Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke hat mit seinen Kollegen von SPD und Grünen gut zusammengearbeitet. Trotzdem sagt er: Die Koalition war am Ende. Im Interview spricht Fricke über die Arbeit im Ausschuss, ein Land ohne Bundeshaushalt und Lehren aus dem Ampel-Aus.

Ein Interview

Auf dem Schreibtisch von Otto Fricke steht noch eine kleine Ampel, die blinkt und Melodien abspielt. Ein Geschenk des FDP-Ortsverbands Schwäbisch Hall, erzählt Fricke. Noch will der Liberale sie nicht wegräumen – auch wenn die Ampel als politisches Projekt inzwischen erloschen ist.

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Eigentlich hätte Otto Fricke in dieser Woche mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsauschuss den Bundeshaushalt 2025 final festzurren sollen. Doch dann kam das Koalitions-Aus. Wirklich überrascht war Fricke davon nicht. Es ging einfach nicht mehr, sagt er.

Auch wenn die letzten Tage turbulent waren: Fricke empfängt die Reporter gut gelaunt zum Gespräch in seinem Büro. Dabei zeigt er sich durchaus selbstkritisch – und sagt, was künftige Koalitionen besser machen müssen.

Herr Fricke, was machen Haushaltspolitiker, wenn es keinen Haushalt mehr zu beschließen gibt?

Haushälter arbeiten nicht nur, wenn der Haushalt im Kabinett beschlossen ist und ins Parlament kommt. Ein Haushalt wird vom Ausschuss das ganze Jahr begleitet, dazu gehört die Haushaltskontrolle, die Freigabe von Sperren aus dem Vorjahreshaushalt oder auch der Umgang mit Unternehmensbeteiligungen des Staates oder Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr, Stichwort Sondervermögen.

Nach dem Platzen der Ampel gibt es keinen Haushalt fürs nächste Jahr. Rot-Grün würde gerne einen Nachtragshaushalt beschließen. Die FDP will dem nicht zustimmen. Warum?

Es gibt keine Notwendigkeit dafür. Die Finanzmittel reichen, das ist erkennbar. Ein Nachtragshaushalt ist nur dann nötig, wenn die Kosten im laufenden Jahr in bestimmten Bereichen doch höher sind als zunächst erwartet. Das ist aber nicht der Fall. Ja, es wird Umschichtungen im Haushalt geben, etwa bei Intel, aber es braucht nicht mehr Geld.

Otto Fricke über Ampel-Haushälter: "Wir haben uns kein einziges Mal persönlich angegriffen"

Die Ampel hatte eigentlich eine Kindergelderhöhung fürs kommende Jahr geplant. Die fällt jetzt auch aus, oder?

Die könnte immer noch kommen, wenn es die entsprechende Mehrheit gibt. Für den Haushalt hat beides Auswirkungen: Kommt sie nicht, ist eingeplantes Geld verfügbar. Wenn sie kommt, hat sie auch an anderer Stelle möglicherweise wieder Auswirkungen, etwa beim Bafög. Das muss man sich im Detail anschauen.

Sie und Ihre Kollegen Dennis Rohde von der SPD und Sven-Christian Kindler von den Grünen haben ein eingespieltes Haushaltstrio gebildet. Wie ist Ihnen das gelungen?

Wir sind nach außen harmonisch aufgetreten – und zwar zurecht. Nach innen haben wir uns in vielen Nachtsitzungen natürlich ordentlich auseinandergesetzt. Wir haben uns dabei aber kein einziges Mal persönlich angegriffen. Wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, haben wir das akzeptiert. Was die Spitzen der Koalition angeht: Die persönlichen Vorwürfe, gerade des Bundeskanzlers an diesem Abend, haben gezeigt: Da war zwischenmenschlich irgendwas nicht mehr in Ordnung.

Sie waren ein eingespieltes Trio: Die Chef-Haushälter (von links) Otto Fricke (FDP), Dennis Rohde (SPD) und Sven-Christian Kindler (Grüne). © dpa/Flashpic/Jens Krick

Hätten sich die drei Spitzenmänner der Koalition ein Beispiel an Ihnen nehmen sollen?

