Durch den Bruch der Regierungskoalition und die anstehenden Neuwahlen scheint das angestrebte Verbotsverfahren gegen die AfD medial und politisch in den Hintergrund gerückt zu sein. In seinem neuesten Buch hat sich der Journalist Michael Kraske mit der Partei und dem Verbotsverfahren intensiv auseinandergesetzt.

Ein Interview

Im Interview spricht Kraske über die Notwendigkeit des Verbots, über die Strategien der AfD und über die Verantwortung ihrer Wähler.

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Herr Kraske, Ihr Buch heißt "Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD". Wer oder was genau wird angegriffen?

Kraske: Angegriffen wird die Demokratie und angegriffen wird die Art und Weise, wie wir in diesem Deutschland zusammenleben. Nämlich, dass alle Menschen, auch Geflüchtete, Zugezogene, behinderte Menschen oder queere Personen die gleichen Rechte besitzen. Diese Rechte werden von der AfD massiv bedroht. Ein Verbotsverfahren ist vor allem dazu da, die vielen Millionen Menschen, die von einer brutalen völkischen Politik der AfD betroffen wären, zu schützen.

Michael Kraske
Das Buchcover zu "Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD". © Michael Kraske

Warum haben Sie den Begriff "Machtergreifung" verwendet?

Wir sprechen im Untertitel von einer "schleichenden Machtergreifung der AfD", weil deren Plan A darin besteht, durch demokratische Wahlen an die Macht zu kommen, um dann undemokratische Politik und undemokratische Ziele durchsetzen zu können. Das ist dann tatsächlich eine Parallele zu den 1930er Jahren und dem Aufstieg der NSDAP. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben genau für diesen Fall, dass eben wieder ein neuer Faschismus und eine neue demokratiefeindliche Partei an die Macht gewählt werden, das Instrument des Parteiverbots installiert. Wenn sich also eine Mehrheit für menschenverachtende autokratische Politik findet, dann ist im Grundgesetz der Weg vorgegeben, eine Partei zu verbieten. Aus dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren lässt sich sehr viel ablesen. Denn in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben die Richter klargestellt, dass es für ein Parteiverbot weder Straftaten braucht noch eine akute Gefahr, sondern das Verbotsverfahren ist eine präventive Maßnahme. Für ein Verbot müssen die demokratiefeindlichen Ziele nicht einmal im Parteiprogramm verankert sein, sondern die Partei muss darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Es reicht also aus, wenn diese Partei durch ihr Verhalten und durch ihre Ziele aktiv entsprechend handelt. Die Beweislage für einen Anfangsverdacht gegen die AfD ist erdrückend.

Kern des Ganzen, so schreiben Sie in Ihrem Buch, ist Artikel 1 des Grundgesetzes.

Genau. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Artikel 1 und die Menschenwürde-Garantie der unverhandelbare Kern unserer Verfassung sind. Das heißt: Diskriminierende Politik gegen Minderheiten ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Eine Partei, die das aktiv verfolgt, ist verfassungswidrig und kann verboten werden. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat festgestellt, dass es diese Anhaltspunkte für systematische Angriffe auf die Menschenwürde durch die AfD gibt. Und das Gericht sieht Anhaltspunkte dafür, dass erhebliche Teile der Partei daraus ableiten, Menschen mit einer Migrationsgeschichte nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzugestehen. Oder anders gesagt: Da sollen große Bevölkerungsgruppen unterdrückt werden. Das ist schon heute Rechtsprechung und es ist ein Skandal, dass die Parteien im Bundestag, auch CDU, SPD und Grüne, diese starken Argumente für ein Verbotsverfahren mehrheitlich gar nicht ernsthaft in der Öffentlichkeit diskutieren, sondern dass sich die Parteiführungen wegducken und den Verbotsantrag offenbar nicht als ernsthaftes und gebotenes Instrument verstehen.

Es nicht verstehen oder haben sie Angst?

