Norbert Röttgen spricht über den Kampf um den CDU-Vorsitz in Corona-Zeiten, über seine Vorstellungen einer modernen CDU, über seine mögliche Generalsekretärin, über sein Image des Intellektuellen und den Streit mit den Grünen um die Wähler der Mitte.

Ein Interview

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Norbert Röttgen bewirbt sich wie Armin Laschet und Friedrich Merz um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende. Während ihm zu Beginn maximal Außenseiterchancen auf das Amt des CDU-Chefs eingeräumt wurden, sieht Röttgen sich inzwischen in einer guten Ausgangsposition - auch bedingt durch die Corona-Pandemie.

Im ersten Teil des ausführlichen Exklusiv-Interviews gibt der 55 Jahre alte Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und ehemalige Umweltminister (2009 - 2012) Auskunft über seine Idee, wie er der Union neues Leben einhauchen will.

Außerdem erklärt er, seine Kandidatin für den Posten des zweitwichtigsten Parteiamtes gefunden zu haben. Und verrät, warum er keinen Koalitions-, sondern einen Unions-Wahlkampf führen will.

Im zweiten Teil des Interviews spricht Röttgen über Außen- und Innenpolitik: warum ein Präsident Biden nur bedingt die bessere Wahl aus deutscher Sicht wäre, was er vom türkischen Machthaber Erdogan hält, wie sein Konzept der künftigen Mobilität aussieht und wie er die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung besser gewährleisten will.

Herr Röttgen, mit Ihrer Bewerbung um den CDU-Vorsitz wollten Sie ein klares Zeichen gegen die "Hinterzimmer-Absprachen" setzen. Funktioniert Politik nicht auch immer über solche vertraulichen Gespräche zwischen den handelnden Personen?

Norbert Röttgen: Ich habe nichts gegen Zimmer, in denen man diskutiert und spricht. Aber das Hinterzimmer hat ja eine besondere Bedeutung, nämlich in seiner Absicht, Offenheit, Transparenz und Wettbewerb zu umgehen. Und wenn man wie ich davon überzeugt ist, dass die CDU Aufbruch und Erneuerung braucht, dann geht es eben nicht darum, im Wesentlichen eine personelle Lösung zu finden, sondern dass die CDU ihre Zukunft bestimmt und klarmacht, was ihr Programm und ihr Angebot an die Wählerinnen und Wähler ist für das vor uns liegende Jahrzehnt. Das muss diskutiert und inhaltlich bestimmt werden. Dafür sind Wettbewerb und Auswahl sehr notwendig.

Birgt dieser Wettbewerb nicht auch Gefahren? Er könnte die Partei neun Monate vor der Bundestagswahl spalten.

Es ist keine Kampfkandidatur, weil niemand gegen den Amtsinhaber antritt. Es ist lediglich eine Auswahl. Ich glaube, dass mit meiner Person diese Gefahr der Spaltung nicht verbunden ist. Ich stehe für kein Lager, sondern ich bin breit von den Mitgliedern wählbar und auch für die Unterstützer der anderen beiden Kandidaten akzeptabel, wenn ich von einer Mehrheit gewählt werde. Das ist auch mein Anspruch, dass die Partei nach der Wahl einig sein muss.

Warum?

Eine der großen Aufgaben der CDU besteht darin, eine Gesellschaft, die immer weiter zerfranst, trotzdem integrieren und zusammenhalten zu können. Das geht nur, wenn wir selber eine Führung haben, die auf Integration und breite Repräsentation setzt. Und das wäre mein ausdrücklicher Anspruch als Vorsitzender.

Norbert Röttgen: "Das wäre für die CDU sehr unglaubwürdig"

Frau Kramp-Karrenbauer hat die Befürchtung geäußert, der Kampf der drei Bewerber könne in einen für die Partei "ruinösen Wettbewerb" münden. Teilen Sie diese Befürchtung?

Nein. Wir sind uns alle einig, dass diese Gefahr nicht besteht. Es gibt vielmehr einen ganz normalen demokratischen Wettbewerb. Ich würde ihn mir sogar noch intensiver und politischer wünschen. Wir sind die Partei der Marktwirtschaft. Wettbewerb ist für uns das überlegene Prinzip, für das wir in der Gesellschaft und der Wirtschaft eintreten. Es wäre sehr unglaubwürdig, wenn sich die CDU selber dieser Anstrengung nicht unterziehen sollte.

Würden Sie der Aussage zustimmen, dass Sie ohne Corona keine Chance gehabt hätten, neuer CDU-Chef zu werden?

In der Tat hat sich durch die Coronakrise die Wettbewerbslage stark verändert - das ist nicht zu bestreiten. Nach der ersten Welle sieht die Situation zwischen den Kandidaten jetzt anders aus als vorher. Und seit einigen Wochen merke ich, dass sich das sehr zu meinen Gunsten entwickelt und auswirkt.

