, weil man weiß, dass die Deutschen sich da nicht richtig einbringen können. Dann kann man als Israel wenigstens sagen: Wir haben’s versucht, aber man will uns nicht helfen, also müssen wir das jetzt selbst in die Hand nehmen. Man muss unterscheiden, was in der Öffentlichkeit gespielt und was hinter den Kulissen tatsächlich verhandelt wird. Denn das sind oft zwei verschiedene Strategien.

Wer kontaktiert wen, um Verhandlungen überhaupt zu ermöglichen?

Wer denkt, verhandeln zu müssen, ruft an. Wenn aber ein Akteur wie die Hamas ein Interesse daran hat, dass der Krieg mit Israel weitergeht, weil er dann auf Sympathien hoffen kann, ruft er nicht an.

Treten die Konfliktparteien direkt in Kontakt oder über Dritte?

Nein, die rufen sich direkt an. Gerade bei diesem Jahrzehnte alten Konflikt gibt es ein dichtes Netzwerk im Hintergrund. Es gibt Leute, die einfach sehr gut vernetzt sind.

Was passiert danach?

Sogenannte Key-Leute, Schlüsselpersonen, treten in Kontakt miteinander, weil man bei denen weiß, dass sie echte Informationen geben und keine Gerüchte. In der Verhandlungssprache sagt man: Man testet das Wasser. Das heißt, man schaut, in welche Richtung man gehen könnte.

Man spricht auch ständig im Konjunktiv, sagt "Wenn wir beide uns mal vorstellen würden...". So versucht man, sich in einem ersten Schritt bestimmte Szenarien auszudenken. Dann treffen sich die Sondierer und führen die Fäden zusammen und sagen, was geht und was nicht. Anschließend wird eine Vorlage erstellt, die an die Entscheidungsträger weitergereicht wird. Und je nachdem, wo zugestimmt und was abgelehnt wurde, wandert diese Vorlage wieder zu den Sondierern zurück. So geht das schrittweise immer hin und her. Immer abseits der Öffentlichkeit.

Wo finden Sondierungsgespräche statt?

Meist auf neutralem Gebiet, bei Dritten. Aber das läuft nicht so offiziell ab, wie man sich das vielleicht vorstellt. Man kennt sich halt untereinander, hat ein gewisses Grundvertrauen über die Jahre aufgebaut. Wobei sich die Strukturen je nach Regierung auch verändern können, dann kommt frischer Wind rein. Das kann das Ganze auch vereinfachen.

Wie laufen diese Gespräche konkret ab?

Wenn beide Konfliktparteien an einem Tisch sitzen, hat man schon viel erreicht. Im Konflikt zwischen Israel und der Hamas sind wir von diesem Direktverhandlungs-Szenario noch meilenweit entfernt. Da gibt es momentan wahrscheinlich nur indirekte Verhandlungen.

Aber wenn es dazu kommt, werden die Gespräche von einem Moderator gesteuert, meist von einem auf der Stufe unter dem Entscheidungsträger. Man sollte jedoch nur dann direkt verhandeln, wenn ein Scheitern der Verhandlungen nicht mehr möglich und eine Einigung von beiden Seiten gewollt ist. Und diesen richtigen Zeitpunkt, das sogenannte "window of opportunity", sollte man dann nicht verpassen.

Was hat Sie bei Verhandlungen bisher am meisten überrascht?

Dass beide Seiten oft nicht genau wissen, was sie wollen. Stattdessen wissen sie eher, was sie nicht wollen. Das macht es kompliziert. Denn, wenn ich etwas will, muss ich auch bereit sein, etwas zu geben. Wenn das Verhandlungsmandat nicht klar ist, wird es für das Verhandlungsteam unheimlich schwierig. Aber aufgeben kommt nicht in Frage.

Matthias Schranner, 50, ist Verwaltungsjurist und arbeitet seit über 20 Jahren als Verhandlungsexperte und –coach.
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