Nach dem mutmaßlichen islamistischen Anschlag in Solingen debattiert die Politik über Messerverbote. Die Bundesregierung hat sich auf ein Sicherheitspaket verständigt und will auch das Waffenrecht verschärfen. Aus Sicht von Gewaltforscher Dirk Baier gibt es ein großes "Aber".
Es dauerte keine 24 Stunden, da hatte die Messerverbots-Debatte nach dem Anschlag in Solingen bereits Fahrt aufgenommen: Noch am Wochenende des Anschlags forderte
Zahlreiche Politiker, darunter Brandenburgs Ministerpräsident Dieter Woidke (SPD), SPD-Chef
Generelles Verbot im Fernverkehr
Nun, keine Woche später, die ersten Maßnahmen: Die Bundesregierung hat sich auf ein Sicherheitspaket verständigt – zu dem auch eine Verschärfung des Waffenrechts zählt. Wie Innenministerin
"Wir werden den Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter einschränken", so die Ministerin. Auch im Fernverkehr ist ein generelles Messerverbot geplant. Schon im Vorfeld der Tat von Solingen hatte Faeser für eine Verschärfung des Waffenrechts geworben: Sie will künftig nur noch mitgeführte Messer mit einer Klingenlänge von sechs Zentimetern erlauben. Derzeit sind es noch 12 Zentimeter. Für Springmesser soll ein "generelles Umgangsverbot" kommen.
Dirk Baier ist Gewaltforscher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er blickt mit Skepsis auf die angekündigten Verschärfungen: "Die Bevölkerung ist natürlich verunsichert. Es ist Ziel der Terroristen, die Angst zu verbreiten, nirgendwo mehr sicher zu sein. Allein durch die Debatte sendet die Politik zumindest schon mal das Signal: Wir nehmen eure Ängste ernst", sagt der Experte.
Vor diesem Hintergrund sei die Debatte durchaus sinnvoll. "Doch es gibt ein großes Aber", so Baier. Denn die Kriminalität senke man mit gesetzlichen Verschärfungen kaum. "Die Messer, die bei den Anschlägen in Mannheim und Solingen zum Einsatz kamen, wären sowieso schon verboten gewesen", erinnert Baier.
Signal an Heranwachsende
Die bisherige Gesetzgebung hält der Experte für einen Flickenteppich. "Eine Vereinheitlichung vor diesem Hintergrund ist sinnvoll – man darf sich davon allerdings nicht versprechen, dass jemand, der Böses vorhat, es unterlässt", sagt Baier. Er hält eine gesetzliche Verschärfung eher für ein Signal an junge Männergruppen, in denen Messer beinahe als Modeerscheinung zur Grundausstattung gehören.
"Es besteht zumindest die Chance, dass die Debatten über Messerverbote Jugendliche oder ihre Eltern erreichen und zum Nachdenken bringen", meint Baier. In vielen Familien gebe es ein großes Schweigen über diese Thematik. Wenn es nur in manchen Familien zu einem Gespräch mit dem heranwachsenden Sohn führe, sei schon etwas erreicht.
Messerverbotszonen nötig
Dass eine Gesetzesänderung "so richtig Kraft entfaltet", glaubt Baier allerdings nicht. "Im Zweifel kann man jemandem auch mit einem Messer mit einer 5,9 Zentimeter langen Klinge tödlich verletzen", sagt er.
Die Erwartung dürfe nicht zu hoch gehängt sein: Man adressiere vor allem junge Männer, die ein Messer mitführen, um sich "stark und cool" zu fühlen, und es in hitzigen Momenten auch einsetzen würden. Mit solchen Verschärfungen beeindrucke man jedoch keine islamistischen Gewalttäter.
Damit die Polizei Verbote auch durchsetzen kann, ist eine sogenannte Messerverbotszone nötig. Nur dann darf die Polizei auch anlasslos kontrollieren. Das ist derzeit nur im Verkehrsrecht erlaubt.
An einigen Orten in Deutschland gibt es solche Messerverbotszonen lokal bereits – beispielsweise in Hamburg, Bremen, Köln und Frankfurt am Main. Nach Belieben festgelegt werden können sie aber nicht. Es braucht Belege, dass es sich um problematische Orte handelt.
Ein Aspekt kommt zu kurz
Wird ein Ort als Waffenverbotszone ausgerufen, kommt es in den Augen von Baier auf flächendeckende Kontrollen an. "Da muss man präsent sein, sonst ist das ein Papiertiger", sagt er. Flächendeckende Kontrollen sind in seinen Augen eine Utopie. "Das ist in einer freien Gesellschaft – auch in anderen Bereichen – nicht möglich. Dann wären wir in Nordkorea."
Es gibt jedoch noch einen anderen Aspekt, der aus seiner Sicht oft zu kurz kommt. "Es wird zu wenig auf den Verkauf und die Vertriebswege geschaut. Wo kommen die ganzen Messer her, die jetzt schon in den Taschen der jungen Menschen sind?", fragt er. Es sei zu einfach, über das Internet verbotene Waffen zu kaufen. Nötig sei auch ein Blick auf Verkäufer, Vertriebs- und Transportwege.
Nur Verbote reichen nicht
Um etwas gegen Islamismus zu tun, seien Messer jedoch der "völlig falsche Ansatzpunkt", sagt Baier. Hier gehe es vielmehr um Themen wie Radikalisierung im Netz und den Kontakt zu salafistischen Predigern. Aber auch bei den jungen Menschen, bei denen die Gewaltbereitschaft nachweislich insgesamt steigt, ist die Messer-Debatte aus Sicht von Baier nicht ausreichend.
"Nur zwei bis drei Prozent der Gewalt wird mit Messern ausgeführt. Ein viel größerer Teil entfällt auf reine körperliche Gewalt", erklärt er. Die Frage sei daher: "Wie vermitteln wir Gewaltfreiheit als Wert in unserer Gesellschaft?"
Man müsse Menschen mit Empathie und Selbstkontrolle ausstatten, damit sie grundsätzlich auf Gewalt verzichten würden. "Wenn wir auf Gewalt verzichten, dann verzichten wir auch auf die Messer. Es braucht diese größere Perspektive – mehr Gewaltprävention, nicht nur Messerprävention", sagt Baier.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Dirk Baier ist in Sachsen geboren und aufgewachsen und hat in Chemnitz Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaften studiert. Er lehrt an der Universität Zürich sowie am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Jugendkriminalität, der Gewalt- und Extremismusforschung.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.