Wer wird SPD-Kanzlerkandidat? Die Parteiführung steht hinter Scholz. Nun kommt der erste Bundestagsabgeordnete aus der Deckung für Pistorius. SPD-Chef Klingbeil tritt den Forderungen entgegen.

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Erstmals hat sich ein SPD-Bundestagsabgeordneter öffentlich für eine Kanzlerkandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius statt von Kanzler Olaf Scholz ausgesprochen.

Bundestag
Der dem konservativen Seeheimer Kreis angehörende SPD-Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten möchte nicht, dass Olaf Scholz wieder als Kanzler kandidiert. (Archivbild) © dpa / Britta Pedersen

Der rheinland-pfälzische Abgeordnete Joe Weingarten, der dem konservativen Seeheimer Kreis der SPD-Bundestagsfraktion angehört, sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Es ist meine klare Meinung, dass wir mit Boris Pistorius in den Wahlkampf ziehen sollten."

Damit spitzt sich die Debatte um eine erneute Kanzlerkandidatur von Scholz nach dem Ampel-Aus in der Partei weiter zu. Der 62-jährige Weingarten sagte der Zeitung über Pistorius: "Er hat die Tatkraft, die Nähe zu den Menschen und die Fähigkeit, auch in klarem Deutsch zu sagen, was zu tun ist. Und das braucht unser Land jetzt." Pistorius hat Ambitionen auf den Posten des SPD-Kanzlerkandidaten bisher zurückgewiesen und sich hinter Scholz gestellt.

"Spiegel"-Bericht: Abgeordnete warben intern für Wechsel

Bisher hatten sich lediglich Kommunal- und Landespolitiker der Sozialdemokraten angesichts von SPD-Umfragewerten von 15 bis 16 Prozent offen für Pistorius ausgesprochen. Laut einem Bericht des "Spiegel" hatten Weingarten und weitere Abgeordnete aber bereits intern für einen Wechsel geworben.

Demnach habe Weingarten bei einem Treffen des Seeheimer Kreises in der vergangenen Woche gesagt, Scholz sei bei den Menschen im Land "unten durch". Dem "Spiegel"-Bericht zufolge hatte bei dem Treffen auch der Bundestagsabgeordnete Christian Schreider aus Ludwigshafen darauf verwiesen, dass er Parteimitglieder nicht mehr dazu bringen könne, für Scholz Wahlkampf zu machen. Weingarten hatte den Bericht auf dpa-Anfrage nicht kommentieren wollen.

Zweifel an Scholz werden immer lauter

Scholz, der bereits vor Monaten angekündigt hatte, 2025 wieder als Kanzlerkandidat antreten zu wollen, wird bisher von der Partei- und Fraktionsspitze der SPD uneingeschränkt unterstützt. Nach dem Bruch der Regierung waren jedoch an der Basis Zweifel an den Erfolgsaussichten der Partei bei der geplanten Neuwahl im Februar laut geworden. In Umfragen nach Beliebtheit schneidet Pistorius oft am besten von allen prominenten Politikern ab und liegt damit in der Gunst der Wähler auch vor Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz.

Weingarten rief in der Zeitung die Parteiführung dazu auf, zusammen mit Scholz bald eine Lösung zu finden, da die SPD am 30. November zur sogenannten Wahlsieg-Konferenz zusammenkomme, bei der die Kampagne für die Neuwahl vorgestellt werden soll. Offiziell nominiert ist Scholz bisher noch nicht. "Es muss jetzt etwas passieren, das kann keine 14 Tage mehr dauern", sagte Weingarten, der dem Bundestag seit 2019 angehört und den rheinland-pfälzischen Wahlkreis Kreuznach vertritt.

"Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen, übrigens mit dem Ziel zu gewinnen."

Olaf Scholz

Scholz rückt von Kanzlerkandidatur nicht ab

Kanzler Olaf Scholz rückt trotz der wachsenden innerparteilichen Widerstände nicht von seiner Absicht zu einer Kanzlerkandidatur ab. "Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen, übrigens mit dem Ziel zu gewinnen", sagte Scholz vor dem Abflug zum G20-Gipfel auf die Frage, ob er unter allen Umständen bei seinem Anspruch auf die Kanzlerkandidatur bleiben werde.

Scholz hatte bereits im Juli bei der traditionellen Sommerpressekonferenz in Berlin erklärt: "Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden."

Klingbeil steht an Scholz' Seite

SPD-Chef Lars Klingbeil trat den lauter werdenden Forderungen aus seiner Partei entgegen, Olaf Scholz durch Boris Pistorius zu ersetzen. Es sei "ein Irrglaube zu meinen, man tauscht nur den einen gegen den anderen aus und schon ist alles rosig, blüht und gedeiht", sagte Klingbeil dem "Handelsblatt" nach Angaben vom Sonntag. Zudem habe Pistorius selbst gesagt, dass er möchte, dass Scholz antrete.

"Insofern gibt es eine Klarheit auch zwischen den beiden", sagte Klingbeil. "Da gibt es kein Wackeln." Diese Klarheit sei für die SPD nun "ein Auftrag, in den Kampfmodus zu gehen und zu überzeugen", sagte Klingbeil weiter. "Da muss der Kanzler jetzt vorneweg marschieren und auch die eigenen Mitglieder überzeugen."

"Ich bin froh, dass Boris Pistorius der beliebteste Politiker ist. Er macht einen sehr guten Job als Verteidigungsminister", so Klingbeil. Für Scholz gehe es jetzt darum, im Wahlkampf klarzumachen: "Wir kämpfen für die arbeitende Mitte, für die Rentnerinnen und Rentner, für die Familien in diesem Land." Die SPD sei eine Partei, die auf Inhalte setze, betonte der Parteichef. "So wird der Kanzler Vertrauen zurückgewinnen."

Klingbeil stimmte die Deutschen auf schwierige Zeiten ein: "Wir müssen den Bürgern sagen, dass nun fünf oder zehn sehr herausfordernde Jahre bevorstehen, dass wir sehr viel verändern werden müssen", sagte er. "Aber am Ende, und das versprechen wir euch, steht ein starkes Deutschland, das international wettbewerbsfähig ist, mit einer modernen Industrie." An diesem Zukunftsbild zu arbeiten, das sei die große Aufgabe, vor der die Politik jetzt stehe. (dpa/AFP/bearbeitet von tas)

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