Angst spielt ganz sicher eine Rolle. Ich bin davon überzeugt, dass in der SPD oder bei den Grünen die Sorge vor einer Abstrafung durch die Wähler groß ist. Hinzu kommt aber auch, dass diese populäre Erzählung, wonach es undemokratisch sei, eine Partei in einer Demokratie zu verbieten und dass man eine Partei ja politisch stellen müsse, auch bei diesen Parteien verfängt. Wenn man auf die Fakten guckt und die Beweise und Belege heranzieht, die wir in unserem Buch zuhauf liefern, dann kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, dass zumindest dieser Anfangsverdacht gegen die AfD so stark und gut belegt ist, dass man das Verbotsverfahren ernsthaft prüfen muss.

"Die AfD ist geradezu ein Musterbeispiel für dieses Parteiverbot."

Michael Kraske

Es gibt verschiedene Argumente gegen ein Verbotsverfahren wie etwa, dass die Partei zu groß sei, um sie zu verbieten. Das dürfte aber doch eigentlich keine Rolle spielen, wichtig ist ja nur, was im Gesetz steht. Die einzig relevante Frage müsste doch sein: Erfüllt die Partei die Kriterien für ein Verbotsverfahren, ja oder nein?

Michael Kraske
Michael Kraske ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher über Ostdeutschland und Rechtsextremismus. © Michael Kraske

Ganz genau. Die Diskussion wird aber leider auf Grundlage von Bauchgefühlen, Halbwahrheiten und Unwissen geführt. Populäre Gegenargumente wie "Die Partei ist jetzt schon zu stark, als dass man sie verbieten könnte" greifen einfach nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Urteil ja gerade herausgestellt, dass eine Partei stark und relevant genug sein muss, damit sie verboten werden kann. Das heißt: Die AfD erfüllt, das ist unstrittig, diese Potenzialität. Sie ist inzwischen so groß, dass sie eine reale Gefahr darstellen kann. Andere Argumente greifen auch nicht. Oft wird gesagt, man könne ja nicht die Einstellung in den Köpfen verbieten. Vollkommen richtig, aber das versucht ein Parteiverbot auch nicht. 17 renommierte Verfassungsrechtler und Verfassungsrechtlerinnen betonen in einer Stellungnahme an den Innenausschuss des Bundestages, dass die AfD geradezu ein Musterbeispiel für ein Parteiverbotsverfahren ist. Und dass es das Ziel ist, eben diese strukturelle Verankerung, die sie durch ihre Sitze in den Parlamenten hat, diese Verankerung des Rechtsextremismus und der Demokratiefeindlichkeit durch das Verbot zu entziehen.

Das heißt, Sie halten ein Verbotsverfahren für geboten?

Ja. Wir zeigen in unserem Buch sehr eindeutig, wie die Partei nicht nur auf der Straße mit Demokratiefeinden Seite an Seite marschiert, sondern dass sie in den vergangenen Jahren systematisch ultraradikale Kader aus der extremen Rechten in ihren Mitarbeiterbüros beschäftigt hat. Das heißt, wir haben eine rechtsextreme Ideologie, wir haben rechtsextreme Ziele und Agitation und wir haben das entsprechende Personal. Die demokratischen Parteien im Bundestag müssen sich schon fragen lassen, warum sie sich angesichts dieser eklatanten und auch offenkundigen Bedrohung wegducken. Man kann aus guten Gründen gegen ein Verbot sein, einer wäre zum Beispiel, dass die Legitimität der Demokratie und ihrer Abläufe selbst bei denjenigen leiden würde, die gar nicht die AfD wählen. Aber so zu tun, als gäbe es keinerlei Anhaltspunkte oder Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD, wie das beispielsweise Kevin Kühnert oder auch Kanzler Olaf Scholz von der SPD suggeriert haben, das ist eine politische Farce.

"Ja, die AfD erfüllt die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren."

Michael Kraske

Sie selbst standen einem Verbot anfangs skeptisch gegenüber. Was hat Ihre Meinung geändert?

