Angela Merkel hält an der US-Eliteuniversität Harvard eine Rede, die es in sich hat. Obwohl die Bundeskanzlerin US-Präsident Donald Trump kein einziges Mal erwähnt, ist für jeden klar, auf wen ihre Kritik gemünzt ist.

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In einer emotionalen Rede an der US-Eliteuniversität Harvard hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für internationale Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt geworben - und sich scharf von US-Präsident Donald Trump abgegrenzt.

"Veränderungen zum Guten sind möglich, wenn wir sie gemeinsam angehen", sagte Merkel am Donnerstag bei ihrer immer wieder von langem Beifall und Jubel unterbrochenen Ansprache vor Absolventen der renommierten Hochschule. "In Alleingängen wird das nicht gelingen."

Auch wenn Merkel Trump kein einziges Mal namentlich erwähnte, wirkte ihre Rede wie eine Abrechnung mit der Politik des US-Präsidenten.

Die Kanzlerin sprach in Cambridge im Bundesstaat Massachusetts vor rund 20.000 Menschen: Absolventen und deren Angehörige, Studenten, Professoren und Ehemalige.

Havard: Merkels Botschaften - und Trumps Haltung

Multilateralismus: Jeder in Harvard wusste, auf wen Merkel anspielte, als sie sagte: "Mehr denn je müssen wir multilateral statt unilateral denken und handeln. Global statt national."

Der bekennende Nationalist Trump scheint dagegen mit seiner "America First"-Politik seit seinem Amtsantritt daran zu arbeiten, die Nachkriegsordnung auf den Kopf und jahrzehntealte Bündnisse in Frage zu stellen.

Handel: "Protektionismus und Handelskonflikte gefährden den freien Welthandel und die Grundlagen unseres Wohlstandes", sagte Merkel. Trump hat zahlreiche Handelskonflikte vom Zaun gebrochen und droht mit Strafzöllen auf Autos aus der EU, wovon besonders deutsche Hersteller betroffen wären.

Am Donnerstagabend (Ortszeit) kündigte er Strafzölle auf alle Importe aus Mexiko ab dem 10. Juni an, sollte die dortige Regierung die illegale Migration in die USA nicht stoppen.

Klimawandel: Merkel forderte in Harvard, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Sie räumte ein, dass auch die Bundesregierung dabei besser werden müsse. Trump hat die USA - einen der größten Verursacher von Treibhausgasen weltweit - aus dem internationalen Pariser Klimaschutzabkommen zurückgezogen.

Merkel sagte, Klimawandel sei vom Menschen verursacht. Trump zweifelt das an (auch wenn er Klimawandel - anders als früher - inzwischen nicht mehr für einen "Scherz" hält).

Erst nachdenken, dann handeln: Merkel sagte, schwierige Fragen könnten gelöst werden, "wenn wir bei allem Entscheidungsdruck nicht immer unseren ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen". Kaum ein Politiker ist impulsiver als Trump, der seinen Emotionen ungefiltert auf Twitter freien Lauf lässt.

Mauern: Merkel erzählte von ihrer Vergangenheit in der DDR. Die Berliner Mauer habe ihr Leben damals sehr eingeschränkt, ihr aber nie ihre Träume und Sehnsüchte nehmen können, sagte sie.

Die Kanzlerin sprach sich auch dafür aus, "Mauern in den Köpfen" einzureißen. Mauern haben mit Blick auf Trump eine besondere Bedeutung: Der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko ist eines seiner Kernanliegen.

Lügen und Wahrheiten: Merkel warb für "Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und gegenüber uns selbst", und sie sagte: "Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen." Trump verunglimpft die Berichterstattung in kritischen Medien als "Fake News", seine Beraterin Kellyanne Conway hat den Begriff "alternative Fakten" geprägt.

Trump ist berüchtigt für sein besonderes Verhältnis zur Wahrheit: Die Faktenchecker der "Washington Post" haben seit Trumps Amtsantritt Anfang 2017 mehr als 10.000 falsche oder irreführende Behauptungen des US-Präsidenten gezählt.

Wie kam Merkels Rede in Harvard an?

Merkel trat in Harvard bescheiden auf, wurde aber dennoch wie ein Popstar gefeiert. Mehr als 30 Mal brandete bei der 35-minütigen Ansprache Beifall auf, mehrfach erhob sich das Publikum, um Merkel stehend Respekt zu zollen. Besonders viel Applaus gab es bei jenen Stellen, an denen Merkel - auch ohne Namensnennung für alle Zuhörer klar erkennbar - Kritik an Trump äußerte.

