Helena Marschall spricht am Mittwoch für Fridays for Future bei der Siemens-Hauptversammlung. Die 17-Jährige fordert den Technologiekonzern auf, seinen umstrittenen Australien-Deal aufzukündigen. Im Interview mit unserer Redaktion betont sie, dass sich andere Unternehmen nicht sorglos zurücklehnen sollten.
Frau Marschall, Sie werden bei der Siemens-Hauptversammlung sprechen. Was ist Ihnen bei Ihrer Rede am wichtigsten?
Helena Marschall: Ich will dort vor allem die Aktionärinnen und Aktionäre ansprechen, an ihre Verantwortung gegenüber meiner Generation appellieren. Natürlich richtet sich unser Anliegen auch an die Verantwortlichen im Unternehmen. Aber die haben die Botschaft nun schon oft gehört – und klar empfangen. Die Hauptversammlung bietet die einmalige Chance, die recht mächtige Gruppe Menschen persönlich anzusprechen, die Aktien halten und dadurch Druck auf die Entscheider ausüben können.
Siemens will die Technik für eine Bahnstrecke in Australien liefern und wird damit den Ausbau des Kohleabbaus unterstützen. Geht es Ihnen vor allem um dieses umstrittene Geschäft?
Ich werde mich nicht allein auf den Adani-Deal konzentrieren: Er ist nur das Symptom eines viel weitgreifenderen Problems: Ein Unternehmen wie Siemens, das sich nach außen gerne grün präsentiert, beschließt, in diesen Zeiten noch in rückwärtige Technologien zu investieren. In diesem Jahr geht der Konzern mit seinem Energieableger "Siemens Energy" an die Börse. Es ist unmöglich, dass der Konzern dabei noch auf fossile Energieträger setzt.
Glauben Sie, dass Fridays for Future Siemens mit Protesten zum Einlenken bewegen kann?
Letztendlich muss der Konzern einlenken, wenn er Teil der Zukunft sein und die Energiewende vorantreiben will. Selbst die Internationale Energieagentur warnt inzwischen davor, dass Unternehmen, die weiter auf fossile Energieträger setzen, in Zukunft nicht mehr profitabel sein können. Genau genommen gibt es also gar keinen Widerspruch zwischen der Zukunft von Siemens und meiner Zukunft: Sie sind eng miteinander verwoben. Der Adani-Deal bringt das 1,5-Grad-Klimaziel, für das sich die Staaten im Pariser Klimaabkommen ausgesprochen haben, ernsthaft in Gefahr. Deswegen ist es die einzig realistische Möglichkeit für Siemens, den Vertrag aufzukündigen.
Ihre Bewegung appelliert an die Verantwortung von Unternehmern. Ist es nicht naiv zu erwarten, dass sich dadurch etwas ändert?
Wäre dann nicht aller Klima-Aktivismus naiv? In den vergangenen Monaten hat sich einiges geändert: Regierungen rufen den Klimanotstand aus, Millionen Menschen gehen weltweit auf die Straßen, Aktivisten besetzen Kohlekraftwerke. Wir haben immerhin ein Klimapaket – auch wenn es absolut unzureichend ist. Siemens kann jetzt beschließen, Teil der Veränderung zu sein und sie voranzutreiben – oder eben nicht. Ich würde vielmehr sagen: Es ist naiv von Unternehmen, die Macht der jungen Menschen und der Klimabewegung zu ignorieren und sich trotz aller Warnungen aus der Wissenschaft an veralteten Technologien festzuklammern.
Siemens-Chef Joe Kaeser soll Ihrer Mitstreiterin Luisa Neubauer einen Sitz in der Konzernaufsicht angeboten haben. Das hat großen Medienrummel ausgelöst.
Aus meiner Sicht ist das eine lächerliche PR-Strategie. Und es ist absurd, dass wir unrealistische Personaldebatten führen, während es um die Lebensgrundlage von Menschen geht. Aber: In jedem Medienbeitrag zum Thema haben Journalisten über das Adani-Projekt aufgeklärt. Insofern hat Kaeser uns damit eine Bühne gegeben – seine Zickzack-PR-Strategie hat uns also durchaus auch in die Hände gespielt.
Was wäre, wenn Sie und Ihre Mitstreiter bei Siemens entscheiden dürften?
Dann würden wir trotz drohender Vertragsstrafe den Australien-Deal aufkündigen. Und dann einen Ausstiegsplan erstellen: um so schnell wie nötig auf erneuerbare Energien und zukunftsfähige Wirtschaftssektoren zu setzen. Aber ich traue Siemens eigentlich durchaus zu, das auch ohne unsere Unterstützung hinzubekommen. Die Verantwortlichen müssen nur endlich die richtigen Entscheidungen treffen.
Joe Kaeser hat nun angekündigt, am Mittwoch "etwas großartiges Neues" in Sachen Klimaschutz zu verkünden.
Ich bin natürlich gespannt, was er damit meint. Aber letztendlich können die Verantwortlichen nicht immer nur darüber sprechen, was sie in Zukunft alles anders machen wollen. Sie müssen auch bereits getroffene Entscheidungen hinterfragen – und sie, wenn nötig, rückgängig machen. Wir haben das ja auch schon bei der Bundesregierung gesehen: Große Versprechungen sind schnell gemacht – aber es kommt am Ende darauf an, wie man wirklich handelt.
Anders als im ersten Jahr der FFF-Bewegung stehen 2020 nicht nur politische, sondern verstärkt wirtschaftliche Akteure im Fokus der Proteste und Aktionen. Warum?
Wir gehen nicht von der Politik weg, sondern wir setzen einen weiteren Schwerpunkt. Unternehmen tragen genauso Verantwortung wie die Politik – und sie können manchmal schneller handeln, wenn sie die Ernsthaftigkeit der Lage verstanden haben. Dass wir gerade viel über Siemens reden, bedeutet aber nicht, dass wir die Bundesregierung davon kommen lassen: etwa mit dem Kohlekraftwerk Datteln 4, das im Sommer ans Netz gehen soll. Das werden wir so nicht stehen lassen. Aber wenn sich unsere Kampagnen gleichzeitig gegen Unternehmen richten, die besonders verantwortungslos handeln, können wir noch stärker sein.
Warum wagen Sie sich dann nicht an große CO2-Verursacher wie EON, RWE oder Vattenfall?
Siemens steht gerade wegen der katastrophalen Adani-Entscheidung so stark im Fokus: weil es diesen konkreten Anlass gibt. Aber es ist doch ganz klar, dass auch andere Unternehmen große Verantwortung tragen – und wir diese mit Aktionen darauf hinweisen werden. Wir haben mit Unterstützung des Vereins "Kritische Aktionärinnen und Aktionäre" auch schon auf anderen Aktionärsversammlungen gesprochen: etwa bei VW, bei RWE oder der Deutschen Bank. Wir können uns gut vorstellen, als nächstes die Datteln-4-Betreiber Uniper und Fortum in die Pflicht zu nehmen, aber beispielsweise auch Banken und Versicherungen. Die Sparkassen etwa setzen in vielen Kommunen noch auf fossile Fonds. Wir sind gerade erst am Anfang – andere Unternehmen sollten sich keinesfalls sorglos zurücklehnen.
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