- Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischen Öl-Importen seit Beginn des Ukraine-Kriegs auf zwölf Prozent verringert.
- Wirtschaftsminister Robert Habeck hält es nun für möglich, komplett auf russisches Öl zu verzichten.
- Allerdings könnte dieser Schritt Folgen haben: für die Energiepreise und vielleicht auch für Gas-Lieferungen aus Russland.
Manchmal gelingen politische Vorhaben schneller als gedacht. Das gilt etwa für den Plan, Deutschland unabhängig von russischem Öl zu machen. Vor Beginn des Krieges in der Ukraine war Deutschland noch zu 35 Prozent abhängig von Erdöl-Lieferungen aus Russland. Inzwischen sind es nur noch zwölf Prozent – das verkündete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag. Ein komplettes Öl-Embargo wäre aus Habecks Sicht jetzt möglich: Man sei dem Ziel "sehr, sehr nahe gekommen".
Dass der Schritt machbar wäre, bedeutet aus Habecks Sicht jedoch nicht, dass er für Staat, Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger keinerlei Folgen hätte. Es könne zu "lokalen Ausfällen" kommen. Im Falle eines EU-weiten Embargos würden die Energiepreise wohl "drastisch" steigen, so
Raffinerie in Schwedt in russischer Hand
Ein letztes Problem auf dem Weg zur Öl-Unabhängigkeit bleibt laut Habeck die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Sie ist im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft, hätte also kein Interesse daran, auf russisches Öl zu verzichten. Auf die Raffinerie ist nicht nur der deutsche Nordosten angewiesen, sondern auch Westpolen. Dort wird Öl aufbereitet, um in den Zapfsäulen der Region zu landen.
Der deutsche Staat kann Rosneft mit der Drohung einer Enteignung dazu zwingen, auf russisches Öl zu verzichten. Habeck wollte auch eine tatsächliche Enteignung am Mittwoch nicht ausschließen. Deutschland wolle unabhängig von russischer Energie werden. "Unternehmen, die als Auftrag haben, nur russische fossile Energieträger zu verarbeiten, sind da nicht hilfreich", so Habeck.
In diesem Fall müsste aber Ersatz her. Öl könnte vom Hafen Rostock sowie aus Polen nach Schwedt kommen – über diesen Plan hat Habeck am Dienstag mit der polnischen Energieministerin verhandelt, wie er bei Twitter erklärte. Ein komplettes Öl-Embargo erscheint also rechtlich und praktisch machbar.
Kein Gas für Polen und Bulgarien – ein russischer Racheakt?
Doch die Frage ist, wie Russland auf diesen Schritt reagieren würde. Der deutsche Ökonom Jens Südekum, Professor für Internationale Wirtschaft an der Universität Düsseldorf, stellt jedenfalls einen Zusammenhang mit einer weiteren Nachricht her: Russland hat in der Nacht auf Mittwoch verkündet, seine Gas-Lieferungen an Polen und Bulgarien zu stoppen. Grund ist laut Moskau, dass die beiden Länder ihre Rechnungen nicht wie gewollt in Rubel bezahlt hätten.
Auf Twitter wertete der Ökonom Südekum diesen Schritt dagegen als russischen "Racheakt“ für den deutsch-polnischen "Deal" für eine Alternativversorgung der Schwedter Raffinerie.
Habeck allerdings hält den Zusammenhang zwischen seinem Öl-Stopp und dem russischen Gas-Lieferstopp gegen Polen für "nicht plausibel". Einen deutsch-polnischen "Deal" für Schwedt gebe es auch noch gar nicht, sagte er in der Bundespressekonferenz. Er habe mit seiner Kollegin lediglich über das Thema gesprochen. "Diese Gespräche werden fortgesetzt."
In diesem Jahr 2,2 Prozent Wachstum – oder eine Rezession
Wirtschaftswissenschaftler Südekum sieht noch weitreichendere wirtschaftliche Folgen: Moskau könne ein Gas-Embargo auch gegen Deutschland verhängen, schrieb er auf Twitter. Auf russische Gas-Lieferungen kann Deutschland aus Sicht der Bundesregierung aber nicht so schnell verzichten. 55 Prozent des verbrauchten Gases bezog die Bundesrepublik im vergangenen Jahr aus Russland. Die Industrie und auch die Regierung warnen vor weitreichenden Folgen eines Import-Stopps – auch wenn unter Expertinnen und Experten umstritten ist, wie schlimm diese Folgen wirklich ausfallen würden.
Habeck verkündete am Mittwoch auch die Wachstumsprognose der Bundesregierung für das laufende Jahr. Er geht davon aus, dass die Wirtschaft um 2,2 Prozent wachsen und die Arbeitslosenquote stabil bei rund fünf Prozent bleiben wird. Das ist aber nur der aktuelle Stand. Anders sähe es aus, wenn Russland wirklich den Gashahn zudreht und alle Energielieferungen einstellt. "Wenn das hinzukäme, hätten wir eine Rezession in Deutschland", so Habeck.
Noch fließt das Gas zuverlässig. Trotzdem stellt sich die Bundesregierung auch auf das Szenario eines Gas-Stopps ein. "Wir sind in einem Zustand, in dem Zukunft, Vorhersehbarkeit und Planbarkeit so offen sind wie selten zuvor", so Habeck.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz mit Robert Habeck in der Bundespressekonferenz
- Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
- Twitter-Account des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz
- Twitter-Account von Jens Südekum
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