Der Bundestag hat das beispiellose Schuldenpaket von Union und SPD abgesegnet – dreieinhalb Wochen nach der Wahl und noch in seiner alten Zusammensetzung.

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Historischer Beschluss im Bundestag: Das Parlament hat dem milliardenschweren Finanzpaket von Union und SPD zugestimmt – mit den alten Mehrheiten. Bei der Abstimmung kamen die erforderlichen Grundgesetzänderungen am Dienstagnachmittag auf die nötige Zweidrittelmehrheit. Wenn es diese am Freitag auch im Bundesrat gibt, ist das von CDU-Chef Friedrich Merz und den wahrscheinlich künftigen Regierungsparteien Union und SPD geplante Vorhaben beschlossen.

Zustimmung im Bundesrat gilt als sicher

Für die Änderung von vier Artikeln der Verfassung stimmten laut Ergebnisliste des Bundestags 512 Abgeordnete, 206 votierten dagegen, es gab keine Enthaltung. Erforderlich waren mindestens 489 Stimmen. Neben CDU, CSU und SPD hatten auch die Grünen angekündigt, das Vorhaben zu unterstützen.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte in der Sitzung leicht andere Zahlen verkündet, nämlich 513 Ja-Stimmen und 207 Nein-Stimmen. Das wurde nachträglich korrigiert.

SPD, Union und Grüne hatten zusammen 520 Abgeordnete im scheidenden Parlament, das nun endgültig Geschichte ist. Die Länderkammer stimmt am Freitag ab, hier gilt die Zweidrittelmehrheit seit der Einigung zwischen CSU und Freien Wählern am Montagabend als knapp, aber gesichert.

Das Paket soll der künftigen Regierung erheblichen finanziellen Spielraum geben. Geplant ist erstens die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben über einem Prozent der Wirtschaftsleistung. Zudem sollen die Länder wie bisher schon der Bund jährlich Kredite von bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen können. Und schließlich sollen 500 Milliarden Euro in ein neues Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz fließen.

Union und SPD hatten sich in ihren Sondierungsgesprächen über die Bildung einer künftigen Bundesregierung auf das Paket geeinigt. In schwierigen Verhandlungen und nach einer Reihe von Zugeständnissen sicherten sie sich zudem die Zustimmung der Grünen. AfD, Linke und BSW versuchten mit mehreren Klagen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vergeblich, die Sondersitzung des alten Bundestags und die Abstimmung noch zu verhindern. Zu Sitzungsbeginn scheiterten Geschäftsordnungsanträge von AfD und FDP zur Absetzung der Aussprache.

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Merz und Klingbeil verteidigen Finanzpaket

Diese geriet anschließend in der letzten Sitzung des alten Parlaments zu einer kontroversen Grundsatzdiskussion. Merz verteidigte die Pläne vor dem Hintergrund von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und der Bedrohung von Europas Sicherheit. Das Finanzpaket eröffne "eine Perspektive für unser Land, die in der Zeit, in der wir heute leben, dringend geboten ist."

Deutschlands Stärkung im Verteidigungsbereich sei dabei "der erste große Schritt hin zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft", sagte Merz. Auch wenn viele mit einem so weitreichenden Schritt ringen würden, könne seine Fraktion die nötigen Grundgesetzänderungen "mit gutem Gewissen beschließen".

SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, das Finanzpaket sei ein "historischer Kompromiss" zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen. Er verteidigte dabei die massive Schuldenaufnahme. Nicht diese belaste aber die Bürgerinnen und Bürger, sondern die massiven Defizite bei Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung, wenn nicht gehandelt werde. Dabei sei Eile geboten: "Die Welt wird gerade neu vermessen, niemand wartet auf Deutschland und niemand wartet auf Europa."

"Die Entscheidung heute ist das unmissverständliche Signal einer deutschen Verantwortungsübernahme für ein sicheres Europa und ein wirtschaftlich stabiles Deutschland", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann rechtfertigte die Billigung des Pakets mit den ausgehandelten Zugeständnissen. Hier haben die Grünen unter anderem erreicht, dass aus dem Sondervermögen 100 Milliarden Euro in den Klimaschutz fließen. Haßelmann betonte, ihre Partei habe auch durchgesetzt, dass die Investitionen in Infrastruktur zusätzlich erfolgen müssten.

FDP attackiert Merz hart

FDP-Fraktionschef Christian Dürr warf dem voraussichtlichen künftigen Kanzler Merz vor, er führe "die erste Schuldenkoalition der Bundesrepublik Deutschland". Merz wolle an die Spitze einer Regierung treten, "die den Wohlstand von morgen für kurzfristige Wahlgeschenke bereit ist zu opfern".

Merz sei "jedes Mittel recht", um Bundeskanzler zu werden, sagte AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla. Statt Schulden in nie dagewesener Höhe aufzunehmen, brauche es einen "ehrlichen Kassensturz".

Die Linke warf Merz eine "unsoziale und verlogene" Politik vor. Gruppenchef Sören Pellmann sprach von einer "gigantischen Aufrüstungsverschuldung". BSW-Chefin Sahra Wagenknecht brandmarkte die Finanzpläne als "Kriegskredite mit Klimasiegel" – und spielte darauf an, dass über das Sondervermögen auch Klimaneutralität bis 2045 in die Verfassung geschrieben wird.

Seine letzte Hürde soll das Finanzpaket am Freitag im Bundesrat nehmen. Die von Union, SPD und Grünen regierten Länder kommen dort zusammen zwar nicht auf zwei Drittel der Stimmen. CSU und Freie Wähler kündigten am Montagabend aber an, dass das von ihnen regierte Bayern ebenfalls zustimmen wird. Damit würde die Zweidrittelmehrheit erreicht.

Wie haben die Parteien genau abgestimmt?

Bei Union, SPD und Grünen hat am Dienstag je ein Abgeordneter gegen das Schuldenpaket gestimmt. Bei der CDU war es wie angekündigt der frühere Generalsekretär Mario Czaja, bei der SPD der Abgeordnete Jan Dieren und bei den Grünen die Abgeordnete Canan Bayram, wie aus einer Abstimmungsaufstellung des Bundestags hervorgeht.

Mehrere Abgeordnete nahmen an der Abstimmung nicht teil, wobei die Gründe teilweise offen sind und auch Krankheitsfälle eine Rolle spielen können. Bei der Union beteiligten sich Ronja Kemmer und Jens Koeppen nicht. Letzterer hatte schon im Vorfeld angekündigt, an der Sitzung nicht teilzunehmen, weil er einen Beschluss des scheidenden Bundestags für eine Entscheidung solcher Tragweite nicht für rechtmäßig hält.

Bei der SPD nahm die Abgeordnete Nezahat Baradari nicht an der Abstimmung teil. Bei den Grünen war es vier Abgeordnete: Tessa Ganserer, Sabine Grützmacher, Tabea Rößner und Beate Walter-Rosenheimer.

Die AfD stimmte geschlossen mit Nein, drei Abgeordnete nahmen nicht teil. Die FDP votierte mit allen anwesenden Abgeordneten gegen das Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur, drei Abgeordnete fehlten. Alle Vertreter der Linkspartei stimmten gegen die Vorlage, beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ebenso, allerdings nahm der Abgeordnete Klaus Ernst nicht an der Abstimmung teil.

Zudem stimmten zwei fraktionslose Abgeordnete für das Finanzpaket, darunter Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der nach dem Bruch der Ampel-Koalition aus der FDP ausgetreten war. Sechs weitere Fraktionslose votierten mit Nein, einer nahm nicht teil. (afp/dpa/bearbeitet durch ras und tas)

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