Schon früh hat Scholz seinen Anspruch auf die erneute SPD-Kanzlerkandidatur formuliert. Der Widerstand in der Partei wächst nun allerdings. Die Entscheidung dürfte in den nächsten zwei Wochen fallen.

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Kanzler Olaf Scholz rückt trotz wachsenden Widerstands in der SPD nicht von seinem Anspruch auf die Kanzlerkandidatur seiner Partei bei der vorgezogenen Bundestagswahl ab. "Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen, übrigens mit dem Ziel zu gewinnen", sagte Scholz vor dem Abflug zum G20-Gipfel in Brasilien auf die Frage, ob er unter allen Umständen auf der Kanzlerkandidatur bestehen werde.

Kurz vorher hatte der offene Widerstand in der SPD dagegen eine neue Ebene erreicht: Nach etlichen Kommunalpolitikern sprach sich mit Joe Weingarten erstmals ein Bundestagsabgeordneter dafür aus, mit dem in den Umfragen weitaus beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an der Spitze in den Wahlkampf zu ziehen.

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Joe Weingarten möchte nicht, dass Olaf Scholz wieder als Kanzler kandidiert. © dpa / Britta Pedersen

Das geht aber nicht, ohne dass Scholz einen Rückzieher macht. Er hatte seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur bereits im Juli erklärt, als der Bruch der Ampel-Koalition noch weit weg war: "Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden", sagte er damals. Mit seinem Vorhaben, die Ampel-Koalition zu einem Projekt für mehr als eine Wahlperiode zu machen, ist er nun vorzeitig gescheitert. Und aus dem Umfragetief mit Werten deutlich unter 20 Prozent kommt die SPD mit ihm als Kanzler seit Monaten nicht heraus. Der Rückstand zur Union beträgt derzeit 16 bis 18 Prozentpunkte.

Parteivorstand zögert bei Nominierung

Die Parteispitze steht zwar hinter dem Kanzler und hat wiederholt ihre Unterstützung für ihn betont. Auch nach der Entscheidung für eine Neuwahl am 23. Februar hat sie aber zunächst darauf verzichtet, ihn zu nominieren und damit die Kandidatendebatte mit ermöglicht.

Von den Befürwortern eines Kanzlerkandidaten Scholz wurde die Unterstützung für Pistorius bisher in der dritten und vierten Reihe verortet und klein geredet. Joe Weingarten war am Wochenende der erste Bundestagsabgeordnete, der sich aus der Deckung wagt. "Es ist meine klare Meinung, dass wir mit Boris Pistorius in den Wahlkampf ziehen sollten", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Er hat die Tatkraft, die Nähe zu den Menschen und die Fähigkeit, auch in klarem Deutsch zu sagen, was zu tun ist. Und das braucht unser Land jetzt." Weingarten gehört in der Bundestagsfraktion dem konservativen Seeheimer Kreis an.

Als zweiter Bundestagsabgeordneter der SPD sprach sich Johannes Arlt aus Mecklenburg-Vorpommern öffentlich für Pistorius aus. "Wir sollten jetzt schnellstmöglich klären, wer für die SPD als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl gehen wird", sagte Arlt dem "Tagesspiegel". "Boris Pistorius wäre ein solch hervorragender SPD-Kanzlerkandidat. Meiner Meinung nach ist er bestens geeignet, unsere Partei in den Wahlkampf zu führen."

Auch Johannes Arlt plädiert für Boris Pistorius. © picture alliance/dpa/Jessica Lichetzki

Pistorius stehe für Geradlinigkeit und einen klaren Wertekompass, sagte Arlt. Er übe in harten Zeiten "das schwierigste Ministeramt" aus und könne "den Menschen politische Entscheidungen mit einfachen, klaren Worten erklären".

Eine Überlebensfrage für die SPD?

Vor den beiden hatte sich bereits eine Reihe von Kommunalpolitikern offen für Pistorius ausgesprochen. Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte zuletzt der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bochum, Serdar Yüksel, dem "Stern". "Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius." Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung. "Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt."

Die SPD-Spitze versucht seit Tagen vergeblich gegen die anschwellende Debatte anzureden. Die Appelle zünden aber nicht. Kurz vor der Abreise des Kanzlers zum G20-Gipfel meldete sich mit Franz Müntefering der wohl beliebteste noch lebende Ex-Parteichef zu Wort. Der 84-Jährige forderte eine Entscheidung auf einem Parteitag, notfalls in einer Kampfabstimmung: "Selbstverständlich sind Gegenkandidaturen in der eigenen Partei grundsätzlich möglich und kein Zeichen von Ratlosigkeit. Sie sind praktizierte Demokratie", sagte er dem "Tagesspiegel".

Klingbeil steht an Scholz' Seite

SPD-Chef Lars Klingbeil trat den lauter werdenden Forderungen aus seiner Partei entgegen, Olaf Scholz durch Boris Pistorius zu ersetzen. Es sei "ein Irrglaube zu meinen, man tauscht nur den einen gegen den anderen aus und schon ist alles rosig, blüht und gedeiht", sagte Klingbeil dem "Handelsblatt" nach Angaben vom Sonntag. Zudem habe Pistorius selbst gesagt, dass er möchte, dass Scholz antrete.

