Schwangerschaftsabbrüche sind ein heiß diskutiertes Thema in vielen Teilen der Bevölkerung. Befürworter und Gegner hoffen gleichermaßen bei der Politik Gehör zu finden. Schwierig wird es nur, wenn es über die bloße Meinungsäußerung hinausgeht.
Wer im politischen Berlin seinem Anliegen Gehör verschaffen will, muss im Lobbyregister eingetragen sein. Das gilt sowohl für Wirtschaftsverbände als auch für andere Vereine und Vereinigungen. Also auch für Abtreibungsgegner, die sich direkt an Politikerinnen und Politiker wenden. Dies ist laut einer Recherche von BR und NDR in mehreren Fällen nicht geschehen.
Konkret geht es um den Verein "Aktion Lebensrecht für Alle" (ALfA e.V.) und den Bundesverband Lebensrecht, dem der Verein angehört. Diesen Organisationen wird vorgeworfen, seit Jahren Lobbyarbeit gegen Schwangerschaftsabbrüche betrieben zu haben. ALfA ist jedoch nicht im Lobbyregister registriert. Der Dachverband erst seit kurzem.
Abtreibungsgegner kontaktierten regelmäßig Politikerinnen und Politiker
Aurel Eschmann von "LobbyControl" äußert sich auf der Website des Vereins wie folgt: "Im Lobbyregister sind kaum Akteure registriert, die angeben, gegen eine Abschaffung von §218 StGB zu lobbyieren. Bundestagsabgeordnete berichten jedoch von regelmäßigen Kontaktaufnahmen. Gerade beim Verein ALfA e.V. haben die Recherchen von NDR und BR klare Indizieren dafür gesammelt, dass hier gegen eine Registrierungspflicht verstoßen werden könnte."
So sollen laut BR und MDR in den vergangenen Monaten vermehrt Postkarten, Briefe und auch die Vereinszeitschrift "Lebensforum" an Abgeordnete des Bundestags geschickt worden sein. Die Politikerinnen und Politiker werden darin aufgefordert, an der Strafbarkeit der Schwangerschaftsabbrüche festzuhalten.
Die Ampel-Regierung hatte in ihrer Regierungszeit ein Expertengremium damit beauftragt, den besagten Paragraf 218 genauer zu untersuchen. Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich verboten. Sie bleiben aber bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei, wenn sich die Betroffene mindestens drei Tage vorher professionell beraten lässt.
Mit der vorgeschlagenen Neuregelung sollen Abtreibungen künftig überwiegend im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden und innerhalb der ersten zwölf Wochen ausdrücklich nicht mehr verboten sein. Danach soll das Verbot – mit Ausnahmen etwa aus medizinischen Gründen – weiterhin gelten. Der Paragraf 218 wurde aber bislang noch nicht geändert, da das Ampel-Aus dem Ganzen zuvor kam.
Neuer Vorstoß im Bundestag
Dennoch ist das Thema nicht gestorben. Am Montag (10.02.) heißt es bei der AFP, dass die von einer fraktionsübergreifenden Gruppe von 328 Bundestagsabgeordneten auf den Weg gebrachte Reform des Abtreibungs-Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch womöglich vor dem Scheitern steht. Für die FDP machte deren Rechtspolitiker Thorsten Lieb am Montag gegenüber dem Portal "t-online" deutlich, dass er die für eine Schlussabstimmung im Parlament notwendige Sondersitzung des Bundestags-Rechtsausschusses ablehne. Lieb wird vor einer für den frühen Montagabend angesetzten Anhörung zu dem Gesetzentwurf wie folgt zitiert.
"Herr Lieb kann bestätigen, dass die FDP einer Sondersitzung des Rechtsausschusses nicht zustimmen würde", teilte das Bundestagsbüro des FDP-Rechtspolitikers "t-online" auf Anfrage mit. Die Zustimmung der FDP wäre voraussichtlich für eine Ausschussmehrheit erforderlich.
Unterstützt wird das Reformvorhaben hingegen durch eine Online-Petition, die bis Montagvormittag von gut 120.000 Menschen unterstützt wurde. Die Ergebnisse sollten am Nachmittag an den Rechtsausschuss sowie die im Bundestag vertretenen Fraktionen übergeben werden. In der Petition werden die umgehende Beratung des Gesetzentwurfs im Rechtsausschuss sowie anschließend die Schlussabstimmung im Plenum noch vor der Bundestagswahl gefordert. Unterstützt wird die Petition unter anderem durch den Deutschen Frauenrat, pro familia, den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und mehrere große Sozialverbände.
Die Petitionsübergabe soll vor der Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags stattfinden. Dort sollen am frühen Abend Expertinnen und Experten zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches angehört werden.
