Nach der ernüchternden Bundestagswahl stellen sich die Grünen in der Opposition neu auf. Aber wie? Die Parteivorsitzende Franziska Brantner spricht im Interview über Fehler im Wahlkampf, die Abgrenzung von Schwarz-Rot und das Dauerdiskussionsthema Migration.

Ein Interview

Die Grünen treffen sich am Sonntag zum Länderrat, ihrem kleinen Parteitag, in Berlin. Es dürfte viel zu besprechen geben. Bei der Bundestagswahl hat die Partei ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. An der nächsten Bundesregierung wird sie nicht mehr beteiligt sein – und mit Robert Habeck und Annalena Baerbock haben die Personen ihren Rückzug angekündigt, die das Bild der Grünen in den vergangenen Jahren geprägt haben.

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Was für eine Partei wollen sie in der Opposition sein? Und wie müssen sie sich verändern? Fragen an die Co-Vorsitzende Franziska Brantner.

Frau Brantner, wie schwer fällt Ihnen der Machtverlust?

Franziska Brantner: Wir hatten gehofft, das Land weiter zu modernisieren, gerechter und nachhaltiger zu machen. Aber das machen wir jetzt aus der Opposition heraus. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, zumal sich abzeichnet, dass die neue Regierung eine Rückschrittskoalition ist.

Ihre Partei hat Union und SPD beim Schuldenpaket viele Zugeständnisse abgerungen. Sind die Grünen vielleicht eine bessere Oppositions- als Regierungspartei?

Nein. Wir sind auch eine gute Regierungspartei. Wir haben von Anfang an gesagt: Unser Land braucht jetzt schnell Investitionen, von der Infrastruktur über Schulen, Kitas bis zu unserer Sicherheit. Den Ausbau der erneuerbaren Energien haben wir schon stark beschleunigt, genau wie die Planung von Brückensanierungen. Für Investitionen im erforderlichen Umfang gibt es aber erst jetzt genug Geld. Wir werden darauf achten, dass es nur dorthin geht, wo es einen Unterschied macht. Union und SPD müssen außerdem den Mut aufbringen, auch strukturelle Reformen anzugehen, denn Geld allein löst nicht alle Probleme. Mich besorgt aber noch etwas anderes.

Was denn?

Friedrich Merz hat über Wochen und Monate die Schuldenbremse wie eine Monstranz vor sich hergetragen – aus Parteitaktik und wider besseren Wissens. Nach der Wahl hat er dann sofort die 180-Grad-Wende vollzogen. Das war zwar das Richtige fürs Land, aber er hat seine Wähler getäuscht. Ich fürchte, das wird wieder zu Politikverdrossenheit führen. Die demokratischen Parteien werden mehr Menschen verlieren, wenn diese das Gefühl haben: Das Geschwätz vom Vortag interessiert die Politiker nicht mehr.

"Herr Merz und seine Koalition könnten Klimaschutz umsetzen – am Geld würden sie nicht scheitern."

Franziska Brantner

Sie haben der künftigen Merz-Regierung aber ermöglicht, mehr Schulden aufzunehmen. Wenn sie das Geld jetzt ausgibt, können Sie nur noch zuschauen.

Wir haben erreicht, dass für das 500-Milliarden-Sondervermögen die Zusätzlichkeit gilt. Jeder Euro, um den sich der Bund verschuldet, soll in echte Investitionen, also funktionierende Brücken und Schulen oder mehr zusätzliche Bahnkilometer fließen. Das Geld darf nicht genutzt werden, um Steuergeschenke zu finanzieren. Wir haben auch erreicht, dass 100 Milliarden Euro davon für den Klimaschutz zur Verfügung stehen. Herr Merz und seine Koalition könnten Klimaschutz umsetzen – am Geld würden sie nicht scheitern.

Gilt das auch für die Verteidigung? Da hat die nächste Regierung ebenfalls viel mehr Spielraum, um Geld auszugeben.

Union und SPD denken Verteidigung offensichtlich rein national und nicht europäisch. Dabei ist in dieser gefährlichen Situation keine Zeit für nationale Alleingänge. Wir brauchen eine europäische Verteidigungsunion, die gemeinsam in neue Technologien investiert und Rüstungsgüter beschafft. Wenn Ungarn unter Orbán nicht mitmachen will, brauchen wir eine Allianz der Freiheit, etwa auch zusammen mit den Briten und Norwegern.

Die Grünen leisten sich weiterhin zwei Partei- und zwei Fraktionsvorsitzende. Wo wird das Machtzentrum in den nächsten vier Jahren liegen?

Im Team. Das haben wir in den vergangenen Wochen erprobt, und das ist uns gut gelungen.

Also geht alles weiter wie bisher? Die Grünen haben zum Beispiel eine schwache Verzahnung mit den Ländern. In anderen Parteien sind Vertreter der Länder auch stellvertretende Parteivorsitzende.

