- Die Krise an der belarussisch-polnischen Grenze setzt die deutsche Politik zunehmend unter Druck.
- CDU und CSU kritisieren im Bundestag eine "einladende Migrationspolitik" der Ampel-Parteien. Von der AfD muss sich die Union aber mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen lassen.
- Auch eine einheitliche Linie von SPD, Grünen und FDP ist bisher nicht sichtbar.
Krisen kommen in der Regel zu einem schlechten Zeitpunkt. Für die Situation an der belarussisch-polnischen Grenze gilt das ganz besonders. Deutschland befindet sich gerade in einer Übergangsphase: Die unionsgeführte Bundesregierung ist nur noch geschäftsführend im Amt. Die mögliche Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist noch nicht an der Macht.
Richtig verantwortlich für den Staatsapparat scheint sich derzeit keine von beiden Seiten zu fühlen. Dabei gäbe es mit den steigenden Infektionszahlen eigentlich genug zu tun für zwei Bundesregierungen. Und genau zu diesem Zeitpunkt spitzt sich auch noch die Lage im Osten der EU zu.
Emotionale Debatte im Bundestag
Rund 4.000 Menschen versuchen dort, in die Europäische Union zu gelangen. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko versucht gezielt, die Menschen dorthin zu schleusen, um die EU unter Druck zu setzen.
Mit der großen Flüchtlingsbewegung 2015 ist die Lage zwar kaum vergleichbar, aber sie setzt die deutsche Politik gehörig unter Druck. Sie verschiebt Prioritäten und sie ist eine erste Belastungsprobe für die nächste Bundesregierung. Das wird am Donnerstag im Bundestag klar.
Die Union schaltet um: von Willkommenskultur auf Begrenzung der Migration
Was sich in den vergangenen Wochen bereits abgezeichnet hatte, bestätigt sich auch am Donnerstag: CDU und CSU nehmen Abschied von der Willkommenskultur, die zumindest 2015 noch die Flüchtlingspolitik der unionsgeführten Bundesregierung unter
Den Grünen wirft der Christdemokrat vor: Bei den Koalitionsverhandlungen hätten sie im Klimaschutz wenig erreicht, das werde jetzt "überkompensiert durch eine einladende Migrationspolitik", sagt Frei. "Das wird mit uns nicht zu machen sein."
Andrea Lindholz: Wir dürfen keine "neuen Hoffnungen" schaffen
Die Ampel wird in der Migrationspolitik andere Schwerpunkte setzen als die bisherige Koalition aus Union und SPD. Die Einwanderung von Fachkräften wollen die möglichen Koalitionspartner erleichtern – genau wie den "Spurwechsel": Gut integrierte Asylbewerber sollen schneller einen rechtssicheren Aufenthaltsstatus bekommen.
Auch das lehnt die Union ab, wie die Innenpolitikerin Andrea Lindholz (CSU) im Bundestag betont: "Damit schaffen wir neue Hoffnungen und einen neuen Druck Richtung Europa und Richtung Deutschland." Für sie ist klar: Deutschland müsse die Einwanderung ordnen, steuern und damit vor allem: begrenzen.
Gottfried Curio: "Der Hauptschuldige spielt ein bisschen AfD"
Die Union macht keinen Hehl daraus, dass dieser Kurs dazu dienen soll, in der Opposition das eigene Profil zu schärfen. Zumindest aus Sicht des rechten Randes im Parlament haben CDU und CSU allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Während der Reden der Unionspolitiker leisten sich die Mitglieder der AfD die üblichen Zwischenrufe und Wutanfälle. "Sie sind die Bundesregierung!", ruft Beatrix von Storch, als Lindholz die geschäftsführende Bundesregierung zum Handeln auffordert.
Aus Sicht der AfD haben CDU und CSU mit ihrer offenen Flüchtlingspolitik aus dem Sommer 2015 den großen Migrationsdruck erst erzeugt. "Wie kommen Sie jetzt auf die Idee, so eine Rede zu halten, wo Sie alles fordern, was Sie negiert haben, als Ihre Partei in der Regierung war?", schimpft der Abgeordnete Norbert Kleinwächter. Gottfried Curio, der im Bundestag als besonderer Scharfmacher gilt, lästert später am Rednerpult über die Union: "Der Hauptschuldige spielt ein bisschen AfD."