Vor allem der nüchterne Blick auf die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren. Dass etwa dieser Begriff des Aggressiv-Kämpferischen längst vom Verfassungsgericht abgeräumt worden ist. Unsere Recherchen ergeben eindeutig, dass die AfD die Voraussetzungen erfüllt: Die AfD greift massiv die Menschenwürde an, indem sie Minderheiten die Würde abspricht und eine Unvereinbarkeit von Menschen mit einer Migrationsgeschichte mit dem Deutsch-Sein behauptet. Auch indem sie vielstimmig millionenfache Remigration fordert, was nichts anderes ist als eine rassistisch motivierte Vertreibungsideologie, die ohne massive staatliche Gewalt undenkbar ist. Was bedeutet, dass man Nachbarn, Freundinnen und Arbeitskollegen, also Menschen, mit denen wir leben und die hier sein dürfen, entrechtet und gegen ihren Willen wohin auch immer schafft.

Welche Minderheiten meinen Sie?

Muslime können sich in einem AfD-Land nicht sicher sein, ihre Religion noch frei ausüben zu dürfen, queere Menschen können sich nicht sicher sein, dass ihre Rechte noch gelten. Es gibt viele Minderheiten, die von der AfD in ihrer Menschenwürde bedroht werden. Auch die Belege dafür, dass die AfD demokratische Prozesse, Institutionen und Akteure delegitimiert, sind erdrückend. Pluralismus wird abgelehnt. All das ist gut belegt. Deswegen lautet der Befund: Ja, die AfD erfüllt die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren - es ist möglich und notwendig. Abgesehen davon schlägt auch dieser Versuch, die AfD politisch zu stellen, seit Jahren fehl. Und er schlägt auch deswegen fehl, weil es keine Waffengleichheit gibt. Eine Partei, die bewusst auf Verschwörungserzählungen, Wissenschaftsfeindlichkeit und Pressefeindlichkeit setzt, lässt sich im demokratischen Diskurs nicht stellen. Stattdessen muss das Spielfeld dieses demokratischen Diskurses vor dem Angriff auf dieses Spielfeld geschützt werden.

Wenn man sich der AfD programmatisch nähert, sieht man wenig positive Visionen, wie sich die Partei Deutschland in der Zukunft vorstellt. Was will die AfD?

Die AfD zeigt verschiedene Gesichter. Im Kern ist die AfD eine rechtsextremistische Partei, die ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftsbild propagiert und anstrebt. Dafür kämpft sie mit ihren Bundesgenossen auf der Straße, zu denen Reichsbürger, Neonazis und andere Demokratiefeinde gehören. Die Gesellschaft, die sie anstrebt, soll ethnisch und kulturell homogen sein. Minderheiten würden an den Rand gedrängt, diskriminiert und ausgeschlossen werden. Das ist, was die AfD will, aber das Bild, das die AfD beispielsweise in den Talkshows von sich in die Öffentlichkeit trägt, ist bestimmt von Selbstverharmlosung. Da tritt die AfD als vermeintliche Rechtsstaatspartei auf, die stets nach Recht und Gesetz vorgeht. Sie spielt sich auf als die einzige politische Kraft, die dieses Land noch retten kann. Man muss unterscheiden zwischen dem, wie die AfD in den klassischen Medien auftritt, wo es ihr darum geht, besonders harmlos und normal zu erscheinen, und wie sie zu ihren Anhängern spricht. Wo sie offen rassistisch und aggressiv auftritt, wo sie ihre autoritären Vorbilder, wie beispielsweise Victor Orban, preist. Es wird bis heute zu wenig verstanden, dass die AfD taktisch vorgeht und dass es für unterschiedliche Zielgruppen ganz unterschiedliche Botschaften gibt.

Es gibt demnach auch keine radikale Höcke- und eine bürgerliche Weidel-AfD?

