Wer glaubt, Boris Johnson sei einfach nur etwas verwirrt und nicht ganz ernstzunehmen, könnte sich irren. Ein Kommunikationsexperte erklärt, warum der britische Premier aus seiner Sicht ein sehr guter Schauspieler ist - und warum er wahrscheinlich sehr genau weiß, was er tut.
Es ist ein Vorwurf, der nur schwer zu beweisen ist. Dennoch sagt es viel über
Dadurch, so das unterstellte Kalkül, könnte eine weniger schöne Episode im Leben des Politikers in den Suchmaschinen und vor allem im kollektiven Gedächtnis überschrieben werden: die Bilder von Johnson vor einem Bus während der Brexit-Kampagne. Ein Bus, auf dem die unglaubliche (und falsche) Summe von 350 Millionen Pfund prangte, die die Briten angeblich jede Woche an die EU zahlen würden.
Boris Johnson: Die Strategie der toten Katze
Es wäre eine Strategie, die zu einem Gastbeitrag von Boris Johnson aus dem Jahr 2013 passen würde. Im britischen "Telegraph" sinnierte er über die sogenannte "Dead Cat Strategy". Wenn man mitten in einem Gespräch eine tote Katze auf dem Tisch werfe, würden die Gesprächspartner nur noch darüber reden und nicht mehr über das, was ihnen wirklich Sorgen bereite, schrieb Johnson damals. Während sich alle Augen auf den Katzenkadaver richteten, würde niemand die wahren Probleme erkennen. Das perfekte Ablenkungsmanöver.
Experte: Boris Johnson spielt eine Rolle
Johnsons Auftritte in den vergangenen Jahren legen nahe, dass er selbst am besten die Strategie der maximalen Ablenkung verinnerlicht hat.
"Boris Johnson spielt eine Rolle", bestätigt Kommunikationsexperte Stefan Häseli, "und diese Rolle spielt er verdammt gut." Johnson begebe sich absichtlich "in die Rolle des Hofnarren" und fülle diesen Part glaubwürdig aus. Dazu gehörten auch die stets verwuschelten Haare und die oft exzentrische Kleidung. Ein Kostüm sei das, mit dem sich der Premierminister bewusst als eine Art Paradiesvogel inszeniere.
So ein Auftreten lenke von inhaltlichen Fragen ebenso geschickt ab wie die Körpersprache, die "bei Johnson fast immer den Eindruck einer beständigen, starken Spannung verbreitet", betont der Experte.
Im Parlament springt der Premierminister oft auf, rauft sich die Haare - "und spricht sehr emotional zu den Menschen, immer mit einer großen Dringlichkeit", die stellenweise fast besessen wirkt. Inhaltlich "setzt er dabei in der Regel auf die kurzfristige Pointe, den Witz und die große Geste, ohne die langfristigen Konsequenzen seiner Erklärungen zu bedenken".
Es ist ein Spiel für den Augenblick - wie auf einer Theaterbühne.
Das Geheimnis von Johnsons Wirkung
Gerade, weil Johnson auftritt wie ein guter Schauspieler, "ist wahrscheinlich vieles von dem, was er zeigt, echt", urteilt Häseli, "so wie bei jedem sehr guten Schauspieler". Es sei vielleicht das Geheimnis von Johnsons Wirkung, "dass er in dem Augenblick, in dem er redet, selber glaubt, was er sagt", auch wenn er es eigentlich besser wüsste.
Eben deshalb käme er ungleich authentischer herüber, als viele seiner Kollegen in der Politik. Dass er gleichzeitig, "wie im genannten Beispiel mit den Bussen die Mechanismen der Medien offensichtlich genau kennt", spricht laut Häseli erst recht für seine große Intelligenz.
Diese Eigenschaften seien per se nicht schlecht, sagt der Experte. Sie hätten Johnson "ja auch weit gebracht". Was jedoch in Berufen, die eher auf Repräsentanz ausgelegt sind, wie zum Beispiel der des Londoner Bürgermeisters, "ein großer Gewinn für ein Gemeinwesen sein kann", funktioniere in der Position eines Staatenlenkers meistens nur kurzfristig.
Das sei ähnlich wie in hohen Management-Positionen: Jenseits aller Spielchen "erfolgt zum Schluss fast immer die Konfrontation mit einer Realität, die nicht aus Emotionen, sondern aus Fakten besteht", betont Häseli.
Das muss für einen wie Johnson nicht unbedingt ein Problem sein. "Scheitert er mit dem Brexit ohne Deal im Parlament, tritt er vielleicht einfach ab." Ein solcher Rücktritt müsste einen überzeugenden Schauspieler wie Johnson nicht einmal viele Sympathien kosten. "Es wäre eine neue Rolle - und natürlich eine mit großer Geste."
Verwendete Quellen:
- Telefon-Interview mit Stefan Häseli
- The Telegraph: This cap on bankers’ bonuses is like a dead cat – pure distraction
- Twitter Account des Moderators Ross Kempsell
- TV-Sendung auf dem Sender HBO: Last Week Tonight vom 28.7.2019
- FAZ-Online: Boris Johnson hat sich zu einem ungewöhnlichen Hobby bekannt
- Tagesanzeiger-Online: Boris knackt den Google-Algorithmus. Der britische Premierminister inszeniert sich gern als tollpatschigen Engländer – mit Kalkül.
- OMR-Daily: Wirres TV-Interview als cleverer SEO-Hack: Hat Boris Johnson gezielt Google manipuliert?
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