Nach den Äußerungen von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, Videoaufnahmen von den Demonstrationen in Chemnitz seien womöglich nicht authentisch, reagieren Politiker mit Kritik. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt greift Maaßen scharf an, Linken-Chefin Katja Kipping fordert seine Ablösung und nennt ihn "AfD-Versteher".
Linken-Chefin
Maaßen sei "in diesem Amt nicht mehr haltbar", sagte Kipping am Freitag in Berlin. Anstatt die Verfassung zu verteidigen, missbrauche Maaßen "die Autorität seines Amtes, um jenen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen".
Damit betreibe der Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes "das Geschäft der rechtsradikalen Verfassungsfeinde" und gebe "ihren systematischen Fake-News-Kampagnen, es hätte keine rechte Gewalt und Straftaten gegeben, Unterstützung von offizieller Seite".
SPD-Vize Stegner fordert Maaßens Entlassung
Auch von der SPD kommt die Forderung nach der Entlassung Maaßens. SPD-Vize
Stegner sagte weiter, es gebe Berichte von Medien und Augenzeugen, "dass da Leute mit Hitlergruß, Leute mit entblößten Hinterteilen, Leute die gerufen haben "wir töten Euch alle", durch die Straßen marschiert sind". All das habe mitten in Deutschland stattgefunden. "Wer das verharmlost und gleichzeitig auch noch freundschaftlich die AfD-Spitze berät (...), der ist in seinem Amt nicht mehr tragbar."
Göring-Eckardt: "Herr Maaßen wird seiner Aufgabe nicht mehr gerecht"
Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt griff den Präsidenten des Verfassungsschutzes scharf an.
"Ich erwarte mir von Herrn Maaßen keine vertrauenswürdige Einschätzung mehr", teilte Göring-Eckardt am Freitag mit. "Allein, dass er sich nur zu einem Video, aber nicht zu den Gewalttaten und dem öffentlichen Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen in Chemnitz äußert, zeigt mir, dass Herr Maaßen seiner Aufgabe nicht mehr gerecht wird."
Mit Maaßen und Bundesinnenminister
Maaßen sieht "gute Gründe für gezielte Falschinformation"
Maaßen hatte Zweifel geäußert, dass es während der rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz zu regelrechten Hetzjagden auf Ausländer gekommen war.
"Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt", sagte Maaßen der "Bild"-Zeitung.
Dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben".
Über das Video, das Jagdszenen auf ausländisch aussehende Menschen nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigen soll, sagte er: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist."
Nach seiner vorsichtigen Bewertung "sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".
Seehofer spricht Maaßen Vertrauen aus
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte sich am Freitag hinter Verfassungsschutzpräsident Maaßen.
Auf die Frage, ob Maaßen sein Vertrauen habe, antwortete er mit "Ja. Herr Maaßen hat mein volles Vertrauen".
Er stehe im ständigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden, darunter auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dies gelte auch für die Vorfälle in Chemnitz. Sein Informationsstand sei mit dem von Maaßen identisch, sagte Seehofer.
ARD-Faktenfinder: Keine Indizien für Fälschung
Laut dem Faktenfinder der ARD lassen sich jedoch keine Indizien für eine Fälschung des Videos aus Chemnitz finden: "Vom zeitlichen Ablauf, den Wetterverhältnissen, dem Ort, den Zeugenberichten und anderen Videos sprechen alle Indizien dafür, dass die Videos authentisch sind."
Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann (SPD) hatte ebenfalls Unverständnis für die Zweifel des Verfassungsschutz-Präsidenten geäußert: "Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört. Wir haben gesehen, wie Menschen da den Hitlergruß offen auf der Straße gezeigt haben", sagte er am Freitag im Deutschlandfunk.
Auch eine Gruppe von Sozialdemokraten sei auf dem Weg zum Bus von rechten Hooligans angegriffen worden. Oppermann forderte, dass der Staat gegen solche Zustände gegenhalten müsse. "Wir haben ein staatliches Gewaltmonopol und ehrlich gesagt: Das zu verteidigen, ist auch Aufgabe des Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz."
Auch Kanzlerin Merkel hatte von "Hetzjagden" gesprochen
Nach der Tötung eines 35-Jährigen in Chemnitz hatte es dort in den vergangenen zwei Wochen mehrfach Kundgebungen rechter Gruppen gegeben. Dabei wurden auch Ausländer und Journalisten angegriffen.
Den Begriff "Hetzjagd" hatte unter anderem Kanzlerin Angela Merkel benutzt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer widersprach ihr am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Landtag.
Das Geschehen in Chemnitz müsse richtig beschrieben werden, sagte er. "Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome."
Zwei mutmaßlich aus Syrien und dem Irak stammende Männer sitzen wegen des Tötungsdelikts in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen wird seit Dienstag gefahndet. (jwo/mgb/dh/ank/dpa/AFP) © dpa
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