- Angesichts steigender Infektionszahlen werden Rufe lauter, die Pandemie stärker einzudämmen.
- Nun soll mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine Reihe von Vorgaben festgelegt werden - und zwar einheitlich.
- Doch es gibt auch Kritik.
Die geplante Corona-Notbremse mit verbindlichen Regeln für den Kampf gegen die dritte Welle der Pandemie in ganz Deutschland hat im Bundestag zu einem heftigen Schlagabtausch geführt. Die Abgeordneten von Union und SPD stimmten am Mittwoch in zweiter Lesung dem Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu. Die Schlussabstimmung sollte am Nachmittag folgen.
Die Opposition kritisierte am Mittwoch vor der entscheidenden Abstimmung im Plenum unter anderem erhebliche Grundrechtseinschränkungen. Vizekanzler
Scholz: "Brauchen Klarheit und Konsequenz"
Scholz sagte: "Was wir brauchen, ist Klarheit und Konsequenz." Es solle festgelegt werden, dass bei Überschreiten hoher Infektionswerte etwas getan werden müsse, und zwar "überall in Deutschland und immer und in jedem Fall". Es gehe nicht um einen Dauerzustand, sondern darum, die Pandemie zu überwinden.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb für Zustimmung zu den Plänen, die der Reduzierung von Kontakten dienen sollen: "Die Lage ist ernst, sehr ernst." Er sagte: "Wenn wir Leid vermeiden können, sollten wir es vermeiden."
5.000 Menschen lägen derzeit mit COVID-19 auf Intensivstationen: "Tendenz weiter steigend, bei sinkendem Alter der Patienten." Zwei Drittel aller Ausbrüche fänden derzeit im privaten Bereich statt.
Bundesweite Notbremse soll einheitliche Regeln ab einer Inzidenz von 100 festlegen
Die Notbremse soll bundesweit verbindliche Regeln für schärfere Corona-Gegenmaßnahmen festlegen - mit konkreten Vorgaben bei hohen Infektionszahlen. Dazu gehören weitgehende Ausgangsbeschränkungen von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr, Schulschließungen und strengere Bestimmungen für Geschäfte.
Gezogen werden soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Fürs Umschalten auf Fernunterricht in Schulen soll ein Wert von 165 gelten. Die Regelungen sollen bis Ende Juni gelten.
Opposition äußert scharfe Kritik
Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte: "Ja, es geht um Leben und Tod." Das Pandemiegeschehen müsse dringend eingedämmt werden. Die Bundesregierung versuche aber, Grundrechte "praktisch im Vorbeigehen" einzuschränken und ihre Befugnisse auszuweiten.
Unverhältnismäßig sei, dass ab einem Inzidenzwert 100 Ausgangssperren kommen sollten, Kinder aber bis zu einem Wert von 165 zur Schule gehen. "Woher haben Sie eigentlich diese Zahlen? Würfeln Sie die aus?"
Die FDP bekräftigte ihre Drohung, gegen Ausgangsbeschränkungen Verfassungsbeschwerde einzulegen. Diese seien "keine geeigneten Maßnahmen", sagte Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus.
"Sie schränken nur in unzulässiger Weise die Grundrechte ein und treiben die Menschen in den privaten Bereich." Die Alternativen zur "Bundes-Notbremse" seien gesteigertes Impfen und Testen sowie eine bessere Aufklärung über Kontaktvermeidung.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sprach von einem "Angriff auf die Freiheitsrechte, den Föderalismus wie den gesunden Menschenverstand". Die Regierung habe in der Impfstoffbeschaffung versagt und versuche nun, die Opposition durch moralischen Druck zur Zustimmung zu bewegen.
Kritiker würden nicht ernst genommen. "Sie können nicht das halbe Volk zu Querulanten machen", sagte er mit Verweis auf Menschen, die am Mittwoch in Berlin gegen die Corona-Politik demonstrierten.
Die Grünen forderten dagegen schärfere Regeln gegen die dritte Corona-Welle als nun geplant. "Insgesamt reichen diese Maßnahmen nicht aus, um tatsächlich eine Trendumkehr hinzubekommen", sagte Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink. Sie warf Union und SPD vor: "Sie handeln zu spät, zu unwirksam." Die Grünen wollten sich bei der Abstimmung über den Entwurf enthalten.
Brinkhaus: Infektionsschutzgesetz "ist ein Gesetz fürs Leben"
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus warb eindringlich um Zustimmung: "Dieses Gesetz ist ein Gesetz fürs Leben." Der CDU-Politiker räumte ein, dass die Einschränkungen etwa vielen Händlern schwer zu schaffen machen.
Wenn ihn die Krise um den Schlaf bringe, denke er aber vor allem an Menschen, die krank geworden seien. "Und ich denke an die Menschen, die sterben." Er hätte ein härteres und schärferes Gesetz bevorzugt, aber nun sei es wichtig, den Kompromiss zu verabschieden.
Die neuen Regelungen könnten frühestens ab diesem Samstag greifen. Bevor das geschehen kann, müssen sie am Donnerstag den Bundesrat passieren. Zudem muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz unterzeichnen.
Es ist offen, ob das am Donnerstag geschehen wird, weil das Gesetz - wie jedes andere auch - im Präsidialamt erst geprüft wird. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt könnte möglicherweise noch am selben Tag wie die Unterzeichnung erfolgen.
Es könnte also sehr schnell gehen: Als der Bundesrat im März 2020 das Gesetzespaket zu den Corona-Hilfen absegnete, unterzeichnete Steinmeier es zwei Stunden später. Noch am Abend desselben Tages wurde die Regelung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.
Damit die Notbremse greift, muss die Sieben-Tage-Inzidenz an drei Tagen über 100 liegen. Diese drei Tage sollen nach dem jüngsten Entwurf nun auch schon die drei Tage unmittelbar vor Inkrafttreten des Gesetzes sein. (dpa/ank)
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