- Wieviel Grünen-Politik steckt in der neuen Ampel-Bundesregierung?
- Was wurde für eine Koalition mit der FDP geopfert und wie sollen die Pläne der Grünen finanziell gestemmt werden?
- Fragen an die Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer aus München.
Bei ihrem Namen wird die CSU in Bayern mutmaßlich nervös. Jamila Schäfer hat im September bei der Bundestagswahl 2021 das erste Grünen-Direktmandat im Freistaat überhaupt gewonnen.
Im neuen Parlament wird die 28 Jahre alte Münchnerin im Europa- und Haushaltsausschuss sitzen. Bei den Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP saß sie als Unterhändlerin mittendrin. Im Interview erzählt Schäfer von Zugeständnissen an die Liberalen, Kompromissen in der neuen Bundesregierung - und klaren Linien, "auch für Christian Lindner".
Jamila Schäfer: "Nur das wird uns unsere Freiheiten zurückbringen"
Frau Schäfer, lange Koalitionsverhandlungen liegen hinter Ihnen, die neue Bundesregierung steht. Jetzt kann es endlich losgehen, oder?
Jamila Schäfer: Ich bin sehr erleichtert. Man hatte oft das Gefühl, da draußen brennt die Hütte und wir streiten über Kommazahlen. Ich freue mich, dass wir jetzt anfangen können, unsere Ideen in konkrete Politik umzusetzen. Es gibt unendlich viel zu tun.
Sie sprechen wohl die Corona-Pandemie an. Ist die Ampel schon vor ihrem Start dadurch unter Druck geraten, dass die Bevölkerung Lösungen erwartet?
Die Menschen haben die Erwartung, dass politisch gehandelt und die Krise angepackt wird, auch wenn die Regierung noch nicht steht. Das war schwierig, weil gleichzeitig eine geschäftsführende Regierung im Amt war, während wir in der Ampel noch Koalitionsfragen klären mussten. Ich bin froh, dass wir mit dem neuen Infektionsschutzgesetz viele Maßnahmen auf den Weg bringen konnten. Mit dem neuen Gesundheitsminister (
Es wirkte, als müssten Grüne und SPD die FDP in der Corona-Politik erstmal auf eine einheitliche Linie bekommen.
Wir kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Das ist in der Politik immer so, und das haben wir auch bei anderen Fragen gemerkt. Zum Beispiel bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht (Pflegeberufe, Anm. d. Red.) musste sich die FDP am weitesten bewegen. Das ist ein Zeichen von Haltung und Stärke, wenn man in einer schwierigen Lage seinen Kurs reflektiert. Jetzt können wir in der Ampel auch über die allgemeine Impfpflicht reden, die ich befürworte.
"Mit einer hohen Impfquote können wir diese Pandemie beenden"
Stichwort Impfpflicht für Gesundheitsberufe: Haben Sie sich gefragt, warum die alte Bundesregierung so lange gezögert hat? Italiener, Griechen, Franzosen - mehrere EU-Länder waren viel strikter.
Ich hätte mir das persönlich viel früher gewünscht. Es war ein Fehler der letzten Bundesregierung, eine Impfpflicht in Einrichtungen kategorisch auszuschließen. Die Lage musste leider wieder eskalieren, damit sich die Meinung geändert hat. Wir dürfen jetzt aber nicht zurückschauen. Mit einer hohen Impfquote können wir diese Pandemie beenden.
Die Pandemie beenden, um andere Ziele anzugehen. Sind Sie zufrieden mit dem, was die Grünen in den Koalitionsvertrag eingebracht haben?
Ich bin auf jeden Fall zufrieden. Wir haben einen großen Sprung beim Klimaschutz gemacht, mit der verbindlichen Regel, dass jedes Gesetz darauf geprüft wird, welche klimaschädlichen Wirkungen es haben könnte. Wir haben den Kohleausstieg bis 2030 beschlossen. Und den Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren. Vieles, was lange Zeit komplett undenkbar war, haben wir endlich angestoßen. Durch die Kindergrundsicherung können wir vielen Familien, die in Armut leben, helfen. Wir heben den Mindestlohn auf zwölf Euro an. Wir fördern bezahlbaren Wohnraum durch eine neue Wohngemeinnützigkeit. Wir bringen die Abschaffung des Blutspendeverbots für homosexuelle Männer auf den Weg, oder die Abschaffung des transsexuellen Gesetzes.
