Als britischer Außenminister hat sich Boris Johnson nicht sonderlich gut geschlagen. Die Liste seiner peinlichen verbalen Fehltritte ist lang. Und doch hat er gute Chancen, der zurückgetretenen Theresa May als Premierminister nachzufolgen.
War es die neue Liebe oder die Aussicht auf das Amt des Premiers? Der ehemalige britische Außenminister und Brexit-Wortführer
Johnson lebt Berichten zufolge seit einige Monaten von seiner Frau getrennt und soll mit einer mehr als 20 Jahre jüngeren Medienexpertin liiert sein. Und vieles spricht dafür, dass er sich bereits intensiv auf das absehbare Rennen um die Nachfolge von Premierministerin
Blufft Boris Johnson?
Nur kurz nachdem May in London am Freitag ihren Rücktritt verkündet hatte, drohte er bereits mit einem EU-Austritt ohne Abkommen. Bei einer Konferenz in der Schweiz sagte er nach Angaben von Reportern vor Ort: "Natürlich bewerbe ich mich als Premierminister." Und weiter: "Um einen guten Deal zu bekommen, muss man sich auf einen No-Deal vorbereiten. Um etwas zu erreichen, muss man bereit sein, den anderen stehen zu lassen."
Viele halten das für einen Bluff. Es spricht einiges dagegen, dass Johnson mit dieser Strategie Zugeständnisse von der EU bis zum Ende der Austrittsfrist am 31. Oktober erreicht. Brüssel machte umgehend klar, dass der mit May ausgehandelte und drei Mal vom britischen Parlament abgelehnte Brexit-Deal nicht wieder aufgeschnürt werden kann.
Im Ringen um den EU-Austritt hatte Johnson oft das von ihm ins Gegenteil verkehrte Sprichwort "You can't have your cake and eat it" - etwa: man kann seinen Kuchen nicht gleichzeitig essen und aufbewahren - bemüht. Johnson war der Meinung, das ginge sehr wohl. Damit war gemeint, Großbritannien könne aus der EU austreten und die Pflichten der Mitgliedschaft abschütteln, aber weiterhin deren Vorteile genießen. Dieser Ansatz wurde von Brüssel vehement als Rosinenpicken zurückgewiesen und es gibt keine Anzeichen, dass sich daran etwas ändern soll.
Als Minister keine gute Figur gemacht
Sollte es tatsächlich zu einem Brexit ohne Deal kommen, wird mit verheerenden Folgen für die britische Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche gerechnet. Was, wenn Johnson mit seinem Gepolter eine unumkehrbare Spirale in Richtung eines ungeordneten Austritts auslösen sollte? Schon nach dem knappen Brexit-Votum der Briten im Jahr 2016 munkelten viele, Johnson selbst sei von dem Ausgang überrascht gewesen, habe den EU-Austritt gar nicht gewollt.
Kurzzeitig sah es damals so aus, als würde Johnson bereits nach dem Amt des Premiers greifen, doch es kam anders. Er musste sich mangels Unterstützung aus dem Rennen zurückziehen. Viele hielten ihn nicht für geeignet für das Amt des Premierministers.
Die siegreiche Theresa May machte Johnson damals zum Außenminister, wohl um ihn in Schach zu halten. Doch als May eine vorgezogene Parlamentswahl ausrief und eine Niederlage einfuhr, traute er sich immer mehr aus der Deckung. Wiederholt fuhr er ihr öffentlich mit seinen Brexit-Vorstellungen in die Parade, schließlich schmiss er hin.
Als Außenminister hatte Johnson keine sonderlich gute Figur gemacht. Der 54-Jährige ist alles andere als ein geborener Diplomat. Die Liste seiner Fehltritte ist lang. Dabei ist nicht immer klar, ob er absichtlich Porzellan zerschlägt oder aus Ignoranz.
Die Liste der Peinlichkeiten
Unrühmliche Schlagzeilen machte Johnson etwa, als er bei einem Parteitag der britischen Konservativen über die ehemalige libysche IS-Hochburg Sirte als potenzielles Touristenparadies sprach. "Sie müssen nur die Leichen wegräumen", scherzte Johnson.
Ähnlich groß war die Empörung als er in einem buddhistischen Tempel in Myanmar während eines offiziellen Besuchs ein kolonialzeitliches Gedicht rezitierte, in dem eine Buddha-Statue als "Götze aus Matsch" bezeichnet wird. "Nicht angemessen", zischte der britische Botschafter ihm zu.
Schlimm waren auch seine Ausfälle vor dem Brexit-Referendum. Er verglich die Ambitionen der EU mit dem Großmachtstreben Hitlers und Napoleons. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schmähte er mit einem frivolen Gedicht über eine Ziege. Den Briten versprach er, im Falle eines Brexits 350 Millionen Pfund (knapp 400 Millionen Euro) an EU-Beiträgen pro Woche in das Gesundheitssystem zu stecken. Er verschwieg jedoch, dass London einen großen Teil seiner Beiträge ohnehin zurückerhält. In diesem Fall droht ihm sogar noch ein gerichtliches Nachspiel.
Dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, zeichnete sich früh ab. Seinen ersten Job als Journalist bei der renommierten Tageszeitung "The Times" verlor er, weil er absichtlich ein Zitat verfälschte.
Doch wenn sich etwas wie ein roter Faden durch Johnsons Biografie zieht, dann die Erkenntnis, dass seine Fehltritte schnell in Vergessenheit geraten. Das Konkurrenzblatt "The Telegraph" empfing ihn mit offenen Armen und schickte ihn nach Brüssel. Von dort schrieb er unzählige Geschichten, in denen er die EU als unfähiges, nur sich selbst dienendes Bürokratiemonster darstellte. Später wurde er Chefredakteur der Zeitschrift "Spectator", dann Abgeordneter.
Als Kind wollte er Welt-König werden
Will der bei der Parteibasis enorm beliebte Johnson tatsächlich Premierminister werden, muss er zunächst von der konservativen Fraktion für die engere Auswahl erkoren werden. Dort zweifeln Berichten zufolge noch immer viele an seiner charakterlichen Eignung für den Job.
Auf der anderen Seite wird ihm mehr als jedem anderen zugetraut, sowohl die Konkurrenz von rechts durch die Brexit-Partei von Nigel Farage als auch den Altlinken und Labour-Chef Jeremy Corbyn in einer Wahl zu bezwingen.
Obwohl er in eine wohlhabende Familie geboren wurde, hat Johnson das Talent, den einfachen Mann anzusprechen. Vieles ist Show. Johnson gehört zum Establishment. Er besuchte das Elite-Internat Eton, studierte in Oxford und war zeitweise Präsident des Debattierclubs Oxford Union und Mitglied der als dekadent verschrieenen Studentenverbindung Bullingdon-Club.
Nur Premierminister zu werden, sei nicht genug für ihn, scherzte einmal seine Schwester Rachel. Als Kind habe er stets als Berufswunsch Welt-König genannt. Nun könnte es vielleicht doch der Premierminister werden. (dpa/mcf)
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