Kassel, Suhl, Dresden, jetzt Hamburg – gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen nehmen zu. Der Ruf nach Konsequenzen wird lauter; doch noch streiten Experten und Politiker über die Ursachen - und darüber, wie sich die Gewalt verhindern lässt. Während ein Vorschlag fast im Keim erstickt, hat ein Bundesland bereits Maßnahmen ergriffen.

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Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen. In Suhl, Dresden, Calden bei Kassel, Ellwangen oder Donaueschingen und jetzt Hamburg prügelten sich zum Teil hunderte aufgebrachte Flüchtlinge. Menschen wurden verletzt, erhebliche Sachschäden verursacht.



Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), spricht von massiven Problemen in Flüchtlingsunterkünften. Für die Polizei sei Gewalt unter Flüchtlingen mittlerweile leidvoller Alltag. Wendt berichtet von täglichen Vorfällen mit unterschiedlichen Ausprägungen. "Unter anderem basteln sich die Flüchtlinge Waffen aus Möbelstücken." Wendt spricht von teils "kriminellen Strukturen". "Da kann man auch nicht mehr von Spontanität sprechen", sagt er im Gespräch mit uns.

Wendts Kollege, Rüdiger Seidenspinner, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sieht das ähnlich. "Man sollte der Bevölkerung nichts vormachen, da kommen nicht nur liebe Menschen zu uns ins Land und bitten um Asyl", sagte er den "Stuttgarter Nachrichten".

Die Palette der Gewaltdelikte ist Wendt zufolge groß. Die Polizei sei seit Monaten gefordert und stünde vor "der größten Herausforderung der Nachkriegsgeschichte" – ob bei der Flüchtlingsaufnahme, beim Schutz von Einrichtungen oder der Konflikt-Schlichtung.

Flüchtlinge nach Religionen trennen?


Nun wird heiß diskutiert, wie sich Gewalt verhindern lässt. Ein Vorschlag stößt dabei auf Widerstand: die Trennung von Flüchtlingen nach Religionen. Unter anderem sprachen sich Anba Damian, Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, sowie der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, dafür aus.

Bei zahlreichen Politikern und Experten stößt dies bitter auf. Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor etwa hält die Forderungen nach Religionstrennung für "populistischen Nonsens". So etwas leiste nur den Islamhassern Vorschub. Eine Separierung würde den Weg zu weiteren Parallelgesellschaften ebnen, warnt sie. Flüchtlinge würden in "gut" und "schlecht" eingeordnet. "Und zu den Schlechten würden dann vor dem Hintergrund der aktuellen Stimmung gewiss die Muslime zählen. (...) Das ist brandgefährlich", sagt Kaddor im Gespräch mit uns.

Die Islamwissenschaftlerin schlägt stattdessen Streitschlichter vor, die vor Ort vermitteln. "Das könnten gut Deutsche mit Migrationshintergrund sein, man könnte aber auch unter den Flüchtlingen selbst Personen schulen." Das gäbe es auch in anderen Kontexten. Sogenannte Integrationslotsen und Integrationsmütter, so die Expertin, sorgten so für ein besseres Miteinander.

Auch DPolG-Chef Wendt hält die Trennung nach Religionszugehörigkeit nicht für sinnvoll. "Die meisten Gewalttaten gibt es unter Muslimen – zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Stammesführern", sagt Wendt. So würden Frauen gezwungen, Schleier zu tragen; Männer seien angehalten, zu beten. Und die Gewalt generell an Nationalitäten festzumachen, sei ebenfalls nicht zweckdienlich.


Wendt hält es für drängender, sich auf die Schutzbedürftigen zu konzentrieren – nach dem Vorbild von Niedersachen. "Dort wird Kindern, Frauen und Christen extra Schutz geboten, in dem sie in den Kasernen getrennt von Männern muslimischen Glaubens untergebracht werden." Denn neben Massenschlägereien, gäbe es auch eine Vielzahl an Sexualdelikten, die nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gelangen. "Wir sprechen hier von Vergewaltigung, Prostitution aber auch Kindesmissbrauch", sagt Wendt. Das wahre Ausmaß der Gewalt lasse sich allerdings nur schätzen, da Frauen, Jugendliche und Kinder oft aus Angst keine Anzeige erstatten würden. "Frauen haben meist kein Rechtsbewusstsein und Männer kein Unrechtsbewusstsein. In den Heimatländern erfahren die Frauen oft keinen Schutz durch die Polizei." Darüber müsse man sich im Klaren sein und Gedanken machen, so Wendt.

Wo liegen die Ursachen?

"Religion wird zur Rechtfertigung herangezogen", sagte der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick. Die Ursachen lägen allerdings woanders. Experten wie Zick und Kaddor sehen die Gewaltausbrüche unter anderem in der Art der Unterbringung begründet. Es wundere kaum, dass es bei 2.000 Menschen, die auf engstem Raum leben müssten, zu Konflikten käme. Eine ganze Reihe von Faktoren, wie die fehlende Privatsphäre und Rivalitäten zwischen Gruppen könnten zur Eskalation führen.

"Je länger die Menschen in Unterkünften konzentriert sind, desto häufiger werden sie versuchen, durch Gruppen Organisationsstrukturen zu schaffen", sagte Konfliktforscher Zick. Zudem träfen in den Flüchtlingsunterkünften viele Menschen mit konfliktbeladenen Lebensgeschichten aufeinander. Diese schwelenden Konflikte könnten dann eskalieren.

Grünen-Politiker Volker Beck sieht das ähnlich. "Lagerkoller und Mangelversorgung verschärfen die Konflikte", sagte Beck dem Handelsblatt. Doch das Problem ist kurzfristig kaum lösbar. "Leider kann man derzeit nichts an der Art der Unterbringung ändern", beklagt Wendt. Der DPolG-Chef betont allerdings auch, dass der Staat Gewalt nicht hinnehmen dürfe. "Wir müssen eine klare Ansage machen: In diesem Land gelten unsere Gesetze. Es gilt nicht das Gesetz des Stärkeren. Wenn wir das nicht vermitteln, könnte der Eindruck entstehen, der deutsche Staat sei schwach", sagt Wendt. Das wiederum würde dazu ermuntern, Konflikte auszutragen.


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