Finanzplanung der Ampel: Die Koalition muss sparen. Jeder Minister soll zurück auf die alte Finanzplanung – aber das wird nicht reichen. Wie geht es weiter?

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Auch das kann man eine Altlast nennen: Weil die Ampelkoalition den Haushalt 2024 erst verspätet in Kraft gesetzt hat, beginnt die Arbeit am nächsten mit einer ordentlichen Verzögerung. Doch am Donnerstag ist es endlich so weit. Christian Lindners (FDP) junger Staatssekretär Wolf Heinrich Reuter (Jahrgang 1984) informiert die Kollegen aus den anderen Ressorts über die Lage. Dass sie nicht gut ist, hat sich schon länger abgezeichnet. Zuletzt gab es die Formel von einem Finanzbedarf "im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich". Eine genaue Zahl zu dem, was Politiker gern mit Handlungsbedarf umschreiben, gibt es immer noch nicht. In Koalitionskreisen kursiert eine Schätzung von 25 Milliarden Euro – allein für kommendes Jahr.

Weil die Bundesregierung vor der Sommerpause nicht nur den Haushaltsentwurf 2025, sondern auch die Finanzplanung bis zum Jahr 2028 zu beschließen hat, ist die Aufgabe noch viel größer. Denn am Ende des Zeithorizonts gilt es das wegfallende Sondervermögen Bundeswehr zu ersetzen, das Verteidigungsministerium braucht deutlich mehr aus dem Kernhaushalt, um auf die Nato-Quote von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kommen. Angesichts der akuten Bedrohungslage kann man darüber streiten, ob das reicht – aber mehr ist unrealistisch. Derzeit sind im Bundeshaushalt bis zum Jahr 2027 stets rund 52 Milliarden Euro für das Verteidigungsressort vorgesehen. Um die 2 Prozent zu erreichen, müsste dort 2028 ein Wert in der Größenordnung von 80 Milliarden Euro stehen. Zudem beginnt dann die Tilgung der Notlagenkredite, was rund 10 Milliarden Euro kosten kann.

"Deutlicher, struktureller Konsolidierungsbedarf"

Schon im Einladungsschreiben, das Reuter vor einem Monat verschickt hat, wies der Staatssekretär darauf hin, dass sich die Aufstellung des Haushalts 2025 insbesondere wegen der notwendigen Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur verzögert, sondern auch "grundlegend" von denen in den Vorjahren unterscheidet. "In den vergangenen Jahren konnten regelmäßig Eckwerte beschlossen werden, die signifikant über den jeweiligen Ansätzen der bisherigen Finanzplanung lagen", schrieb Reuter. Das ist nun anders. Jeder Minister soll deshalb mit seinem Einzelplan zurück auf die alte Finanzplanung. Aber selbst das wird nicht reichen. Die Dimension der Aufgabe zeigen zwei andere Zahlen: Dieses Jahr kann der Bund 476,8 Milliarden Euro ausgeben. Für 2025 stehen im alten Plan 451,8 Milliarden Euro.

Reuter nutzte das Einladungsschreiben für ein hartes Erwartungsmanagement. Es sei nicht zu erwarten, dass sich etwa aus dem makroökonomischen Umfeld Entlastungseffekte für den Bundeshaushalt ergäben. Vielmehr zeichne sich ein "deutlicher, struktureller Konsolidierungsbedarf" ab. Nach Jahren mit außergewöhnlicher Notsituation träten strukturelle Probleme im Bundeshaushalt und für das Wirtschaftswachstum zutage. "Es bedarf der Konsolidierung, die gleichzeitig den Wirtschaftsstandort Deutschland und das Wachstumspotential stärkt." Das war eine Ansage. Nun legt sein Chef mit fast identischen Formulierungen nach. In seinem Aufstellungsschreiben zu Haushalt und Finanzplan finden sich Formulierungen wie: "deutlicher struktureller Konsolidierungsbedarf", "Wirtschaftsstandort und das mittelfristige Wachstumspotential stärken", "gemeinsame Kraftanstrengung der Bundesregierung".

Hilfen für das Ahrtal aus dem Kernhaushalt

Als das Bundesverfassungsgericht im vergangenen November das Vorhaben der rot-grün-gelben Koalition stoppte, Corona-Kredite für Klimaprojekte zu nutzen, geriet die gesamte Finanzplanung der Ampel-Koalition ins Trudeln. Nicht nur der Klima- und Transformationsfonds musste neu geplant werden, auch die Gesetzgebung für den Kernhaushalt erforderte einige Nacharbeit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner in seiner Doppelrolle als Finanzminister und FDP-Vorsitzender rangen viele Stunden und Tage oder besser Nächte miteinander, um den Etat zu retten. Der Bundestag beschloss ihn letztlich erst Anfang Februar.

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Schon der alte, eigentlich längst von der Entwicklung überholte Finanzplan enthielt einen "haushaltspolitischen Handlungsbedarf" von 5,2 Milliarden Euro. Nun kommen Zinsausgaben hinzu, die ursprünglich aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanziert werden sollten. Doch der wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgelöst, ebenfalls der Aufbaufonds. So müssen die Hilfen für das Ahrtal aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Gleichzeitig fehlen Mittel in der Rücklage, weil sie dieses Jahr fast komplett aufgezehrt wird. Statt 6,4 Milliarden Euro stehen daraus noch 0,5 Milliarden Euro zur Verfügung.

Kreditaufnahme muss zur Schuldenbremse passen

Bis zum 19. April können die Minister ihren Finanzbedarf detailliert anmelden – unter der Bedingung, dass er sich in die alte Finanzplanung einfügt. "Sollten die Anmeldungen nicht den ressortspezifischen Obergrenzen entsprechen, können diese nicht akzeptiert werden", warnt Lindner die Kabinettskollegen in dem Aufstellungsschreiben. "Dieses Verfahren ist mit dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler vereinbart", schreibt er drohend. Was Lindner ergänzend als gemeinsames Auflösen weiterer Handlungsbedarfe ankündigt, heißt konkret: Irgendwann vor der Sommerpause muss die Koalitionsspitze die Gesamtausgaben so zusammenzustreichen, dass die Kreditaufnahme zur Schuldenbremse passt. Anders als SPD und Grüne will die FDP die erneute Flucht in eine Notlage vermeiden. Ohne Eingriffe in Gesetze wird das kaum gehen. Wohl auch nicht ohne eine neue Runde über das Kanzleramt.

Bisher ist geplant, dass der Bundestag den Etat Ende November beschließt. Ob die Koalition dieses Mal pünktlich fertig wird?  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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