- In Thüringen sind binnen weniger Tage vier Häuser der rechtsextremen Szene abgebrannt, darunter ein Objekt mit bundesweiter Bedeutung.
- Die Polizei ermittelt seit Tagen mit Hochdruck, bisher ist aber noch nichts über den oder die Täter bekannt.
- Neonazis machen derweil Linksextremisten für die Feuer verantwortlich und rufen zu Aktionen auf.
Das Herrenhaus des ehemaligen Ritterguts liegt am Rand des Örtchens Guthmannshausen, auf halbem Weg zwischen Erfurt und Halle. Am frühen Freitagabend stand der Dachstuhl des um 1700 erbauten Gebäudes in Flammen. Meterhoch schlugen die Flammen in den Himmel, tiefschwarzer Rauch stieg empor, wie Videoaufnahmen zeigten.
Neun Feuerwehren aus der Umgebung eilten zu dem Brand, 75 Feuerwehrmänner konnten das Feuer schließlich bis zum Samstagmorgen löschen. Verletzt wurde niemand, wie die Polizei mitteilte. Sie schätzt den Sachschaden auf einen höheren sechsstelligen bis niedrigen siebenstelligen Betrag.
Das alte Rittergut ist nicht irgendein alter Gebäudekomplex, sondern zählt zu den bundesweit zentralen Objekten der rechtsextremen Szene. Regelmäßig trafen sich dort Geschichtsrevisionisten, Holocaust-Leugner, NPD-Politiker oder militante Neonazis.
Und: Das Rittergut ist bereits das vierte von Neonazis genutzte Haus in Thüringen, das innerhalb weniger Tage abbrannte. Was steckt hinter dieser auffälligen Häufung?
Polizei ermittelt in alle Richtungen
Die Polizei hat für den Brand in Guthmannshausen eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Es laufen "intensive Ermittlungen in alle Richtungen", wie eine Sprecherin der zuständigen Landespolizeiinspektion Erfurt erklärte. Das Herrenhaus konnte wegen Einsturzgefahr noch nicht begangen werden. "Es besteht aber der Verdacht der Brandstiftung", sagte sie.
Diesen Verdacht gibt es auch bei drei anderen Fällen:
- In der Nacht vom 11. auf den 12. April steht ein von Neonazis betriebenes Sportstudio in Schmölln in Ostthüringen in Flammen.
- In derselben Nacht brennt eine unter anderem für Rechtsrock-Konzerte genutzte Halle im nur wenige Kilometer davon entfernten Ronneburg fast bis auf die Grundmauern nieder.
- Und in der Nacht auf den 19. April wird eine ehemalige Gaststätte, die als Bandproberaum sowie für Konzerte und Partys genutzt wurde, im südthüringischen Sonneberg nahezu vollständig zerstört.
Im Gespräch mit unserer Redaktion halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft bedeckt. "Die Prüfungen, ob bei den Brandstiftungen politische Hintergründe eine Rolle spielen und ob es Zusammenhänge zwischen den Bränden gibt, sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen", erklärte die Landespolizeidirektion Erfurt in einer schriftlichen Stellungnahme auf unsere Nachfrage.
Oberstaatsanwalt Jochen Grundler von der für den Fall in Sonneberg zuständigen Staatsanwaltschaft Meiningen bestätigte die Ermittlungen wegen des Verdachts der Brandstiftung und dass auf den "Zuweg Hindernisse gelegt" wurden. Die Polizei musste laut MDR mehrere dicke Baumstämme aus dem Weg räumen, ehe die Feuerwehr den Brand löschen konnte. Der Sachschaden des szeneintern "Obersalzberg" genannten "Waldhauses" wird auf 100.000 Euro geschätzt.
Haben angereiste Linksextremisten die Feuer gelegt?
Thüringen ist seit Jahren einer der bundesweiten Hotspots rechtsextremer Aktivitäten. "Da gibt es nichts schönzureden", sagte Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan J. Kramer unserer Redaktion vor einem Jahr. Die linksextreme Szene ist dagegen vergleichsweise überschaubar.
Laut dem aktuellen Thüringer Verfassungsschutzbericht kommt es aber "regelmäßig zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene". In der Vergangenheit waren das ausschließlich Farbanschläge und zerschlagene Scheiben. Brandanschläge gab es im Berichtszeitraum nur auf Fahrzeuge.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) will nun aus Sicherheitskreisen erfahren haben, dass die Behörden auswärtige linksextreme Gruppen hinter den vier Bränden vermuten. Diese könnten demnach aus Leipzig oder Berlin angereist und von Personen mit Ortskenntnissen unterstützt worden sein.
Brand am helllichten Tag
Ausgeschlossen wird laut RND aber auch nicht, dass Rechtsextremisten selbst die Feuer legten, um sie Linken zuschreiben zu können. Auffällig ist etwa beim Brand in Guthmannshausen, dass das Feuer am helllichten Tag und zudem noch im vergleichsweise schwierig zu erreichenden Dachstuhl gelegt worden sein soll. Das Gelände gilt zudem als gut bewacht.
