Vor ihrem Parteitag in Berlin steht die FDP in Umfragen schlecht da: Nur knappe fünf Prozent der Deutschen würden die Partei derzeit wählen. Mit ihrem Zwölf-Punkte-Programm für eine "Wirtschaftswende" wollen die Liberalen das Ruder herumreißen. Kann das gelingen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es soll ein Befreiungsschlag werden: Mit einem Zwölf-Punkte-Programm will die FDP die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln – und sich selbst aus dem Fünf-Prozent-Tief in den Umfragen hieven. Dieses Wochenende treffen sich die Liberalen zum Parteitag in Berlin. Das Papier für eine "Wirtschaftswende" ist dort Grundlage für den Leitantrag, über den die Delegierten abstimmen werden.

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Für die FDP ist es anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl noch einmal die Chance, innerhalb der Ampel-Koalition eigene Akzente zu setzen. Dass das gelingt, könnte für die Partei eine Frage des Überlebens werden.

Politologe: FDP muss ihr Profil schärfen

"Aus der Sicht ihrer Wähler kann sich die FDP mit ihren Inhalten in der Koalition nicht durchsetzen, während die Grünen eine große Dominanz haben", sagt der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg im Gespräch mit unserer Redaktion. "Gegen diesen Eindruck muss die FDP vorgehen."

Sieht die FDP in der Gefahrenzone: Politologe Volker Kronenberg © Hans Schafgans

Zwar sei die Partei noch nicht in der Todeszone, wie manche Beobachter behaupten. "Dennoch bewegt sie sich bereits in der Gefahrenzone", glaubt der Professor der Universität Bonn. Angesichts der schlechten Umfragewerte hätten die Liberalen jetzt keine andere Wahl, als ihr Profil deutlich zu schärfen. Dabei setze die FDP auf ihren Markenkern: die Wirtschaftspolitik.

FDP-Vorstoß sorgt bei SPD für Irritationen

Die zwölf Punkte der FDP haben es durchaus in sich: Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, eine erneute Reform des Bürgergelds und ein Ende der Förderung erneuerbarer Energien gehören zu den Forderungen. Alles dringend nötig, glaubt die FDP. "Deutschland fällt im globalen Wettbewerb zurück", lautet die Diagnose im Zwölf-Punkte-Programm. "Für mehr wirtschaftliche Dynamik müssen wir konsequent weiter an den entscheidenden Stellschrauben drehen."

Von dem gelben Vorstoß ist insbesondere die SPD nicht begeistert. Der Koalitionspartner antwortete umgehend seinerseits mit einem Papier mit Gegenargumenten zu jedem der zwölf Punkte. "Die FDP macht mal wieder Vorschläge, die vor allem an die eigenen Reihen gerichtet sind", heißt es darin. "Sie sind sozial ungerecht und machen wirtschaftspolitisch keinen Sinn." Das klingt, gelinde gesagt, nicht nach großer Kompromissbereitschaft.

Die Verstimmung in der Ampel ist so deutlich, dass manche in dem FDP-Papier schon den Anfang vom Ende der Koalition sehen wollen. CSU-Chef Markus Söder sprach von einer "Scheidungsurkunde" und Helge Lindh von der SPD nannte es eine "Austrittserklärung".

FDP-Vize Vogel: "Nur Meckern reicht nicht."

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel hält diese Rhetorik für übertrieben. "Ich finde es völlig normal, wenn drei eigenständige Parteien, auch erstmal eigenständig Vorschläge machen", sagte er im Interview mit unserer Redaktion. "Da muss man auch nicht immer sofort jede Diskussion als Streit bezeichnen."

Der Ball liege nun bei Grünen und vornehmlich bei der SPD, findet Vogel: Sie müssten nun eigene Vorschläge für eine Wirtschaftswende einbringen. Denn die sie bitter nötig, glaubt der FDP-Vize. "Nur Meckern reicht nicht." Er will das FDP-Programm nicht als Sargnagel für die Ampel verstehen, sondern als "Angebot an die Koalition".

Auch Volker Kronenberg sieht in den zwölf Punkten der Liberalen noch keinen Bruch mit ihren Koalitionspartnern. "Das Papier signalisiert eine Abgrenzung von Rot und Grün, ohne notwendigerweise im Widerspruch zur Beteiligung an der Regierung zu stehen", sagt der FDP-Beobachter. "Die FDP will nicht im allgemeinen Ampelfrust verloren gehen."

Die FDP zwischen Verantwortung und Abgrenzung

Dennoch müsste sich die FDP nun eine grundlegende Frage stellen, glaubt Kronenberg: "Sollte man diese Koalition ernsthaft platzen lassen?" Leicht würden sich die Gelben eine solche Entscheidung nicht machen, sagt der Politologe, denn das wäre riskant. "Angesichts der aktuellen Krisen in Deutschland wäre es problematisch, die Koalition aufs Spiel zu setzen."

Im Zweifelsfall müsse der FDP die staatspolitische Verantwortung wichtiger sein, findet Kronenberg. "Gleichzeitig kann sie versuchen, ihre Positionen bis zur Schmerzgrenze der Koalitionspartner durchzusetzen."

Auf ihrem Parteitag wird sich zeigen, ob der FDP dieser Spagat gelingt.

Über unseren Gesprächspartner

  • Volker Kronenberg (Jahrgang 1971) ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Seine Themenschwerpunkte liegen auf dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland und der Parteienforschung. Regelmäßig tritt Kronenberg als Experte im Fernsehen auf.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Volker Kronenberg, Politikwissenschaftler
  • web.de: Will die FDP den Koalitionsbruch, Herr Vogel?
  • FDP-Programm "12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende"
  • SPD-Gegenargumente zum Zwölf-Punkte-Plan der FDP
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