Ich glaube nicht, dass man die Situation von Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister mit uns Haushältern vergleichen konnte. Im Fall des Spitzentrios sind zu viele beteiligt. Vor einem Jahr haben sie sich auf ein Haushaltspaket geeinigt, das auch die Streichung von Steuersubventionen für Agrardiesel enthielt. Der grüne Vizekanzler hat gesagt: Meine Partei trägt das mit. Aber der grüne Landwirtschaftsminister hat dem widersprochen. Und das alles findet in der Öffentlichkeit statt.

Die Ampel wollte beweisen, dass Koalitionen ideologische Grundsätze überbrücken können. Daran ist sie offenbar gescheitert. Was müssen die Parteien daraus lernen?

Der Jurist kommt Ihnen da mit Juristen-Latein: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Trotz aller Streitigkeiten haben wir uns lange im Rahmen des Koalitionsvertrags bewegt. Jede Partei hat dort Grenzen formuliert: Die SPD wollte keinen Sozialstaatsabbau, die Grünen keinen Abbau der Klimamodernisierung und bei uns war eben klar: keine Steuererhöhung und keine Verletzung der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse. Gescheitert ist die Koalition am Ende an der expliziten Aufforderung, die Notlage zur Ausnahme von der Schuldenbremse zu erklären. Das ging über die Grenzen des Vertrags, damit hat der Kanzler die Geschäftsgrundlage der Koalition verlassen.

Die FDP hat sich allerdings auch von Projekten verabschiedet, denen sie im Koalitionsvertrag noch zugestimmt hatte. Zum Beispiel die Einführung eines Klimagelds.

Wir haben uns nicht inhaltlich davon verabschiedet. Aber die Finanzierung ist gescheitert. Wenn man das Klimageld haben will, muss man sagen, woher das Geld dafür kommen soll.

Christian Lindner hat kurz vor dem Scheitern ein Papier mit Forderungen vorgelegt, die ebenfalls nicht im Koalitionsvertrag standen – und von denen er wusste, dass sie mit SPD und Grünen nicht zu machen sind.

Er hat Vorschläge gemacht, genau wie der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister das schriftlich gemacht haben. Er hat aber nicht alle Vorschläge zur Bedingung gemacht, wie es wiederum der Kanzler bei der Schuldenbremse gemacht hat. Der Kanzler hat gesagt: Du musst jetzt diese Kröte schlucken – und dazu war Christian Lindner nicht bereit.

"Das Land merkt inzwischen, dass das alte wirtschaftliche und soziale Modell nicht mehr funktioniert."

Otto Fricke

Ihre Lehre aus dem Scheitern lautet also: Man muss sich in Zukunft noch besser an Koalitionsverträge halten?

Das wäre die erste Lehre. Die zweite Lehre: Kompromisse sind nur möglich durch gegenseitiges Nachgeben.

Dazu waren alle drei Seiten offenbar irgendwann nicht mehr bereit.

Da stimme ich zu. Ich mag hier auch niemandem die alleinige Schuld geben. Wenn etwas gescheitert ist, finde ich die Schuldfrage langweilig. Jeder muss für sich selber rausfinden, was er falsch gemacht hat – das muss man aber nicht unbedingt in der Öffentlichkeit machen. Eine zukünftige Koalition steht aber noch vor einem weiteren Problem.

Und zwar?

Das Land merkt inzwischen, dass das alte wirtschaftliche und soziale Modell nicht mehr funktioniert. Bisher ist aber keine Seite bereit nachzugeben. Die Steuerzahler wollen keine höheren Steuern zahlen, der Sozialbereich will keine Abstriche bei den Sozialleistungen machen, die Industrie hält auch an vielem fest. Jeder sagt: Wir müssen uns verändern – aber bitte nicht bei mir. Dafür muss eine neue Koalition eine Lösung finden. Der Druck ist inzwischen groß: Audi, Mercedes, BMW, VW, die Zulieferer – alle haben Probleme. Es wird zu wenig in Deutschland investiert. Die FDP hat seit mehr als einem Jahr gesagt, dass es so nicht weitergeht.

Über den Gesprächspartner

  • Otto Fricke wurde 1965 in Krefeld geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Freiburg und ist seit 1995 Rechtsanwalt in Krefeld-Uerdingen. 2002 wurde er für die FDP erstmals in den Bundestag gewählt, 2005 bis 2009 war er Vorsitzender des Haushaltsausschusses. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode ist er haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.
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