"Insofern gibt es eine Klarheit auch zwischen den beiden", sagte Klingbeil. "Da gibt es kein Wackeln." Diese Klarheit sei für die SPD nun "ein Auftrag, in den Kampfmodus zu gehen und zu überzeugen", sagte Klingbeil weiter. "Da muss der Kanzler jetzt vorneweg marschieren und auch die eigenen Mitglieder überzeugen."

"Ich bin froh, dass Boris Pistorius der beliebteste Politiker ist. Er macht einen sehr guten Job als Verteidigungsminister", so Klingbeil. Für Scholz gehe es jetzt darum, im Wahlkampf klarzumachen: "Wir kämpfen für die arbeitende Mitte, für die Rentnerinnen und Rentner, für die Familien in diesem Land." Die SPD sei eine Partei, die auf Inhalte setze, betonte der Parteichef. "So wird der Kanzler Vertrauen zurückgewinnen."

Klingbeil stimmte die Deutschen auf schwierige Zeiten ein: "Wir müssen den Bürgern sagen, dass nun fünf oder zehn sehr herausfordernde Jahre bevorstehen, dass wir sehr viel verändern werden müssen", sagte er. "Aber am Ende, und das versprechen wir euch, steht ein starkes Deutschland, das international wettbewerbsfähig ist, mit einer modernen Industrie." An diesem Zukunftsbild zu arbeiten, das sei die große Aufgabe, vor der die Politik jetzt stehe.

Mexiko-Reise abgesagt: "Es ist ja einiges los hier"

In dieser Situation ist Scholz jetzt erstmal für fast drei Tage weg. Beim Gipfel in Rio de Janeiro wird es um Armutsbekämpfung, die Reform internationaler Institutionen wie UN, IWF und Weltbank, Klimaschutz und natürlich auch um die Kriege in der Ukraine und in Nahost gehen. Am Rande wird der Kanzler bilaterale Gespräche führen, unter anderem mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Eigentlich wollte Scholz am Dienstagabend auch noch weiter nach Mexiko reisen, in das einzige lateinamerikanische G20-Land, das er in seiner knapp dreijährigen Amtszeit noch nicht besucht hat. Dieser Teil der Reise wurde aber "aufgrund der aktuellen Situation" kurzfristig abgesagt, um "frühzeitig wieder hier in Berlin zu sein", wie es in seinem Umfeld hieß. "Es ist ja einiges los hier."

Entscheidung der K-Frage bis Ende November

Scholz landet am Mittwochmorgen wieder in Berlin. Dann dürfte es nur noch eine Frage von Tagen sein, bis die Entscheidung in der K-Frage fällt. Bis zu dem für den 11. Januar geplanten Parteitag wird die Parteiführung nun nicht mehr warten. Am 30. November ist in Berlin eine "Wahlsiegkonferenz" geplant, auf der der Kanzlerkandidat seinen ersten großen Auftritt haben soll.

Ein Rückzieher von Scholz galt lange Zeit als undenkbar. In einem am Freitag veröffentlichten Interview der "Süddeutschen Zeitung" öffnete er die Tür aber zumindest einen Spalt. Auf die Frage, ob er sich unter bestimmten Umständen vorstellen könnte, die Kandidatur zu überdenken, antwortete er ausweichend. "Na ja, die Umstände der nächsten Wahl sind doch ziemlich klar", sagte er. Auf die Nachfrage, wie es bei einer Verschlechterung der Umfragewerte wäre, fügte er hinzu: "Die Zuverlässigkeit solcher Umfragen ist überschaubar, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, auch wenn das manche schnell vergessen haben."

Auch seine Antwort am Sonntag ließ die Klarheit vermissen, mit der er noch im Sommer seinen Anspruch auf die Kandidatur erstmals geltend gemacht hatte. Tatsächlich könnten die Umfragen in den nächsten Tagen noch eine Rolle bei der Entscheidung der K-Frage spielen. In einer am Samstag veröffentlichten Insa-Erhebung im Auftrag der "Bild am Sonntag" gewann die SPD einen Prozentpunkt hinzu liegt aber mit 16 Prozent immer noch 16 Punkte hinter der Union mit 32 Prozent. In den nächsten Tagen werden weitere Umfrageergebnisse folgen, die die Parteispitze genau registrieren wird.

Ratschlag von Joe Biden in Rio?

In Rio wird Scholz übrigens einen treffen, der ihm vielleicht einen Rat geben kann: der scheidende US-Präsident Joe Biden. Der 81-Jährige hatte nach Zweifeln an seiner Fitness und massivem öffentlichem Druck seine Kandidatur für eine Wiederwahl zugunsten seiner Vizepräsidentin Kamala Harris zurückgezogen. Es half allerdings nichts. Harris verlor gegen den Republikaner Donald Trump, der am 20. Januar wieder ins Weiße Haus einziehen wird. (Michael Fischer, dpa/AFP/bearbeitet von tas)

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