In Deutschland leben einer neuen Studie zufolge mehr Menschen unterhalb der Armutsgrenze als bisher angenommen – und zwar etwa 5,4 Millionen. Grund dafür sind die vielerorts hohen Wohn- und Nebenkosten.
In Deutschland leben offenbar viel mehr Menschen unterhalb der Armutsgrenze als bislang angenommen. Konkret soll es sich um etwa 5,4 Millionen Betroffene handeln. Das legt eine Studie des Paritätischen Gesamtverbands nahe. Demnach geben viele Haushalte mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Miet- und Nebenkosten aus – einige sogar mehr als die Hälfte.
Der Lebensstandard könne nicht mehr am Einkommen gemessen werden, stattdessen würde die Frage, wie viel ein Mensch zum Leben ausgeben muss, essenzieller, heißt es in der Studie. So könne sich der Lebensstandard von Menschen mit ähnlichem Einkommen stark unterscheiden.
Das Ergebnis der Studie: Insgesamt sind 17,5 Millionen Menschen von sogenannter "Wohnarmut" betroffen. Das sind 21,2 Prozent der Bevölkerung. Besonders viel Wohnarmut gibt es in Bremen (29,3 Prozent), Sachsen-Anhalt (28,6 Prozent) und Hamburg (26,8 Prozent). Währenddessen ist laut "Spiegel" in Baden-Württemberg und Bayern Wohnarmut weniger stark verbreitet. Besonders stark zeige sich laut dem Magazin der Unterschied zwischen der konventionellen und der bereinigten Armutsquote in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Für die Erhebung hat der Verband eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts verwendet. Darin wurde tatsächlich verfügbares Einkommen nach Abzug der Wohnkosten – also Warmmiete und Strom – berücksichtigt. Der Wohlfahrtsverband hat mit diesen Zahlen eine Wohnarmuts-Grenze ermittelt. Als armutsgefährdet gelten Menschen, wenn sie monatlich weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Medianeinkommen bedeutet, dass die eine Hälfte der Bevölkerung mehr und die andere weniger verdient.
Verband stellt klare Forderung an neue Regierung
Joachim Rauck, der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, sagt dazu: "Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zum Armutstreiber." Durch die steigenden Wohnkosten gehe die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Massiv betroffen sind Menschen ab 65 Jahren, junge Erwachsene, Alleinerziehende und Erwerbslose. Der Verband ruft aufgrund der neuen Zahlen eine neue Bundesregierung auf, dauerhaft sozial gebundene Wohnungen zu schaffen. "Eine zielgerichtete Politik zur Vermeidung von Armut in Deutschland braucht gute Löhne, bessere soziale Absicherung und eine Wohnungspolitik, die Mieten bezahlbar hält", erklärt Rauck.
Dass die finanzielle Situation vieler Haushalte angespannt ist, merkt auch die Tafel. Die meisten Tafeln in Deutschland sehen sich angesichts von immer mehr Bedürftigen dazu gezwungen, die Menge der ausgegebenen Lebensmittel stärker zu rationieren. "Ein Drittel versucht, sich mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten zu helfen, die sie nach Möglichkeit abarbeiten. 60 Prozent der Tafeln müssen die Menge der ausgegebenen Lebensmittel reduzieren", sagte der Vorsitzende des Tafel-Dachverbandes, Andreas Steppuhn, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). (ras)
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass Menschen, die über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verfügen, arm sind. Diese Aussage ist in dieser Form nicht korrekt. Stattdessen ist richtig, dass diese Menschen als armutsgefährdet gelten.
Verwendete Quellen:
- der-paritätische.de: "Studie belegt: Wohnen macht arm"
- Spiegel.de: "Mehr Menschen leben wegen hoher Wohnkosten in Armut"
- dpa
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