Das Parteiengesetz wurde zwar schon geändert, doch für die Wahl eines Bundesvorsitzenden ist laut CDU-Satzung ein Präsenztreffen erforderlich. Was machen Sie eigentlich, wenn aufgrund der Corona-Situation auch im Dezember kein Präsenz-Parteitag möglich ist?

Richtig, auch in der Satzung der CDU muss ein digitaler Parteitag erst noch ermöglicht werden, und dafür müssen wir ein Mal physisch zusammenkommen. Die CDU-Bundesgeschäftsstelle bereitet sich akribisch auf die besonderen Bedingungen vor. Der Parteitag wird so asketisch auf die Wahlen konzentriert, wie es das noch nie gegeben hat.

Gibt es auch einen Plan B?

Der Plan B ist, den Ort zu wechseln, wenn Stuttgart aus Pandemiegründen als Austragungsort ausfällt. Es gibt schon Möglichkeiten, in denen die Infrastruktur vorhanden und auch große räumliche Distanz organisierbar ist, etwa ein Fußballstadion.

In der CDU-Fraktion werden erste Stimmen laut, wonach eigentlich Jens Spahn der geeignetste Kandidat sei. Rechnen Sie damit, dass das Duo Laschet/Spahn noch die Rollen tauscht?

Sie sprechen einen "Spiegel"-Bericht aus der letzten Woche an. Der Neuigkeitswert des Artikels war ja recht überschaubar, weil die vier Kollegen aus der 250-köpfigen Bundestagsfraktion den Vorschlag schon zu Beginn der Sommerpause gemacht haben. Das ist jetzt mehrere Monate her. Jens Spahn hat vor noch längerer Zeit erklärt, im Team mit Armin Laschet anzutreten. Beide haben stets betont, wie bedeutsam es ist, ein Team zu sein. Das ist der Stand der Dinge.

Röttgen: Neues Selbstverständnis für die CDU

Gibt es ein zentrales Anliegen, das Sie als Parteivorsitzender sofort angehen würden?

Es geht mir nicht um ein einzelnes, sondern um ein Grundanliegen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass unser Land, unsere Gesellschaft vor Veränderungen dramatischen Ausmaßes steht. Als Parteivorsitzender würde ich das wichtigste Ziel verfolgen, nämlich dass die CDU in dieser Zeit der Veränderungen die große, starke, integrierende Volkspartei bleibt.

Wie wollen Sie das anstellen?

Das werden wir nur schaffen, wenn wir uns selber erneuern und modernisieren, wenn wir unsere Art zu arbeiten verändern, wenn wir die Repräsentation der Gesellschaft in der Partei breiter anlegen. Wir können nicht eine Partei älterer Männer bleiben, sondern wir brauchen alle Geschlechter, wir müssen Stadt und Land, Jung und Alt widerspiegeln.

Eine Art Strukturwandel der Partei also?

Richtig, aber davor kommt noch ein neues Selbstverständnis. Wir brauchen eine neue Mentalität, die Erneuerung, Öffnung und Kompetenz ausdrückt. Wir müssen uns öffnen und uns mit den wirklichen Fragen, die uns und die Gesellschaft umtreiben, sichtbar beschäftigen, sodass es interessant und spannend wird. Das beinhaltet auch eine selbstkritische Beschreibung des Zustandes, aber vor allen Dingen eine Einschätzung dafür, dass wir nicht nur unsere Interessen als CDU zu vertreten haben, sondern dass wir für dieses Land wichtig sind, damit Deutschland wenigstens noch eine große Partei hat, die das Land führen kann, mit dem Blick auf die Gesamtverantwortung und nicht nur in der Vertretung von Einzelinteressen.

Röttgens potenzielle Generalsekretär-Kandidatin steht fest

Sie sprechen das Frauenproblem an: Nur etwa jedes vierte CDU-Mitglied ist weiblich. Sie haben schon im Februar getwittert: "Die zweite Person in meinem Team wird eine Frau sein." So langsam wäre es doch mal an der Zeit, mit dem Namen rauszurücken, oder?

Ja, Sie haben Recht. Ich werde diese Ankündigung natürlich verwirklichen, und zwar weil sie Ausdruck meines Verständnisses ist, dass die CDU in der Repräsentation von Frauen und Männern paritätisch werden muss. Wenn ich gewählt werde und damit ein Mann das wichtigste Parteiamt, nämlich den Bundesvorsitz, innehat, ist die Folge für mich, dass das zweitwichtigste Amt, das Amt des Generalsekretärs, von einer Frau besetzt wird. Ich werde deutlich vor dem Parteitag meinen Vorschlag machen, sodass auch alle Delegierten darüber informiert sind und sich ein Bild machen können.