Die Höcke- und die Weidel-AfD sind eins, man kann die nicht trennen. Das ist ein Märchen, das über die Jahre immer erzählt worden ist, wonach es ja die gemäßigte und die radikale AfD gebe. Tatsache ist, dass sich dem völkisch-nationalistischen Kurs, den Björn Höcke vorgegeben hat, niemand konsequent entgegengestellt hat. Medien machen immer noch den Fehler, die bürgerliche Biografie von Gauland oder Weidel mit fehlender Radikalität zu verwechseln.

"Keiner kann sagen, er wüsste nicht, dass die AfD Minderheiten rassistisch diskriminiert und ausgrenzt."

Michael Kraske

Das heißt, diese verschiedenen Gesichter sind nur für die Talkshows und Interviews, die AfD-Wähler selbst wissen aber ganz genau, wem sie da ihre Stimme geben?

Es wäre völlig falsch, AfD-Wähler als Protest-Wähler zu verstehen. Keiner kann im Jahr 2024 noch sagen, er wüsste nicht, wie radikal die AfD ist. Jeder hat mitbekommen, wie rassistisch sie ist, wie sie Minderheiten an den Pranger stellt und dem Hass ausliefert. Das weiß jede und jeder. Die AfD wird nicht trotz der Radikalität gewählt, sondern auch wegen der Radikalität. Die Botschaften werden niedrigschwellig verpackt. Da heißt es dann, man wolle Politik für das eigene Volk, aber eines ist klar: Die Wählerschaft identifiziert sich schon auch mit Kernbotschaften, die am Ende lauten: Ausländer raus! Die Studienlage ist übrigens eindeutig: Die Wähler der AfD sind rechtsextremer und antisemitischer eingestellt als die anderer Parteien. Und unter AfD-Anhängern gibt es auch eine größere Akzeptanz, Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zu akzeptieren. Die Vorstellung, dass da einfach unzufriedene Menschen die AfD wählen, die ist verharmlosend und falsch.

Trotzdem würden sich wohl die wenigsten AfD-Wähler selbst als Rassisten, sondern als Protestwähler sehen. Belügen sich die Menschen, die AfD wählen, also selbst?

Die AfD hat es mit ihrer Strategie geschafft, sich selbst als normal darzustellen. Natürlich speist sich die grassierende Unzufriedenheit und Wut auch aus schlechter Politik und aus Ärger über die Regierenden. Aber die AfD hat es geschafft, mit ihrer Erzählung, dass sie die einzige Partei ist, die dieses Land vor dem bevorstehenden Untergang retten kann, bei vielen zu punkten. Nur ist das keine demokratische Erzählung. Die AfD diskreditiert alle demokratischen Konkurrenten als sogenannte "Altparteien", die Deutschland angeblich abschaffen oder zerstören wollen. Wer die AfD wählt, gibt seine Stimme sehr bewusst einer Partei, die eine autoritäre und völkische Lösung anstrebt. Und viele, die AfD wählen, tun das in dem Glauben, dass diese Wahl eine neue Normalität ist. Aber nochmal: Keiner kann sagen, er wüsste nicht, dass die AfD Minderheiten rassistisch diskriminiert und ausgrenzt. Niemand kann sagen, er wüsste nicht, dass beispielsweise Björn Höcke dafür verurteilt worden ist, eine SA-Losung verwendet und sich damit in die Tradition des Nationalsozialismus gestellt zu haben.

Die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg sind eigentlich in dem Bewusstsein aufgewachsen und erzogen worden: Egal, wie schlecht es dir tatsächlich gehen mag, egal, wie unzufrieden du bist, Rechtsextreme zu wählen, ist ein Tabu. Dieses Tabu gilt heute nicht mehr.