Deswegen werden wir beim kleinen Parteitag eine Strukturkommission einsetzen. Sie soll auch überlegen, wie wir unsere inzwischen 170.000 Mitglieder und deren Expertise noch besser einbeziehen können.

Viele von den rund 50.000 Neumitgliedern sind während des Wahlkampfs mit Robert Habeck eingetreten. Er will sich jetzt aber zurückziehen. Haben Sie Angst, dass Ihnen die neuen Mitglieder wieder abhandenkommen?

Viele sind wegen Robert Habecks Art, Politik zu machen, bei uns eingetreten: Mit den Menschen im Gespräch bleiben, konstruktiv nach Lösungen suchen und auch dort hingehen, wo es mal wehtut. Diese Herangehensweise werden wir uns erhalten.

Robert Habeck und die Grünen allgemein sind bei der Bundestagswahl aber unter den eigenen Erwartungen geblieben. Welche Fehler haben Sie gemacht?

Wir haben es geschafft, uns nach einstelligen Umfragen wieder nach oben zu kämpfen. Aber es stimmt: Wir sind nicht da gelandet, wo wir sein wollten. Die Diskussionen um das Heizungsgesetz wirkten noch nach. Es gab auch eine strategische Unklarheit, wo wir in der Migrationspolitik oder mit unseren sozialen Sicherungssystemen hinwollen. Auch die Polarisierung, als Friedrich Merz im Bundestag die Stimmen der AfD in Kauf genommen hat, hat uns nicht geholfen. Davon haben die politischen Kräfte profitiert, die eine Zusammenarbeit mit Merz kategorisch ausgeschlossen haben.

Wenn die Grünen in der Migrationspolitik strategisch unklar geblieben sind – wofür stehen Sie denn nun bei dem Thema?

Wir verbinden Humanität und Ordnung. Das ist eine herausfordernde Position, weil sie schwerer zu kommunizieren ist als einfache Parolen. Aber es wird der Vielschichtigkeit des Themas gerecht. Für Polarisierung sind wir nicht zu haben. Wir müssen besser vermitteln, warum es positiv für Deutschland ist, ein Einwanderungsland zu sein. Die Menschen, die zu uns kommen, halten unser Land am Laufen. Keiner von ihnen soll sich Sorgen darum machen müssen, was mit ihm passiert.

Das passt vor allem zum Aspekt Humanität. Welche Botschaft haben Sie an Menschen, die sich mehr Ordnung in der Migration wünschen?

Wir haben im Blick, vor welchen Aufgaben die Kommunen unter anderem bei der Integration und Unterbringung stehen. Da muss der Bund mit den Ländern und Kommunen gut zusammenarbeiten. Eine bessere Zusammenarbeit braucht es übrigens auch bei der Sicherheitspolitik, etwa wenn es um Identifikation von Gefährdern und Prävention von Gewalttaten geht.

"Wir wollen im Osten in der Fläche präsenter sein, auch um rechten Kräften nicht das Feld zu überlassen."

Franziska Brantner

Den Grünen schlägt vor allem in den östlichen Bundesländern viel Ablehnung entgegen. Jetzt ist Katrin Göring-Eckardt, die wohl prominenteste Grüne mit ostdeutscher Biografie, auch noch ihren Posten als Bundestagsvizepräsidentin los. Das widerspricht doch jedem Versprechen, sich besser um den Osten zu kümmern.

Katrin Göring-Eckardt bleibt eine wichtige Politikerin bei uns, wie übrigens auch Steffi Lemke, Michael Kellner, Paula Piechotta oder Claudia Müller. Trotzdem werden wir dazu einen eigenen Prozess aufsetzen. Bündnis 90 ist Teil unserer Identität. Wir wollen im Osten in der Fläche präsenter sein, auch um rechten Kräften nicht das Feld zu überlassen. Ostdeutschland ist kein Block – die Bedürfnisse zwischen Leipzig und Greifswald sind unterschiedlich. Trotzdem gibt es Fragen, die dort besonders relevant sind.

Welche sind das aus Ihrer Sicht?

Was bedeutet bündnisgrüne Friedenspolitik, wenn sich Trump und Putin verbrüdern? Was brauchen die Menschen für eine gute Gesundheitsversorgung und gute Erreichbarkeit auf dem Land? Mir war als Parlamentarischer Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium aber auch immer wichtig, auf die große Innovationskraft in den ostdeutschen Ländern hinzuweisen. Davon kann auch der übrige Teil Deutschlands lernen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Franziska Brantner wurde 1979 in Lörrach geboren. Sie studierte Politikwissenschaft in Paris und New York und promovierte in Mannheim, arbeitete für die Bertelsmann-Stiftung und die UN-Frauenrechtsorganisation. 2009 wurde sie für die Grünen Mitglied des Europa-Parlaments, 2013 wechselte sie in den Bundestag. 2021 wurde sie in der Ampelkoalition Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 2024 Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.