Es liest sich wie ein Déjà-vu: Griechenland befindet sich erneut im Streit mit seinen Gläubigern. Es droht nach wie vor die Staatspleite. Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass die Situation Parallelen zu der monatelangen Zitterpartie im Sommer 2015 aufweist. Pikant: Die sich jetzt abzeichnende neue Krise könnte eine unmittelbare Folge der damaligen Einigung sein.
Die Meldung elektrisierte in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die europäischen Medien.
Nach dem vorläufigen Scheitern der Gespräche über das griechische Sparprogramm wolle Regierungschef Alexis Tsipras bei EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel der Euroland-Staaten beantragen. Das meldete die staatliche griechische Nachrichtenagentur ANA.
Zuvor waren Verhandlungen der griechischen Regierung mit den Gläubigern und eine Einigung auf weitere Reform- und Sparmaßnahmen gescheitert.
Dass Tsipras jetzt wieder auf höchster EU-Ebene verhandeln will, weckt Erinnerungen an die monatelange Krisenbewältigung im Jahr 2015. Pikant: Die sich jetzt abzeichnende neue Krise könnte eine unmittelbare Folge der damaligen Einigung sein.
Wo liegt die Ursache der neuen Probleme?
Im vergangenen Sommer hatten die sogenannten Institutionen, bestehend aus Vertretern der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission ein drittes Hilfspaket für Griechenland mit einem Volumen von bis zu 86 Milliarden Euro geschnürt.
Im Gegenzug verpflichtete sich Athen damals zu weitreichenden Reformen. Eine wichtige Grundlage der damaligen Einigung war, dass die Hilfskredite nur in kleineren Einzelzahlungen sukzessive überwiesen werden, immer mit der Bedingung, dass auch die Reformen im Land sukzessive umgesetzt werden.
Genau das wollen die Gläubiger jetzt überprüfen. Und ganz offensichtlich gibt es bezüglich des Reform-Fahrplans Uneinigkeit zwischen der griechischen Regierung und den Geldgebern.
Damit ist Griechenland theoretisch nach wie vor von der Staatspleite bedroht. Denn im Juli 2016 laufen die Kredite des IWF und der EZB an Athen mit einem Volumen von gut 2,7 Milliarden Euro aus. Griechenland braucht aber weiteres Geld, um liquide zu bleiben, sonst droht die Zahlungsunfähigkeit.
Nach einem Bericht des Handelsblattes sind an den Finanzmärkten die Anleger wieder wachsamer geworden. Die Verzinsung auf griechische Staatsanleihen ist in den vergangen Tagen bereits gestiegen, weil die Wahrscheinlichkeit einer Pleite und damit das Risiko eines Verlustes wieder höher eingeschätzt wird.
Wo liegen die Streitpunkte?
Alles hängt davon ab, ob es Griechenland gelingt, sich mit seinen Geldgebern zu einigen. Vor allem der IWF wirft der griechischen Regierung vor, die Reformen zu langsam umzusetzen.
Nach dem Willen der Gläubiger soll die griechische Regierung unter anderem mit einer Renten- und Steuerreform Einsparungen im Volumen von 5,4 Milliarden Euro realisieren.
Diese Maßnahmen stoßen jedoch auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung, die mit Streiks und Demonstrationen reagiert. Erst kürzlich legten Fluglotsen, Ärzte und Lehrer die Arbeit nieder.
Für die Regierung Tsipras' sind die Reformen folglich ein sehr schwieriger Spagat. Schließlich war Tsipras einst angetreten, um den Griechen "ihre Würde zurückzugeben" und das Leben nach Jahren des Sparens zu erleichtern.
Als Problem erweist sich offenbar auch, dass die Erlöse aus Privatisierungen weit hinter den in der Einigung von 2015 angenommenen Summen zurückbleiben.
Damals hatte Athen zugesagt, durch Veräußerungen von Staatsvermögen 50 Milliarden Euro in die Staatskasse zu spülen. Laut einem Bericht des Handelsblattes konnten bisher aber nur 2,5 Milliarden erzielt werden, weil die Preisvorstellungen viel zu hoch kalkuliert waren.
