Der Begriff Sozialstaat ist umkämpft. Den einen ist er zu stark – den anderen zu schwach. Doch Deutschland muss sich seinen Sozialstaat leisten, ist Ökonom Peter Haan überzeugt – Einsparpotenzial sieht er an mehreren Stellen.
Der wohl künftige Kanzler
Weniger umkämpft: das Thema Renten. Über andere Leistungen und ihr Einsparpotenzial hingegen wird immer mal wieder diskutiert. Das Kinder- oder Elterngeld zum Beispiel.
Ökonom Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet nicht damit, dass es in Zukunft zu einem "Kahlschlag" kommen wird. Vorschläge für Reformen, die Geld an anderer Stelle einsparen können, hat er trotzdem.
Herr Haan, können wir uns den Sozialstaat in Anbetracht der aktuellen Krisen noch leisten?
Peter Haan: Ob man sich etwas leisten kann oder nicht, hat sehr viel mit normativen Wertevorstellungen zu tun. Deutschland ist stark genug, dass es sich auf jeden Fall eine Absicherung der Bevölkerung leisten kann – und muss. Der soziale Frieden in der Gesellschaft ist wichtig.
Mit Blick auf andere Staaten ist aktuell ein Trend zur Verschlankung des Staates und eine sogenannte "Kettensägenmentalität" auszumachen.
Ich gehe nicht davon aus, dass in Deutschland ein ähnliches Vorgehen zu erwarten ist. Vielmehr wird eine künftige Koalition – sofern es dazu kommen wird – relativ ähnlich mit dem jetzigen Wohlfahrtsstaat weitermachen. Menschen zahlen in die Sozialversicherungen ein und haben daher einen Anspruch auf diese Leistungen, hier massiv zu sparen ist schwierig. Zu einem Kahlschlag wird es also nicht kommen. Wir müssen aber über Reformen nachdenken.
Wieso?
Die SPD wird bei der Rente auf eine Haltelinie von 48 Prozent beharren. Damit ist das Verhältnis von Standardrente zum Durchschnittsverdienst gemeint. Wenn das Rentenniveau aber so bleiben soll, wie es ist, müssten die Beitragssätze oder die Steuerzuschüsse in Zukunft stark ansteigen.
Was kann man dagegen tun?
Eine Möglichkeit wäre, das Niveau von 48 Prozent nicht für alle Rentnerinnen und Rentner festzulegen, sondern nur für Menschen mit niedrigen Renten. Rentnerinnen und Rentner mit hohen Renten könnten einen weniger starken Anstieg der Renten verkraften – das wäre dann eine Umverteilung in der Rente und könnte die Kosten reduzieren.
Mit einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll Deutschland saniert werden. Viele Bereiche melden Bedarf an – etwa Karl Lauterbach für die Krankenhausreform. Kann das Geld den Sozialstaat entlasten?
Schon heute gibt es in allen Bereichen der Sozialversicherung Steuerzuschüsse, die versicherungsfremde Leistungen finanzieren. Aus meiner Sicht kann man rechtfertigen, dass Investitionen im Gesundheitssystem wichtig sind. Für die Bevölkerung, für die Beschäftigung, für das Wachstum.
Inwiefern?
Ein wesentlicher Grund, warum Menschen nicht länger arbeiten können, ist, dass es zu wenig gesundheitliche Prävention während des Berufslebens gibt. Von daher ist es natürlich sinnvoll, darüber zu diskutieren, ob das Sondervermögen auch für Investitionen in die Gesundheit genutzt werden soll.
Kontrovers diskutiert wird vor allem über die Absicherung der Ärmsten in der Gesellschaft: das Bürgergeld. Der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz plant hier eine Reform, um die Staatskassen zu entlasten. Lässt sich damit viel sparen?
Natürlich kann man härtere Sanktionen einführen und wieder mehr zurückfinden zum Fordern. Durch das Bundesverfassungsgericht gibt es aber klare Grundsätze, wie viel Geld Empfängerinnen und Empfänger bekommen müssen. Sanktionen auf null sind auch rechtlich schwer durchzusetzen. Von daher gibt es hier eine Limitierung nach unten.
Das heißt, so viel Geld, wie es die Union verspricht, lässt sich mit einer Reform des Bürgergeldes nicht einsparen?
Die Zahlen, die im Wahlkampf genannt wurden, sind sicherlich nicht möglich. Da wurden vermutlich sehr hohe Beschäftigungseffekte angenommen – aber die sind nicht realistisch.
Wenn es um Sparmaßnahmen geht, wird auch immer wieder das Kinder- oder Elterngeld angesprochen.
Bevor man kürzt, sollte man sich fragen, warum etwas eingeführt wurde. Beim Elterngeld war die Gleichstellung ein wesentliches Argument. Würde das Elterngeld abgeschafft, würde Deutschland einen großen Schritt in diesem Bereich zurückgehen. Beim Kindergeld geht es hingegen mehr um eine Verteilungsfrage.
In Deutschland ist etwa jedes fünfte Kind von Armut bedroht.
Kinderarmut ist ein großes Problem und das Kindergeld hilft dabei, sie zu reduzieren – aber wenn man das Geld gezielter auszahlen würde, wäre es günstiger und würde besonders Familien mit geringeren Einkommen zugutekommen. Aktuell profitieren aber Familien mit höheren Einkommen mehr.
Warum?
Diese Familien bekommen oft nicht das Kindergeld, sondern den Kinderfreibetrag bei der Einkommensteuer. Durch dieses System bekommen einkommensstarke Haushalte höhere Beträge als nicht so einkommensstarke Haushalte. Hier könnte eine Reform Einsparpotenzial schaffen.
Wo kann sonst sinnvoll gespart werden?
Die beste Art zu sparen, ist, möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu bringen und lange in Beschäftigung zu halten. Da sind Maßnahmen wie die Rentenreformen zur Anhebung des Renteneinstiegalters sinnvoll. Die können aber nur erfolgreich sein, wenn sie von anderen Maßnahmen flankiert werden – etwa Investitionen in Bildung und Gesundheit. Wir brauchen eine Kombination aus Reformen, die auf der einen Seite Kosten reduzieren und auf der anderen Seite Investitionen mit sich bringen, die langfristig zu Einsparungen führen.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Peter Haan lehrt empirische Wirtschaftsforschung an der FU Berlin und leitet der Abteilung Staat am DIW Berlin. Er forscht über die Auswirkungen des demografischen Wandels und sozialpolitischer Reformen. Speziellen Fokus legt er dabei auf die Rente.