Aber Ihre Kandidatin steht schon fest?

Ja. Ich suche schon seit einiger Zeit nicht mehr. Es geht jetzt nur noch darum, wann ich es Ihnen sage. Der Parteitag ist noch knapp zwei Monate entfernt. Insofern kann ich Sie noch ein bisschen auf die Folter spannen, aber nicht mehr lange.

Falls Sie neuer CDU-Chef werden: Wann wollen Sie den Kanzlerkandidaten der Union verkünden? Noch vor Weihnachten?

Meine Vorstellung ist, dass wir das sehr zügig machen. Das Jahr 2021 ist ein Superwahljahr mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl. Wähler haben einen Anspruch auf Klarheit, sowohl in Inhalten wie auch in Personen, die ja ein ganz wichtiger Anker für Vertrauen sind. Darum ist meine Überzeugung, dass wir spätestens zu Beginn des Jahres personelle Klarheit haben sollten, wer die Union als Kanzlerkandidat in die Wahl führt.

Röttgen: "Die Grünen sind der strategische Wettbewerber in der Mitte"

Selbst ein bayrischer Kanzlerkandidat wird der Union höchstwahrscheinlich keine absolute Mehrheit bescheren. Wer wäre für Sie ein denkbarer Koalitionspartner?

Denkbare Koalitionspartner ergeben sich ja schon daraus, dass die Addition der Ergebnisse von Union und dem Partner 50 Prozent ergeben müssen. Aber viel deutlicher werde ich da nicht. Der Wahlkampf, den ich zu verantworten hätte, wäre kein Koalitionswahlkampf, sondern ein Unionswahlkampf. Mein strategisches Ziel für Deutschland ist eine große, starke Partei, die deutlich über 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann. Darum ist es nicht egal, ob ich die Union oder einen möglichen Koalitionspartner wähle, sondern die Stärke einer Volkspartei ist entscheidend.

Dennoch: Eine Koalition aus Union und den Grünen käme wohl sicher über 50 Prozent. Ist das eine vorstellbare Option für Sie?

Ich bleibe dabei, dass ich gerne Schritt für Schritt vorgehen würde. Und vor der Koalition kommt der Wahlkampf. Die jüngsten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen haben wieder gezeigt, dass Mehrheiten in der Mitte entschieden werden und dass es in der Mitte eine Schnittmenge gibt von Wählerinnen und Wählern der CDU und der Grünen. Diese Wählerinnen und Wähler können sich vorstellen, sowohl CDU als auch die Grünen zu wählen. Über den Erfolg in dieser Wählergruppe wird am Ende entschieden, wie stark die CDU/CSU im Bundestag und wie stark sie in der Mitte wirklich vertreten sein wird. Und darum nehme ich die Grünen als den strategischen Wettbewerber in der Mitte wahr und ernst. Das wird dann in den Aussagen, auch in den Personen ein wichtiger Teil des Wahlkampfes sein.

Was denken Sie, welches Image Sie in der Bevölkerung haben und wie würden Sie sich selbst einschätzen?

In der Bevölkerung werde ich vor allen Dingen als Politiker wahrgenommen. Ich selber habe aber ja viele andere Bereiche in meinem Leben, die prägend sind, als Familienvater, als Ehemann, als Bewohner in dem Dorf, in dem ich lebe. Neben dem Politiker gibt es daher viele Seiten von mir, die in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so sehr vorkommen. Ich beschreibe mich selber auch nicht als Außenpolitiker, weil auch das verkürzt ist. Ich bin Parlamentarier und habe dort unterschiedliche Funktionen ausgeübt. Was mich immer fasziniert hat, ist die Politik als solche. Seit einigen Jahren bin ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags vor allen Dingen mit der Außenpolitik beschäftigt. Die hat sich in den letzten Jahren so dramatisch verändert.

Haben Sie Befürchtungen, manchmal als zu intellektuell rüberzukommen?

Nein, denn es ist etwas sehr Wichtiges, zu versuchen zu verstehen und dann zu erklären, was eigentlich gerade in dieser Welt passiert. Warum zerbricht eigentlich auf einmal alles? Was ist mit Russland und was ist mit den USA los? Wie ist die Situation im Nahen und Mittleren Osten? Denn die Probleme, die um uns herum bestehen, kommen ja zu uns. Das haben wir erlebt: von der Weltfinanzmarktkrise über die Flüchtlingskrise jetzt zur Pandemie. Die Kommunikation mit der Bevölkerung darüber ist ganz wichtig. Und das, glaube ich, wird auch geschätzt und für bedeutend gehalten. Es ist nicht alles, aber es ist ein wichtiger Teil der Aufgabe, die jeder Bundeskanzler in Deutschland hat und haben wird.

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Interviews mit Norbert Röttgen über außen- und innenpolitische Problemfelder.

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