In Bayern ist Hubert Aiwanger seit Jahren einer der bekanntesten Politiker – jetzt redet fast ganz Deutschland über "Hubsi". Blick auf einen bei vielen Menschen beliebten Provokateur.

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Seit Jahren schaut die CSU dem Treiben von Hubert Aiwanger zähneknirschend zu. Immer wieder fällt der Parteichef der Freien Wähler und bayerische Vizeministerpräsident durch markige und umstrittene Äußerungen auf. Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt strapaziert einmal mehr die Geduld von Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Doch knapp sechs Wochen vor der Landtagswahl setzt Söder die Koalition mit den Freien Wählern nicht aufs Spiel – und hält Aiwanger als Wirtschaftsminister vorerst im Amt. Denn "Hubsi", wie der Freie-Wähler-Chef in Bayern auch genannt wird, ist für die CSU zwar Konkurrent und Nervensäge – aber auf gewisse Weise auch unentbehrlich.

Agrar-Ingenieur und Hobbyjäger

Aiwanger kam am 26. Januar 1971 in Ergoldsbach in Niederbayern zur Welt. Manchen erscheint er schon wegen seines ausgeprägten niederbayerischen Dialekts hinterwäldlerisch. Die Apfelschorle heißt bei ihm "Opfelschorle". Doch er steht auch für einen der größten Erfolge in der bayerischen Politik der jüngeren Geschichte.

Aiwanger, der mit der Freie-Wähler-Landrätin Tanja Schweiger liiert ist und zwei Kinder hat, führte seine Partei 2008 erst in den Landtag und dann bis in die Regierung. Das war im Freistaat, in dem die CSU lange das gesamte Spektrum von der politischen Mitte bis zum rechten Rand abdeckte, alles andere als selbstverständlich.

Deshalb ist Aiwanger zum Konkurrenten, aber auch zur Stütze der CSU geworden. Bei der Landtagswahl 2018 verloren die Christsozialen die absolute Mehrheit und sind seitdem auf die Freien Wähler angewiesen. Der frühere Fraktionschef Aiwanger ist seit fünf Jahren Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident im Freistaat.

Der studierte Agrar-Ingenieur, der einen kleinen Bauernhof betreibt und Hobbyjäger ist, punktet in Bayern vor allem mit Volksnähe. Sollte Söder ihn kurz vor der Wahl aus dem Kabinett werfen, würde er wohl Gefahr laufen, konservative Wähler an die Freien Wähler zu verlieren.

"Jeder sollte ein Messer in der Tasche haben dürfen"

Dabei ist auch Aiwanger selbst zunehmend zur Belastungsprobe für Söders Landesregierung geworden. Denn rhetorisch packt er gerne den Holzhammer aus. Wiederholt fiel er mit grenzwertigen Äußerungen auf. 2019 etwa sagte er bei einer Jagdmesse, Bayern und Deutschland wären sicherer, "wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte".

Während der Pandemie gab er sich stellenweise impfskeptisch und sprach über "massive Impfnebenwirkungen". Einen Beweis dafür blieb er schuldig. Letztlich ließ sich Aiwanger selbst gegen das Coronavirus impfen.

Zuletzt sorgte Aiwanger im Juni in Erding bei einer Demonstration gegen das im Bund geplante Heizungsgesetz mit den Worten für Kritik, die "schweigende große Mehrheit" müsse sich "die Demokratie wieder zurückholen". In Richtung der Bundesregierung in Berlin rief er: "Ihr habt's wohl den Arsch offen da oben." Söder warnte, Politiker dürften "nicht wegen jeder schnellen Stimme den politischen Anstand verlieren". Eine klare Distanzierung blieb allerdings aus.

Lange wurde er als reine One-Man-Show der Freien Wähler wahrgenommen, deren Landes- und Bundesvorsitzender er ist. Inzwischen ist die Partei aber auch im rheinland-pfälzischen Landtag vertreten, in Brandenburgs Landesparlament sitzt die ihr nahestehende Wählergemeinschaft Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler. Aiwangers großes Ziel, die Freien Wähler in den Bundestag zu führen, verfehlte der 52-Jährige allerdings bislang.

Im Wahljahr 2013 versuchte er die Freien Wähler zum Unmut anderer Landesverbände als Anti-Euro-Partei zu etablieren, da lag er auf einer Linie mit der AfD. In der Flüchtlingskrise suchte Aiwanger lange einen Kurs, bis er voll und ganz auf die Linie der CSU mit ihrer Kritik an der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einschwenkte.

Aiwanger hat schon mit Abstieg "vom Schlitten" gedroht

Im Skandal um das angebliche Flugblatt drückt die CSU Aiwanger nun einen Fragenkatalog auf. Söder will alle "Restzweifel" an dem in der "Süddeutschen Zeitung" erhobenen Verdacht, Aiwanger sei als Schüler mit einem antisemitischen Hetzblatt befasst gewesen, klären und erst dann eine abschließende Bewertung abgeben.

Aiwanger selbst widerspricht den Vorwürfen und erklärt, nicht der Urheber des Flugblatts gewesen zu sein. Vielmehr übernahm sein Bruder die Verantwortung. Die Vorwürfe mitten im Wahlkampf bringen Söder in einen Zwiespalt. Er legte sich bereits auf die Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern nach der Landtagswahl am 8. Oktober fest, die Grünen scheut er wie der Teufel das Weihwasser. Doch Aiwanger macht ihm die Fortsetzung schwer.

Söders forsches Auftreten als Aufklärer könnte sich letztlich als leere Drohung erweisen. Womöglich ist ihm noch Aiwangers Drohung vor der Regierungsbildung 2018 im Ohr. "Wir haben für Bayern große Pläne, gute Politik zu machen", sagte Aiwanger damals. Falls die CSU aber mit seiner Partei Schlitten fahren wolle, "sind wir die ersten, die vom Schlitten absteigen". Dann lasse er die CSU allein vor die Wand fahren. (afp/fab)

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