Ja. Dieses Tabu ist im Osten früher gefallen als im Westen. Im Westen sprachen die Wahlergebnisse lange dafür, dass dieses Tabu, stabil ist. Aber auch hier legt die AfD zu und Studien zeigen, dass Vorurteile und Ressentiments auch im Westen stark zunehmen. Das heißt, diese ideologische Trommelfeuer-Strategie, mit der die AfD seit Jahren gegen Minderheiten hetzt und völkische Botschaften streut, geht jetzt auf. Im Osten gibt es die Besonderheit, dass dieses Tabu ohnehin viel schwächer ausgeprägt ist. In großen Bevölkerungsteilen herrscht die Meinung vor, Demokratie hieße, dass jeder demokratisch ist, der demokratisch gewählt werden kann. Das ist das große Missverständnis in Bezug auf die AfD. Nur weil sie demokratisch gewählt werden kann, bedeutet das nicht, dass die Partei demokratische Ziele verfolgt.

Waren diese rassistischen, rechtsextremen Einstellungen vielleicht schon die ganze Zeit da und die AfD hat sie einfach nur sichtbar gemacht, indem sie die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben hat?

Wir wissen aus Studien, dass rassistische und ausländerfeindliche Einstellungen im Osten seit langem stark ausgeprägt sind. Es gibt da eine Kontinuität seit der Wiedervereinigung, deren Wurzeln vor 1989 liegen. Das hat damit zu tun, dass die DDR eine nahezu ausländerfreie Gesellschaft war. Die wenigen Ausländer waren Vertragsarbeitende, die aber von der übrigen Bevölkerung strikt getrennt waren. Nach 1989 gab es dann diese massive rassistische Welle der Gewalt mit Anschlägen in Ostdeutschland, die auch in den Westen geschwappt ist, bis hin zu mörderischem Rechtsterrorismus. An das populäre Gesellschaftsideal, möglichst wenige Ausländer in einer Gesellschaft zu haben, konnte die AfD mit ihrer völkischen Ideologie anknüpfen und diese bis heute erfolgreich befeuern.

Welche Rolle spielt denn Angst beziehungsweise das Produzieren von Angst bei der AfD?

Die AfD schürt ganz bewusst die Existenzangst der Deutschen. Kaum eine Höcke-Rede kommt ohne diesen angeblich drohenden Untergang Deutschlands aus. Führende AfD-Politiker behaupten nicht etwa, dass hier und da etwas falsch läuft, sondern dass alle sogenannten "Altparteien" dieses Deutschland systematisch zerstören und ruinieren. Erst mit dieser verinnerlichten Erzählung der drohenden Apokalypse braucht es ja überhaupt diesen Retter, für den sich die AfD ausgibt. Es ist also zentral für den Erfolg der Partei, die vorhandenen Unsicherheiten in der Bevölkerung so zu befeuern, dass daraus eine Angst um die eigene Existenz wird.

Das funktioniert aber nur, wenn es kein Gegengewicht zu diesen Erzählungen gibt. Zu diesem Gegengewicht gehören Medien, Wissenschaft, Verfassungsschutz oder auch die anderen Parteien, also Institutionen, auf die wir uns seit Jahrzehnten in Deutschland verlassen konnten und haben …

… die AfD ignoriert nicht nur die Wissenschaft, sondern bekämpft sie sogar. Sie leugnet den menschengemachten Klimawandel, verbreitet selbst Verschwörungserzählungen wie die vom sogenannten Großen Bevölkerungsaustausch, wonach die einheimische Bevölkerung angeblich systematisch durch Migranten ersetzt werden soll. Sie macht das auf allen Hierarchieebenen bis hin zum Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der sogar eine besonders perfide Variante vom sogenannten Great Replacement erzählt hat. Dazu muss man wissen, dass die Theorie des Großen Austauschs, letztlich eine Terrorideologie ist. Denn diese Ideologie lässt Rechtsterroristen weltweit morden. Diverse Täter haben sich auf diese Erzählung bezogen. Die AfD zerstört die Grundlagen des Diskurses, indem sie auf Lüge und Verschwörungserzählungen setzt, um Ängste zu schüren und die Menschen auf die radikalen Lösungen ihrer brutalen völkischen Politik vorzubereiten.

