- Oppositionsführer Friedrich Merz hat der Bundesregierung fehlendes Tempo bei der Umsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr vorgeworfen.
- Bundeskanzler Olaf Scholz verglich Merz in der Generaldebatte im Bundestag dagegen mit "Alice im Wunderland". Er rede die großen Leistungen der Ampel-Koalition klein.
Friedrich Merz kleidet seinen Angriff in ruhige Töne und langsam vorgetragene Sätze. Doch inhaltlich schont der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung nicht. Bundeskanzler
Offiziell geht es an diesem Mittwochmorgen im Bundestag um den Haushalt des Bundeskanzleramts. Der ist mit einem Volumen von 3,9 Milliarden Euro für 2023 im Vergleich zu großen Ministerien zwar fast winzig. Die Diskussion über den Kanzler-Etat ist aber traditionell Anlass für eine Generaldebatte über die Regierungspolitik: Zuerst rechnet der Oppositionsführer mit dem Bundeskanzler ab, dann antworten der Kanzler und die Vorsitzenden der anderen Bundestagsfraktionen.
Merz fordert mehr Tempo beim Bundeswehr-Sondervermögen
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine habe der Kanzler versprochen, künftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren und ein Sondervermögen für die Bundeswehr aufzulegen. Doch bisher habe das dazugehörige Gremium des Bundestags erst einmal getagt und die Bundesregierung keinen Wirtschaftsplan für die Beschaffungsvorhaben vorgelegt. Nicht eine einzige Ausschreibung sei bisher veröffentlicht. "Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament", schimpft
Der Bundeskanzler habe mit seiner Ankündigung einer "Zeitenwende" nach der russischen Invasion in die Ukraine eine Zeitenwende versprochen und damit eine Chance gehabt, das Land grundlegend zu modernisieren. "Sie haben diese Chance nicht genutzt – und wahrscheinlich werden Sie so eine Chance auch nicht wieder bekommen", glaubt Merz.
Der Oppositionsführer knöpft sich auch den Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister
Scholz: "Wir sind eine Regierung der Tat"
Bei der letzten Generaldebatte im Juni hatte Bundeskanzler Scholz (SPD) den Oppositionsführer Merz ungewöhnlich scharf angegriffen, ihm "dahergeredetes Zeug" vorgeworfen. Dieses Mal vergleicht Scholz seinen Kontrahenten Merz mit Alice im Wunderland: "Was in Wahrheit groß ist, das reden Sie klein."
Groß sind aus der Sicht von Scholz nämlich die Leistungen seiner rot-grün-gelben Koalition in der Krise, die der russische Krieg ausgelöst hat: Deutschland habe volle Gasspeicher, habe schrittweise seine Abhängigkeit von russischem Gas, Kohle und Öl beendet, Terminals für Flüssiggas in Rekordzeit in Betrieb genommen und die "bedeutendste Reform des Energiesektors seit Jahrzehnten" umgesetzt. Das Sondervermögen für die Bundeswehr wolle man gründlich statt in Eile umsetzen. "Die Bundeswehr hat es verdient, dass wir Sorgfalt walten lassen."
Fast 100 Gesetze hat die Ampel-Koalition laut Scholz in ihrem ersten Jahr auf den Weg gebracht. Besonders ärgert sich der Kanzler über eine Aussage von Merz beim letzten CDU-Parteitag: Das erste Jahr der Ampel-Koalition sei schlimmer für Deutschland als 16 Jahre mit unionsgeführten Regierungen, hatte Merz da gesagt. "Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen", spottet Scholz. "Willkommen im Wunderland der CDU/CSU, wo die Realität auf dem Kopf steht."
Seine Regierung habe in den vergangenen zwölf Monaten mehr angepackt, umgesetzt und aufgeräumt, als es in den vergangenen zwölf Jahren möglich war. "Weil wir eine Regierung der Tat sind", so Scholz. Das zeige sich auch bei der Anpassung der Steuertarife an die kalte Progression, bei zahlreichen Entlastungen und Sozialreformen wie dem Bürgergeld, höherem Kindergeld und Mindestlohn oder der Wohngeldreform. Auch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Digitalisierung und der Fachkräfte-Einwanderung werde die Regierung das Land modernisieren. Die "Partei des 'Weiter so'" sei die Union, sagt Scholz: "Die sitzt jetzt in der Opposition – und da gehört sie auch hin."
Dietmar Bartsch nennt Ampel die "Zu-Spät-Koalition"
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel will zwischen Scholz und Merz dagegen keinen Streit erkennen: "Man merkt, dass Friedrich Merz unbedingt Bundeskanzler werden will. Der redet schon wie Olaf Scholz", sagt sie. Am Krisenmanagement der Bundesregierung kann sie nichts Gutes finden. Die Unabhängigkeit von russischer Energie wird aus ihrer Sicht einen "Pleite-Tsunami" in der Wirtschaft auslösen. "Zwölf Monate Ampel sind zwölf Monate mutwillige Zerstörung unseres Landes", ruft Weidel.
Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sieht keinen Grund, die Bundesregierung zu loben. Von Fortschritt gebe es bei der selbsternannten Fortschrittskoalition keine Spur. Die Ampel nennt er die "Zu-Spät-Koalition": Deutschland habe immer noch die höchsten Strompreise Europas. "Ihre Politik hat mehr Verspätung als die Deutsche Bahn", so Bartsch mit Blick auf die Regierungsbank. "Nur Ihre Selbstzufriedenheit kann die Unzufriedenheit in der Bevölkerung noch toppen."
FDP-Fraktionsvorsitzender Dürr sorgt mit "Herr Merkel"-Versprecher für Lacher
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge konzentriert sich in ihrer Rede auf die Maßnahmen der Ampel-Koalition gegen den Klimawandel. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien habe die Regierung das Tempo verdreifacht. Deutschland zeige, dass auch ein Industrieland bei der Energiewende "ins Gelingen kommen kann": "Wenn man in einem einzigen Jahr so viel schafft trotz Krise, dann ist das ein Versprechen an die Zukunft", so Dröge.
In neun Monaten habe die Ampel mehr zur Energiesicherheit beitragen als die Union in 16 Jahren, findet FDP-Fraktionschef Christian Dürr. "Versprechen gehalten", sagt er zum Haushalt der Koalition für 2023: Sie sorge damit für neue Investitionen und gehe trotzdem verantwortlich mit den Staatsfinanzen um. Für Heiterkeit sorgt der Liberale, als er Friedrich Merz – offenbar aus Versehen – "Herr Merkel" nennt. Darüber können dann alle lachen, ob in der Regierung oder der Opposition.
Verwendete Quellen:
- Debatte im Bundestag
- Bundestag.de: Generalaussprache zum Etat des Bundeskanzlers
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