Krise an belarussisch-polnischer Grenze: SPD und Grüne setzen auf Humanität
Der Kursschwenk von CDU und CSU trifft bei den Ampel-Parteien auf Ablehnung. "Machen Sie sich mal keine Sorgen um die Mitte. Passen Sie lieber auf, dass Sie nicht zu weit nach rechts rutschen", ruft Lars Castellucci (SPD) in Richtung der Unionsbänke.
Allerdings stellt die Lage an der EU-Außengrenze auch die noch frische Zusammenarbeit der Ampel-Parteien auf die Probe. Das wird im Bundestag ebenfalls deutlich. SPD, Grüne und FDP sind sich zwar einig, dass mehr Einwanderung von Fachkräften nötig ist. Doch wie geht man um mit den Menschen, die jetzt an der Grenze ausharren? Dass Polen Unterstützung braucht, ist im Bundestag praktisch unstrittig. Aber wobei genau ist diese Unterstützung nötig?
Deutschland dürfe die Menschen an der Grenze nicht alleine lassen, sagt der geschäftsführende Außenminister
Emotional meldet sich auch ihr Fraktionskollege Julian Pahlke zu Wort, der sich in den vergangenen Tagen vor Ort ein Bild von der Lage gemacht hat: "Das sind Menschen, die sich in den letzten Wochen teilweise von Blättern ernährt haben, weil sie nichts anderes haben." Wenn man ihnen jetzt helfe, gehe es um nichts anderes als Menschenrechte.
Nur geteilter Applaus für die Ampel-Partner
Pahlke erhält Applaus von seiner Fraktion und den Sozialdemokraten. Nicht aber von der FDP. Mit dem Idealismus von Grünen und Teilen der SPD können die Liberalen bei dem Thema offensichtlich wenig anfangen.
Andersherum ist das Bild, als Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) in der Debatte sagt: "Natürlich braucht Polen auch Unterstützung bei der Sicherung unserer gemeinsamen Außengrenzen." Da klatschen die Liberalen – bei SPD und Grünen bleibt es dagegen ruhig. Wenn die Ampel-Koalition in den kommenden vier Jahren das Land regiert, werden wohl alle drei Partner in der Migrationspolitik schmerzhafte Kompromisse eingehen müssen.
Linke plädiert für Aufnahme
Anders ist das bei den Oppositionsparteien – vor allem ganz links und ganz rechts. Sie haben es einfacher. Sie können sich auf klare Positionen zurückziehen, ohne sich mit Koalitionspartnern verständigen zu müssen. AfD-Politiker Gottfried Curio spricht von "Umsiedlung pur" und von einem Ansturm aufs "Abzocke-Schlaraffenland Deutschland".
Ganz andere Töne kommen von der Linken-Politikerin Gökay Akbulut. Sie spricht sich dafür aus, die Menschen vor der polnischen Grenze in der EU aufzunehmen. "Was sind ein paar Tausend Menschen auf 450 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger verteilt? Das ist doch einfach untragbar, diese Situation an der Grenze."
Wenig Ansätze zur Problemlösung
Vorwürfe und Schuldzuweisungen dominieren die Debatte, wie das Problem an der belarussisch-polnischen Grenze gelöst werden kann, bleibt dagegen unklar. Andrea Lindholz lobt ihren Parteifreund, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): Er habe die Bundespolizei und die Schleierfahndung an der deutsch-polnischen Grenze verstärkt. Den Menschen, die zwischen Polen und Belarus im Freien ausharren, wird das aber kaum helfen.
Die SPD setzt dagegen eher aufs Prinzip Hoffnung – und auf Mittel und Wege, die bisher wenig erfolgreich waren. Heiko Maas ruft erneut nach einer gemeinsamen Asyl-Politik, auf die sich die EU allerdings seit Jahren nicht einigen kann.
Das Regime des belarussischen Präsidenten Lukaschenko will Maas mit weiteren wirtschaftlichen Sanktionen unter Druck setzen. Fluggesellschaften, die derzeit Menschen zum Beispiel aus dem Nahen Osten nach Belarus befördern, könne man Landerechte in den EU-Staaten verwehren, sagt der Außenminister.
Die Parteien, die sich in Deutschland zur demokratischen Mitte zählen, wirken an diesem Tag alarmiert, aber auch zerstritten und teilweise ratlos. Alexander Lukaschenko dürfte sich in Belarus die Hände reiben.
Verwendete Quellen:
- Vor-Ort-Berichterstattung aus dem Bundestag
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