"Die Leute wissen, wer die AfD ist und sie wollen das offenbar so"

In Ihrem Buch zitieren Sie Björn Höcke, als er davon spricht, es gehe auch um den Kampf um Begriffe. Inwieweit hat es die AfD bereits geschafft, ihre Begriffe in den täglichen Sprachgebrauch einsickern zu lassen?

Der AfD ist es gelungen, den Diskurs weit nach rechts zu verschieben und die Parteien vor sich her zu treiben. Also das Gerede von den sogenannten "Mainstream-Medien" und den "Altparteien", worunter alle demokratischen Parteien fallen. Mit Begriffen wie "Messer-Migration" und "unkontrollierter Massenmigration" ist es gelungen, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Begriffe werden auch umgedeutet. Wenn die AfD von Demokratie spricht, dann meint sie damit eben nicht die pluralistische Demokratie des Grundgesetzes, in der auch Minderheiten ihre Rechte haben, in der die Würde jedes Menschen geschützt ist. Mit Demokratie meinen sie ihre autoritären völkischen Positionen, also quasi für ein homogen verstandenes deutsches Volk zu sprechen. Dazu gehört, dass Minderheiten massiv in ihrer Würde angegriffen werden und dass absehbar ist, dass die AfD diesen Minderheiten ihre grundgesetzrechtlich geschützten Rechte streitig machen würde, wenn man beispielsweise an die Religionsfreiheit denkt. So hetzt die AfD etwa seit Jahren gegen muslimische Menschen.

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Sie sagten, es könne niemand mehr behaupten, er wisse nicht über die rechtsextreme Ideologie und die Ziele der Partei Bescheid. Gleichzeitig warnten Wirtschaftsverbände vor den jüngsten Landtagswahlen vor dem Wirtschaftsprogramm, aber auch vor der Fremdenfeindlichkeit der AfD. Die Skandale, wie der um Maximilian Krah, sind bekannt, die Deportationsfantasien ebenso: Was muss noch passieren, dass man sagt: "Nein, diese Partei wähle ich nicht!"?

Der AfD ist es gelungen, mit Kernbotschaften wie "Die da oben fahren Deutschland gegen die Wand, nur die AfD kann das Land retten" zu punkten. Die zweite Kernerzählung lautet: "Wir müssen uns nur gegen alles Fremde abschotten und müssen nur wieder deutscher werden, dann wird alles gut." Das verfängt inzwischen bei rund einem Drittel in Ostdeutschland und zunehmend auch im Westen. Es ist ihnen sogar gelungen, einen Kampf-Begriff wie "Remigration" zu retten und damit Wahlen zu gewinnen. Das zeigt: Ja, die Leute wissen, wer die AfD ist und sie wollen das offenbar so. Der Leipziger Demokratieforscher Oliver Decker warnt, viele Menschen würden nicht mehr auf demokratische Teilhabe, sondern auf autoritäre Scheinlösungen setzen. Da hilft es also nicht, die AfD-Wählerschaft in Schutz zu nehmen. Auch das Versagen der Ampelkoalition rechtfertigt nicht, gefährliche Scheinlösungen zu wählen. Zumal diejenigen, die AfD wählen, selbst stark unter deren Politik zu leiden hätten. Das ist das sogenannte AfD-Paradoxon. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat klargemacht, dass in ganz vielen Politikfeldern die AfD-Wählerschaft massiv unter der Politik der AfD zu leiden hätte, sei es bei den Folgen des Klimawandels, bei Steuern, Renten und so weiter. Die Wahl der AfD ist also oft irrational und gegen die eigenen Interessen.

Über den Gesprächspartner

  • Michael Kraske (Jahrgang 1972) ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher über Ostdeutschland und Rechtsextremismus. Ende September erschien beim Verlag C.H. Beck das Buch "Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD", das er zusammen mit Dirk Laabs geschrieben hat.
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