Abtreibungsgegner kontaktierten gezielt FDP-Abgeordnete
Die FDP steht auch im Fokus der BR- bzw. NDR-Recherche. Denn ALfA soll besonders im Oktober 2024 dazu aufgerufen haben, vermehrt Abgeordnete der FDP anzuschreiben. Mithilfe der Postkarten sollten die Abgeordneten darin bestärkt werden, "die rot-grüne ideologiegetriebene und lebensfeindliche Politik nicht weiter zu unterstützen", heißt es da.
Aber nicht nur die Vereinsmitglieder wurden zum Handeln aufgefordert. Auch die ALfA-Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski wandte sich im Januar 2025 noch einmal offensiv an die Politikerinnen und Politiker des Bundestags. Sie forderte sie dazu auf, gegen eine Änderung des Paragrafen 218 zu stimmen. Die Bundesregierung sei rechtlich verpflichtet, den Schutz des ungeborenen Lebens wirksam zu verstärken. Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr unter Strafe zu stellen, "dient erkennbar nicht diesem Ziel".
Eschmann von "LobbyControl" fügt hinzu: "Interessenvertreter müssen dokumentieren, in welchen konkreten Fällen sie sich mit Ministerinnen und Ministern, Abgeordneten oder deren Referenten austauschen, welche Papiere sie verschicken, zu welchen Gesetzesvorschlägen sie lobbyieren und von wem sie Spenden erhalten. Bei Verstößen sieht das Gesetz Bußgelder von bis zu 50.000 Euro vor."
Damit soll sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Abgeordneten Transparenz geschaffen werden. Dies sei für das Vertrauen in demokratische Prozesse es wichtig, so Eschmann. Es müsse klar sein, wer auf welche Gesetzesentwürfe wie Einfluss nehme. Auch müsse geklärt sein, wie sich diese Personen oder Organisationen finanzieren. Bei ALfA sei das nicht der Fall.
Auch beim Dachverband kommen Zweifel auf
Beim Dachverband Lebensrecht sah es bis vor kurzem auch nicht besser aus. Dieser sei zwar inzwischen im Lobbyregister registriert, aber erst, nachdem die Bundestagsverwaltung ein Verfahren eröffnet hat. "Doch es gibt Zweifel an der Plausibilität der Angaben: So werden zum Beispiel 0 Euro Lobbybudget angegeben", schreibt Eschmann. Bei einer Organisation, die keinen anderen Zweck als Lobbyismus verfolge und ein eigenes Büro in Berlin betreibe, werfe das Fragezeichen auf, erklärt der Experte weiter.
Im BR- und NDR-Bericht werden noch weitere Beispiele für unseriöse Kontaktaufnahmen von Abtreibungsgegnern genannt, die mehrere Jahre zurückreichen. Jedoch wollte sich keiner der genannten Vereine oder Personen gegenüber dem Recherche-Team äußern, heißt es in dem Artikel.
Für Eschmann besteht das Problem bei der Lobbyarbeit darin, dass noch viel zu sehr auf den klassischen Bereich der Wirtschaft geschaut werde. Gesellschaftliche und soziale Lobbyarbeit laufe da meistens unter dem Radar.
Änderung des Paragrafen 218 ist unwahrscheinlich
Der "LobbyControl"-Mitarbeiter erklärt, welche Vorteile eine Nichtregistrierung für die solche Gruppen oder Personen hat. "Die Nichtregistrierung eines solchen Netzwerks kann verschiedene strategische Vorteile haben. Zum einen wissen kontaktierte Abgeordnete vielleicht nicht genau, wen sie vor sich haben. Zum anderen können Verbindungen und interpersonelle Überschneidungen verschleiert werden, sodass die Bewegung gesamtgesellschaftlich größer erscheint. Auch mögliche Finanzierungen aus dem Ausland können so besser geheim gehalten werden."
Er fügt hinzu: "Es ist gut, dass die Bundestagsverwaltung bereits aktiv ist. Da es durchaus Hinweise auf eine systematische Umgehung des Lobbyregisters gibt, ist es wichtig, dass sie den gesamten Sektor genau in den Blick nimmt."
Dass es eine Änderung des Paragrafen 218 unter einer möglichen unionsgeführten Regierung geben wird, ist unwahrscheinlich. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Dorothee Bär, erteilte einer Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im Gespräch mit unserer Redaktion bereits eine klare Absage.
Verwendete Quellen
- Material von afp
- Tagesschau: Abtreibungsgegner lobbyieren offenbar am Gesetz vorbei
- LobbyControl: Zur Abstimmung von Paragraf 218 StGB: Hinweise auf intransparentes Lobbynetzwerk der Abtreibungsgegner