Transsexuellen-Gesetz? Was steht da drin?
Dass man seine Identität nicht ändern kann, ohne ein Gutachten, das einen für psychisch krank erklärt. Mit unserer geplanten Reform kann jede Person ihre Geschlechtsidentität ohne ein solches Gutachten ändern. Das stärkt die Selbstbestimmung der Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen.
Zurück zur Klimapolitik: Es hieß, dass die Grünen ein klimapolitisches Vetorecht angestrebt hätten. Jetzt dürfen Sie nur prüfen. Eine Niederlage?
Die Koalition hat sich klar auf den 1,5-Grad-Pfad verpflichtet. Alle Ministerien müssen daher bei jedem Gesetzentwurf einen Klimacheck vornehmen. Das ist ein sehr scharfes Schwert. Aber klar: Wir konnten uns nicht mit allen Zielen durchsetzen. In einer Dreier-Koalition geht es darum, Kompromisse zu schließen. Wir haben unsere 14,8 Prozent (der Stimmen, Anm. d. Red.) von der Bundestagswahl in die Waagschale geworfen.
Nichtsdestotrotz wäre Ihnen ein Vetorecht wahrscheinlich lieber gewesen.
Ja.
"Das war uns als Kompromiss einfach wichtiger"
Sie sprechen von 14,8 Prozent. Die FDP hat 11,5 Prozent der Stimmen geholt - und dennoch viele Ansprüche durchgesetzt.
Die FDP musste an vielen Stellen einen weiten Weg gehen. Gerade mit der Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro, mit der Kindergrundsicherung und mit der Hartz-IV-Reform, durch die die Leute sich was dazu verdienen dürfen, haben wir Themen durchgebracht, die die FDP so nicht wollte. Wir haben hart gerungen. Die FDP hatte als Flaggschiff-Thema, dass es kein Tempolimit gibt. Der Kohleausstieg schon 2030 war uns als Kompromiss einfach wichtiger. Das spart viel mehr CO2 ein.
FDP-Mann
Wir haben klare Linien im Koalitionsvertrag festgelegt. Innerhalb dieser Linien müssen sich alle Ministerinnen und Minister bewegen, auch Christian Lindner. Herr Lindner muss zum Beispiel die Bankenunion vollenden, auch wenn das nicht im Wahlprogramm der Liberalen stand. Sollte es Unstimmigkeiten geben, werden wir ehrlich miteinander sprechen. Die Finanzverhandlungen waren der schwierigste Punkt in den Koalitionsgesprächen. Da lagen wir am weitesten auseinander. Wenn ich den Eindruck habe, dass vereinbarte Investitionen nicht umgesetzt werden, werde ich als selbstbewusste Abgeordnete Druck machen.
"Es stimmt, dass wir viele Milliarden Euro investieren müssen"
Sie haben vor der Bundestagswahl erklärt, dass das, was die Grünen vorhaben, Milliarden kostet. Woher nehmen Sie das Geld ohne Steuererhöhungen, die die FDP verhinderte?
Es stimmt, dass wir viele Milliarden Euro investieren müssen. Nächstes Jahr ist die Schuldenbremse noch ausgesetzt. Vieles geht über Kredite, die zum Beispiel über die KfW an Unternehmen vergeben werden. Es geht darum, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten ein investitionsfreundliches Umfeld für Unternehmen zu schaffen. Wir müssen alles, was geht, ausnutzen, auch Investitionen auf europäischer Ebene. Eine nachhaltige Finanzierung von Kita-Plätzen, die Digitalisierung der Schulen, der Neubau von Wohnungen - ich werde mich durch meine Rolle im Haushaltsausschuss aktiv dafür einsetzen.
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