Auf dem Gelände errichtete der neonazistische und von der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck gegründete Verein "Gedächtnisstätte e.V." mehrere Gedenksteine, die ausschließlich an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnern. Auf mehreren der Stelen wurde "eine schwarze Substanz aufgebracht", berichtet die Sprecherin der Erfurter Polizei. Es seien aber weder Schriftzüge noch Zeichen zu erkennen. Die Polizei konnte nicht sagen, ob die Farbe im Zusammenhang mit dem Brand steht, wie es der Verein behauptet.
Versicherungsbetrug ist eine weitere These, die unter Kennern der örtlichen Neonazi-Szene kursiert. Womöglich seien die Kosten für den Unterhalt insbesondere des Lokals in Sonneberg zu hoch gewesen. Das Handy des Betreibers soll von der Polizei sichergestellt worden sein.
Aus Sicht der Thüringer Linken-Politikerin Katharina König-Preuss ist der Hintergrund der Brandstiftungen "zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös einzuordnen". Bisher gebe es etwa noch kein veröffentlichtes und validiertes Bekennerschreiben.
Zugleich erinnerte sie an einen Fall von 2013: Damals brannten in Erfurt 15 nagelneue Polizeifahrzeuge. "Schnell war die linke Szene in Verdacht und stand intensiv im Fokus der Polizei", erklärt König-Preuss auf Anfrage unserer Redaktion. Fünf Jahre später gestand aber ein NPD-Anhänger, er sei verantwortlich für den 750.000 Euro teuren Schaden.
Rechtsextreme Racheakte befürchtet
Während die Täter weiter unbekannt sind, steigt die Gefahr rechtsextremer Aktionen. Das befürchtet die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags und innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Madeleine Henfling: "Die rechte Szene hat bereits auf linke Täter geschlossen. Es steht zu befürchten, dass linke Projekte, Gebäude und Antifaschisten Ziel von rechten Gewalttätern werden", sagte sie auf Anfrage unserer Redaktion.
"Besonders in Ostdeutschland besteht eine konkrete Gefährdungssituation für Antifaschistinnen und Antifaschisten", betont auch Katharina König-Preuss. "Ich befürchte zeitnah Übergriffe von Neonazis auf Personen und Objekte, die der linken Szene zugerechnet werden, auch da mehrere Führungspersonen des rechten Spektrums, teils offen, teils verklausuliert zu Angriffen und Racheaktionen aufgerufen haben."
Tatsächlich stellte sich etwa NPD-Vize Thorsten Heise vor ein alternatives Jugendzentrum in Göttingen und rief in einem auf Facebook veröffentlichten Video verklausuliert zu Attacken auf. "Sucht den Dialog mit eurer örtlichen Antifa", rief Heise seine Kameraden auf. Wenn die Sicherheitsbehörden ihren "Job nicht machen können, machen wir ihn".
Es gebe eine in Sachsen und Thüringen agierende "linke Terrorzelle", behauptet Heise in einem weiteren Video. Auch der Südthüringer Neonazi Tommy Frenck rief mit Blick auf den jüngsten Brand auf seiner Facebook-Seite dazu auf, "die Konsequenzen zu ziehen, die sich nun ergeben".
Thüringer Sicherheitsbehörden sind alarmiert
Der Ex-NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt reiste am Sonntag selbst nach Guthmannshausen. Vor dem Haus stehend sprach er in einem ebenfalls auf Facebook verbreiteten Video vom "achten Anschlag in Thüringen" binnen weniger Tage.
Voigt forderte seine Kameraden zur "Objektsicherung" auf, "denn ganz offensichtlich tut das ja sonst niemand". Die "linksradikale Gewalt" würde Deutschland "überrennen", erklärte er weiter. Ein von einem bekannten Neonazi betriebener Onlineshop verkauft seit Kurzem Aufkleber mit einem Fadenkreuz und der Aufschrift "Kill your local Antifa".
Die Sicherheitsbehörden sind alarmiert. "Äußerungen bzw. Reaktionen aus der rechten Szene fließen in diesem Zusammenhang in die polizeiliche Lagebeurteilung ein", erklärte die Landespolizeidirektion Erfurt in einer E-Mail an unsere Redaktion.
Dem Vernehmen nach laufen derzeit in Thüringen Abstimmungen, ob die Ermittlungen der Brände bei der Staatsanwaltschaft Gera, der landesweiten Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität, zusammengeführt werden oder ob sogar die Generalbundesanwaltschaft übernimmt.
Verwendete Quellen:
- Telefonate mit mehreren Thüringer Polizeidienststellen sowie Oberstaatsanwalt Jochen Grundler
- Pressemitteilungen der Polizei zu den Bränden in Sonneberg und Guthmannshausen
- Schriftliches Statement der Landespolizeidirektion Erfurt
- Schriftliches Statement der Grünen-Politikerin Madeleine Henfling
- Schriftliches Statement der Linken-Politikerin Katharina König-Preuss
- Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2019
- Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Nach Bränden rechter Szenetreffs: Thüringer Behörden fürchten Spirale der Gewalt"
- MDR: "Baumstämme in der Zufahrt: Brand in 'Waldhaus' offenbar gelegt"
- Twitter-Profil des Journalisten Johannes Grunert
- Broschüre der Mobilen Beratung in Thüringen (Mobit): "Nach den rechten Häusern sehen"
- eigene Recherchen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.