Einschränkend muss man aber sagen: Harvard ist eine liberale Hochburg in den USA, repräsentativ für die Meinung im Land ist die Hochschule keineswegs. Trump verfügt weiterhin über eine solide Basis - die Merkel mit Sicherheit nicht so begeistert empfangen hätte.

Havard: Merkels Flüchtlingspolitik

Der promovierten Physikerin wurde am Donnerstag die Ehrendoktorwürde von Harvard verliehen. Die offizielle "Harvard Gazette" nannte zur Begründung unter anderem die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin – just jenes Thema also, das ihr zu Hause Kritik eingebracht hat wie kein anderes.

"Mit ihrem Slogan 'Wir schaffen das' wurden Merkels vier Amtszeiten geprägt von scharfsinniger Entschlossenheit und Pragmatismus", schrieb das Blatt in seiner Sonderausgabe zur Abschlussfeier über die "Kanzlerin der freien Welt".

Das sagen Harvard-Absolventen über Merkel

Während sich junge Wähler in Deutschland bei der Europawahl massenhaft von der CDU abgewandt haben, wirkten am Donnerstag viele Harvard-Absolventen wie regelrechte Merkel-Fans.

Er sei "begeistert", dass Merkel bei seiner Abschlussfeier spreche, sagte der 26-jährige Ethan Hughes. "Viele Amerikaner blicken auf sie, wegen des Mangels an politischer Führung hier."

Mit-Absolvent Ahmad Kareh (37) bescheinigte Merkel eine "Leidenschaft für Demokratie". Der Jordanier Malek Hassan (27), der gerade sein Medizinstudium abgeschlossen hat, nannte die Kanzlerin "eine Inspiration für die junge Generation".

Harvard-Absolventin Marcella Vutto (38) aus Düsseldorf sagte: "Frau Merkel hat international einen ausgezeichneten Ruf." In Deutschland werde das "gar nicht so wahrgenommen".

Ihre Kommilitonin Sonja Krein (28) aus Köln meinte: "Ich glaube, Merkel hat ein sehr gutes Image – gerade in Zeiten von Trump." Krein fügte mit Blick auf Merkels Rede hinzu: "Das ist schon cool, heute als Deutsche dabei sein zu können."

Wo war eigentlich Trump?

Obwohl Merkel in den USA war, traf Trump die Kanzlerin nicht - warm geworden sind die beiden nie miteinander. Nach Angaben eines deutschen Regierungssprechers hatte die US-Seite frühzeitig mitgeteilt, dass der Präsident nicht in Washington sein werde.

Trump sprach am Donnerstag ebenfalls vor Absolventen, allerdings rund 2850 Kilometer von Harvard entfernt, nämlich an der US Air Force Academy im US-Bundesstaat Colorado. Nichts und niemand werde jemals die Vereinigten Staaten von Amerika stoppen, rief er dort.

Pompeo in Berlin

Zwar ist weiterhin nicht absehbar, wann es zu einem bilateralen Gespräch zwischen Merkel und Trump kommt. Allerdings wird an diesem Freitag Mike Pompeo die Kanzlerin bei seinem ersten Besuch als US-Außenminister treffen - nur wenige Stunden nach Merkels Rückkehr aus Amerika.

Pompeo holt seinen vor gut drei Wochen kurzfristig abgesagten Deutschland-Besuch nach. Damals zog der US-Außenminister es vor, wegen der Iran-Krise in den Irak zu reisen - er sorgte damit für Irritationen in der Regierungskoalition in Berlin.

Merkels Leben nach dem Kanzleramt

Merkel machte in Harvard erneut deutlich, dass ihre Zeit als Kanzlerin zu Ende geht - auch wenn sie kurz vor ihrer Reise noch einmal betont hatte, dass sie bis zum Jahr 2021 zur Verfügung steht.

"Ich glaube, dass wir immer wieder bereit sein müssen, Dinge zu beenden, um den Zauber des Anfangs zu spüren und Chancen wirklich zu nutzen", sagte sie den Harvard-Absolventen. "Und wer weiß, was für mich nach dem Leben als Politikerin folgt. Es ist völlig offen. Nur eines ist klar: Es wird wieder etwas Anderes und Neues sein." (dpa/fte)

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