Franziska Brantner und Felix Banaszak sind die neuen Vorsitzenden der Grünen. Sie machen auf dem Parteitag in Wiesbaden deutlich: Die in Teilen der Gesellschaft verhasste Partei will stärker auf das Thema Gerechtigkeit setzen.
Nach strickenden Delegierten muss man auf Grünen-Parteitagen inzwischen lange suchen. Doch das Bild hat sich eingebrannt. Und wenn man der neuen Parteivorsitzenden
Die Grünen treffen sich an diesem Wochenende zu ihrem Parteitag, der im Grünen-Sprech immer noch Bundesdelegiertenkonferenz heißt. Die Partei stellt sich in Wiesbaden für den Wahlkampf auf – und sie sortiert sich im Sturm der vergangenen Monate neu. Franziska Brantner und Felix Banaszak werden am Mittag zu den neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Brantner und Banaszak neue Vorsitzende mit guten Ergebnissen
Brantner war bisher Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. Die promovierte Politikwissenschaftlerin stammt aus Baden-Württemberg, wo sie 2021 ein Direktmandat im Wahlkreis Heidelberg gewann. Brantner gilt als Realpolitikerin, früh knüpfte sie Kontakte zu FDP und Union – was auf dem linken Flügel ihrer Partei durchaus für Misstrauen sorgt. Die 45-Jährige bekommt bei der Wahl dann aber passable 78,2 Prozent der Stimmen.
Der Mann an ihrer Vorsitzenden-Seite wird
"Wir haben den Strom sauber gemacht und jetzt machen wir ihn dauerhaft billig."
Die Töne in den Bewerbungsreden passen zu einem neuen Schlagwort der Grünen, das sich wie ein roter Faden durch den grünen Parteitag zieht: Bezahlbarkeit. "Das Leben muss wieder besser werden. Und das heißt, es muss gerecht und bezahlbar sein", sagt Brantner. Aus ihrer Sicht sind die Grünen nicht die Partei der Besserverdienenden. "Wir sind die Partei, die die soziale Frage ernst nimmt", ruft Brantner in ihrer Bewerbungsrede. "Wir haben den Strom sauber gemacht und jetzt machen wir ihn dauerhaft billig."
Im Bundestagswahlkampf werden die neuen Vorsitzenden erklären müssen, wie sie diese Versprechen umsetzen wollen. Schließlich haben sie in den vergangenen drei inflationsgetriebenen Jahren bereits regiert. Wahrscheinlich werden die Grünen aber weitere Entlastungen bei den Strom- und Mietkosten fordern und auf eine Verlängerung des Deutschlandtickets pochen.
Bezahlbarkeit: das neue grüne Schlagwort
Die Grünen haben in den vergangenen Wochen erste Erkenntnisse zu den desaströsen Landtagswahlen in Ostdeutschland ausgewertet. Außerdem hat der Wahlsieg von Donald Trump in den USA Eindrücke hinterlassen. Eine Lehre lautet offenbar, stärker über die Alltagssorgen der Menschen zu sprechen. Über steigende Preise für Essen, Energie und Mieten, über steigende Abstiegsängste. In der Ampelkoalition habe man wegen der FDP zu wenig Antworten darauf geben können, heißt es.
An den Grünen haftet der Ruf, eine abgehobene Elitenpartei zu sein. Jetzt aber umgarnen sie also die sogenannte hart arbeitende Mitte, also auch Menschen, die kein Elektroauto oder Lastenrad in der Garage haben. Fraktionschefin Katharina Dröge fordert einen "Pakt für bezahlbares Leben", der frühere Parteivorsitzende Omid Nouripour will nicht nur Politik für Minderheiten machen, sondern auch "für den alten weißen Mann". Robert Habeck heißt im Parteitagsantrag nicht Kanzlerkandidat, sondern "Kandidat für den Menschen in Deutschland". Annalena Baerbock wiederum hat in dieser Woche im Bundestag über zu hohe Butterpreise gesprochen und sich zu "konservativen Tugenden" bekannt: Anstand, Rückgrat, Verantwortung.
Hass auf die Grünen: Auch der alte Vorstand war irgendwann ratlos
Die Frage ist, ob diese Botschaften noch ankommen. Der Hass auf die Grünen sitzt in Teilen der Gesellschaft tief. In manchen Regionen schlägt ihnen Ablehnung, manchmal sogar Gewalt entgegen. Die Partei ist nach drei aufreibenden Regierungsjahren ermüdet und verunsichert.
Wie groß die Herausforderung für die neuen Vorsitzenden ist, lässt sich an der Erleichterung der Vorgänger ablesen: Ricarda Lang und Omid Nouripour haben sich zwar mit Tränen von der Parteispitze verabschiedet, auf dem Parteitag wirken sie aber geradezu gelöst. Auch ihnen war es irgendwann schwergefallen, noch gute Antworten auf die schwierige Lage der Partei zu finden. Diese Aufgabe liegt nun vor Brantner und Banaszak. Als sie ihre Bewerbungen verkündeten, wussten sie noch nicht, dass sie auch einen vorgezogenen Bundestagswahlkampf würden managen müssen.
In Banaszaks Büro hängt übrigens ein Bild von Rio Reiser mit einer Liedzeile des Sängers: "Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst." Auch er habe in der letzten Zeit manchmal Angst verspürt, sagt Banaszak in seiner Bewerbungsrede - auch wenn das wohl eher auf die allgemeine politische Lage gemünzt war. Seine Rezepte gegen Angst lauten übrigens: Empathie, Unterhaken, Zuversicht. Wahrscheinlich wird er das alles in den kommenden Monaten noch brauchen.
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