Inzwischen geht die Regierung nur noch von 15 Milliarden Euro an Erlösen aus. Woher das falsch einkalkulierte Geld nun aber kommen soll, ist unklar.
Wie geht es jetzt weiter?
Als ihren größten Widersacher sehen viele Griechen zur Zeit den IWF. Laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur herrscht in Athen Empörung darüber, dass die Gläubiger auf Betreiben des IWF darauf beharren, Griechenland solle neben den im vergangenen Juli vereinbarten Reform- und Sparmaßnahmen im Umfang von 5,4 Milliarden Euro weitere Maßnahmen für rund 3,6 Milliarden Euro auf den Weg bringen.
Dieses zweite Paket soll laut dpa quasi auf Vorrat beschlossen werden und in Kraft treten, falls Athen bis 2018 das gesetzte Ziel nicht erreicht, einen Überschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erzielen.
Das Scheitern der eigenen Bemühungen werde damit vorab bewusst einkalkuliert, empören sich viele Griechen.
Für eine zusätzliche Verstimmung sorgt ein Bericht von WikiLeaks. Die Enthüllungsplattform hatte Anfang April ein Telefonprotokoll zwischen IWF-Mitarbeitern veröffentlicht.
Athen interpretiert den Text als einen Plan des IWF, Griechenland mit der Drohung einer Staatspleite zu weiteren Reformen zu zwingen. IWF-Chefin Christine Lagarde wies diese Lesart allerdings als Unsinn zurück.
Richtig ist, dass die IWF-Mitarbeiter in den Protokollen, die in Auszügen unter anderem auf Spiegel Online veröffentlicht wurden, wenig Vertrauen in die Reformbereitschaft Griechenlands erkennen lassen - und einen erneuten Showdown nicht ausschließen.
Wer ist für und gegen den Schuldenschnitt?
Theoretisch könnte die Griechenlandrettung auch ohne den IWF fortgesetzt werden. Die griechische Regierung würde sich wahrscheinlich sogar über eine solche Entwicklung freuen, die auch unter den Gläubigern Anhänger findet.
Die Europäer könnten die Probleme allein lösen, sagte nach einem Bericht des Handelsblattes das österreichische EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny. Der IWF sei an sich für eine Stabilisierung Griechenlands nicht mehr notwendig.
Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings will den Währungsfonds möglichst dabei haben und stellt sich außerdem gegen einen erneut diskutierten Schuldenschnitt. Dies sei "schlicht und ergreifend nach unserer Auffassung rechtlich nicht möglich", so Merkel.
Ironischerweise ist ausgerechnet der bei den Griechen unbeliebte IWF unter den Gläubigern der entschiedenste Befürworter von Schulden-Erleichterungen.
Anders könne Griechenland nicht auf die Beine kommen, lautet das Argument. Der IWF befindet sich damit im offenen Widerspruch zur Bundeskanzlerin. Die setzt auf weitere Verhandlungen - und das Prinzip Hoffnung: "Ich glaube, wir sind auf einem sehr vernünftigen Weg, aber wir sind leider noch nicht am Ziel", sagte Merkel Anfang April.
Was ist der Plan von Alexis Tsipras?
Laut Medienberichten wird in Athen bereits spekuliert, Tsipras könnte Neuwahlen ausrufen und so die Bevölkerung über die Fortsetzung des Sparprogramms abstimmen lassen. Auch von Seiten der EU sind im Moment keine Anzeichen für eine Entspannung zu vernehmen.
Am späten Dienstagabend teilte ein Sprecher von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem mit, es werde kein Sondertreffen der Euro-Finanzminister zu Griechenland am Donnerstag geben, denn es sei mehr Zeit nötig. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnt ein Gipfeltreffen ab. Wenn die Voraussetzungen erfüllt seien, werde eine Sitzung der Eurogruppe einberufen, sagte er in Berlin.
Eine neue, monatelange Zitterpartie könnte also bevorstehen. Es scheint, als sei in der Griechenland-Krise inzwischen wieder alles offen.
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