Die Grünen wollen auf ihrem Parteitag Einigkeit demonstrieren. Eine Gruppe von Homöopathie-Gegnern könnte diesen Plan durchkreuzen. Sie wollen ihre Skepsis gegenüber der Alternativmedizin im Parteiprogramm festschreiben – und rütteln am Selbstverständnis der Partei. Die Parteispitze ist alarmiert.

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Eigentlich haben die Grünen Grund zu feiern. Nach historischen Wahlerfolgen, der Aussicht auf Regierungsbeteiligungen in Sachsen und Brandenburg sowie bundesweiten Umfragewerten jenseits der 20 Prozent können die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock mit einem warmen Empfang beim Parteitag rechnen, der Anfang November in Bielefeld stattfinden soll.

Das Vermögen, die Partei auch in kontroversen Fragen zu versöhnen, ist eine der Zauberformeln des jungen Führungsduos. Ein alter Grabenkampf könnte das Bild der sanftmütigen Partei nun empfindlich trüben. Es geht um das Thema Homöopathie und die Frage, ob die Solidargemeinschaft wissenschaftlich fragwürdige Behandlungsmethoden finanzieren sollte.

Die Meinungen zu Globuli gehen stark auseinander

Für die Grünen ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten, denn die Haltung zur Alternativmedizin rührt am Selbstverständnis der Partei. Viele der Delegierten und Wähler schwören auf Globuli und Co. als sanfte Alternative zur klassischen Schulmedizin. Andere halten sie für Hokuspokus.

Die Verfasser des Antrags "Echter Patientenschutz – Bevorteilung der Homöopathie beenden", der sich gegen "die Finanzierung von nachweislich nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirksamen Behandlungsmethoden" wendet, halten eine faktenbasierte Gesundheitspolitik mit Homöopathika für unvereinbar und wollen ihre Skepsis im Parteiprogramm verankert sehen.

Sie argumentieren unter anderem, dass Patienten nur noch zwischen wenigen Kassen mit meist höherem Zusatzbeitrag wählen könnten, in der sie "mit ihren Beiträgen ausschließlich wissenschaftlich plausible Therapien finanzieren". Die Erstattung von Homöopathika müsse deshalb beendet und Patienten besser aufgeklärt werden. Rund 260 Mitglieder haben den Antrag unterschrieben.

Viele Anbieter preisen Alternativmedizin als Zusatzleistung an

Die Debatte wird nicht nur unter den Grünen leidenschaftlich geführt – denn sie betrifft die überwiegende Zahl der gesetzlich Versicherten in Deutschland. Obwohl die teuren Zuckerkügelchen keine nachweisliche Wirkung haben und somit nicht zum Leistungskatalog der Kassen gehören, preisen viele Anbieter die Alternativmedizin als freiwillige Zusatzleistung an. So legen derzeit 84 von 110 gesetzlichen Krankenkassen die Kosten auf ihre Versicherten um.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will an der umstrittenen Regelung nicht rütteln. Er hatte zuletzt die Frage aufgeworfen, ob die überschaubare Größenordnung eine emotionale Debatte wert sei. Für ihn sei die bestehende Regelung "okay". Spahns französische Amtskollegin Agnès Buzyn will die Praxis ab dem Jahr 2021 hingegen beenden. Ab dann dürfen die Kassen Kosten für Homöopathika in Frankreich nicht mehr erstatten.

Hinter den Kulissen tobt ein Interessenskampf

Einen solchen Vorstoß wollen jene Grünen-Mitglieder unbedingt verhindern, die die weißen Zuckerkügelchen nicht für Hokuspokus halten – und davon gibt es reichlich. Traditionell haben Naturheilverfahren und Homöopathie in der Ökopartei zahlreiche Fürsprecher. Unter ihnen sind klassische Gegner der Schulmedizin oder Anhänger der biodynamischen Landwirtschaft, die ihre Feldarbeit auf die Mondphasen und Planetenposition abstimmen. Aber auch eine ganze Industrie von Alternativmedizinern und Herstellern homöopathischer Präparate, die aus den Zuckerkügelchen ein Milliardengeschäft gemacht haben.

Es dauerte deshalb nicht lange, bis sich die Befürworter der Homöopathie in Stellung brachten. Sie fordern in mehreren Anträgen unter anderem, bei der Finanzierung durch die Krankenkassen am Status Quo festzuhalten. Grundsätze einer Grünen-Politik seien schließlich "Toleranz in der gesellschaftlichen Vielfalt und die Akzeptanz verschiedener Ansichten." Ihren innerparteilichen Gegnern werfen sie vor, ihnen gehe es "erkennbar nicht um wissenschaftliche Klärung, sondern um einen von Homöopathiegegnern inszenierten Glaubensstreit".

Einer der Anträge mit dem Namen "Für therapeutische Vielfalt in der Gesundheitsversorgung und für Methodenpluralismus in der medizinischen Forschung" ist nicht nur hart formuliert, sondern auch ein gutes Beispiel dafür, welcher Interessenskampf hinter den Kulissen tobt. Ein Absatz findet sich nahezu wortwörtlich in einem offenen Brief wieder, den Dachverbände der Homöopathie und andere alternativmedizinische Vereinigungen an die Kassenärztliche Bundesvereinigung geschrieben haben.

Die Parteispitze setzt auf einen Kompromiss

Für die Grünen kommt dieses Thema zur Unzeit. Sie könnte andere Schwerpunkte wie den Klimaschutz oder die Wirtschaftspolitik überstrahlen. Zudem zieht die Spitze rund um Habeck und Baerbock ihren Erfolg der letzten Monate in großen Teilen aus der Fähigkeit, alte Grabenkämpfe abzumoderieren.

Entsprechend zugeknöpft gibt sich die Partei auf die Frage nach einer klaren Positionierung. Eine Anfrage unserer Redaktion an Kordula Schulz-Asche, in der Bundestagsfraktion zuständig für das Thema Homöopathie, blieb bislang unbeantwortet. Auch aus der Partei wollte sich bislang niemand äußern.

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner will den schwelenden Brand mit einem Fachgespräch jenseits des Parteitages löschen. Statt über die einzelnen Anträge zu debattieren, sollen die Delegierten über eine Formulierung des Bundesvorstands abstimmen, der für beide Seiten annehmbar erscheint. "Grüne Gesundheitspolitik bekennt sich ausdrücklich zum Selbstbestimmungsrecht der Patienten und zur Therapiefreiheit der Ärzte", heißt es darin. "Diese Punkte wollen wir als Partei gemeinsam diskutieren, dazu gehört dann auch die Frage von Kostenübernahmen von homöopathischen Verfahren."

Gehen die Antragsteller darauf ein, wäre der Streit erstmal vertagt.

Quellen:

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