Amtsmissbrauch, das Befeuern von Ängsten und sexuelle Belästigung: An seinem ersten Tory-Parteitag als britischer Premierminister sieht sich Boris Johnson gleich mehreren schweren Anschuldigungen ausgesetzt.

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Zum Beginn des Parteitags der regierenden Konservativen ist der britische Premierminister Boris Johnson noch stärker unter Druck geraten. Ihm wird vorgeworfen, als Londoner Bürgermeister eine Freundin bevorteilt zu haben, Ängste vor Unruhen zu wecken und Kriegsrhetorik zu verwenden.

Zudem bezichtigte ihn am Sonntag auch noch eine Journalistin, sie begrapscht zu haben. Die Tories tagen von Sonntag bis Mittwoch in Manchester.

Johnson streitet Vorwurf des Amtsmissbrauchs ab

Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, warf Johnson via Twitter vor, vorsätzlich Ängste vor Unruhen - sogar mit Toten - zu wecken, wenn der Brexit Ende Oktober nicht vollzogen werde.

Auf diese Weise könnte der Premier versuchen, eine Notstandsermächtigung zu aktivieren und so die Verlängerung der EU-Mitgliedschaft vermeiden. "Wenn das Teil des Plans von Johnson ist, die Kompetenzen unter einer Notstandsgesetzgebung zu missbrauchen, werden wir ihn vor Gericht und im Parlament besiegen."

Außerdem wird Johnson vorgeworfen, als Bürgermeister von London eine Geschäftsfrau aus den USA begünstigt zu haben. Es geht dabei um Fördergelder und die Teilnahme an Reisen, von denen die mit Johnson befreundete Jennifer Arcuri profitiert haben soll, obwohl sie nicht die erforderlichen Bedingungen erfüllte.

Nach Angaben der "Sunday Times" sollen die beiden ein Verhältnis miteinander gehabt haben. Johnson und das Ex-Model Arcuri wiesen die Vorwürfe zurück.

"Ich bin sehr, sehr stolz auf alles, was wir getan haben, und sicherlich auch auf das, was ich als Bürgermeister von London gemacht habe", sagte Johnson am Sonntag in einem BBC-Interview.

Es habe keine Unregelmäßigkeiten gegeben. Nach Angaben der Londoner Stadtverwaltung liegen Indizien für eine Straftat vor. Bewiesen sei das aber noch nicht. Ob ermittelt werde, müsse die Polizeiaufsicht entscheiden. Johnson war von 2008 bis 2016 Bürgermeister der Hauptstadt.

Journalistin berichtet von sexueller Belästigung

Für Johnson könnte es noch schlimmer kommen: Die "Sunday Times"-Kolumnistin Charlotte Edwardes bezichtigte ihn, sie in seiner Zeit als Chefredakteur des konservativen "Spectator"-Magazins um die Jahrtausendwende begrapscht zu haben.

Später habe sie erfahren, dass es einer Frau auf der anderen Seite neben Johnson genauso ergangen sei, schrieb Edwardes zum zweiten Jahrestag der Metoo-Bewegung.

Ex-Finanzminister Philip Hammond warf Johnson unterdessen vor, die Unterstützung von Spekulanten zu genießen, die Milliarden auf einen No-Deal-Brexit gesetzt hätten, um von dem erwarteten Währungsverfall zu profitieren.

"Für sie taugt nur ein einziges Ergebnis: ein krachender No-Deal-Brexit, der die Währung abstürzen und die Inflation ansteigen lässt", schrieb Hammond in der "Sunday Times".

Der Tory-Politiker wurde von Johnson aus der Fraktion geworfen, nachdem er mit der Opposition für ein Gesetz gestimmt hatte, mit dem ein ungeregelter Brexit verhindert werden soll.

Johnson war schon zuvor quer durch alle Parteien wegen seiner kriegerischen Ausdrucksweise im Brexit-Streit scharf kritisiert worden. Er hatte die Befürworter einer weiteren Verlängerung der Brexitfrist der "Kapitulation" und des "Verrats" beschuldigt.

Brexit-Kurs steht im Mittelpunkt des Parteitages

Im Mittelpunkt des Parteitags der Tories steht der Streit um den Brexit-Kurs. Auch einen Monat vor dem geplanten EU-Austritt sind weder im Parlament noch in den Gesprächen zwischen London und Brüssel Fortschritte erkennbar.

Der Premier droht immer wieder mit einem Brexit ohne Abkommen am 31. Oktober, obwohl ihm das ein Gesetz verbietet. Bei einem No Deal werden Prognosen zufolge die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche erheblich geschädigt.

Nach einem Bericht der BBC will die Regierung nach dem Parteitag einen Plan für einen Deal vorlegen. Demnach dringen mehrere Minister im Kabinett darauf, doch noch mit der EU zu einer Einigung zu kommen.

Die "Sunday Times" berichtete, Johnson habe sich nach der Entscheidung des Supreme Courts am Dienstag, dass die Zwangspause des Parlaments rechtswidrig sei, persönlich bei der Königin entschuldigt, sie in Verlegenheit gebracht zu haben. Er hatte sie aufgefordert, der Suspendierung des Unterhauses zuzustimmen.

Streit um Neuwahlen

Derweil signalisierte Deutschland die Bereitschaft, Großbritannien unter gewissen Bedingungen erneut einen Brexit-Aufschub zu gewähren. "Sollte Großbritannien einen weiteren Verlängerungsantrag stellen, prüfen wir diesen konstruktiv", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) der "Welt am Sonntag". Die Unsicherheit sei eine wachsende Belastung für die Wirtschaft und die Handlungsfähigkeit der EU.

Johnson selbst hatte die Opposition zu einem Misstrauensvotum ermutigt. Seine Regierung hat keine Mehrheit im Parlament und ist dringend auf eine Neuwahl angewiesen.

Die Opposition will aber keine Wahl, bevor ein ungeregelter EU-Austritt am 31. Oktober absolut ausgeschlossen ist. Sollte ein Misstrauensvotum gelingen, müssten sich die zerstrittenen Oppositionsparteien innerhalb von 14 Tagen auf einen alternativen Regierungschef einigen.

Die Schottische Nationalpartei SNP von Sturgeon deutete an, dass sie Labour-Chef Jeremy Corbyn als Übergangspremier stützen könnte. (dpa/thp)


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