Die kommende Bundesregierung will Deutschlands marode Infrastruktur mit einem 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen modernisieren. Die Summe ist groß, doch die Begehrlichkeiten sind es auch. Zahlreiche Branchen haben schon Bedarf angemeldet. Ein Bedarfscheck.
500 Milliarden Euro – eine Zahl mit elf Nullen. Klingt nach viel Geld. Bezahlt werden soll damit allerdings im besten Fall alles, was in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland in die Jahre gekommen ist: Straßen, Brücken, Schienennetze, das Stromnetz, Krankenhäuser, Kitas, Schulen und Universitäten. Aber es geht auch um die digitale Infrastruktur und Projekte zur Reduktion von CO2-Emissionen.
Eine halbe Billion Euro Schulden will die kommende Koalition aus CDU, CSU und SPD also aufnehmen, um die Infrastruktur zu erneuern. Doch der Begriff ist weit gefasst – und viele Branchen wollen etwas abhaben vom Kuchen.
Reichen 500 Milliarden Euro aus? Und welche Projekte könnten damit umgesetzt werden?
Verkehr: Mehr als nur marode Brücken
Carolabrücke in Dresden, Ringbahnbrücke der A100 in Berlin, Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid: Deutschlands marode Straßenbauwerke stehen sinnbildlich für den Zustand der Infrastruktur. Sie brauchen eine Verjüngungskur. Doch auch die Autobahnen und Schienen wurden zu lange vernachlässigt.
Laut einem internen Papier, das der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, beziffert die Deutsche Bahn (DB) den Investitionsbedarf für die kommenden zehn Jahre auf 290 Milliarden Euro. Davon sollen laut DB 148 Milliarden aus dem Sondervermögen kommen.
Eigentlich war das Infrastrukturprogramm Schiene fast bis zum Ende durchfinanziert. Durch das vorzeitige Ende der Ampelkoalition ist jetzt aber unklar, woher das Geld in Zukunft kommt. "Ein Sondervermögen kann wesentlich dazu beitragen, dass die jetzt notwendigen Investitionen in die Schieneninfrastruktur umgesetzt und in den kommenden Jahren verstetigt werden", sagt ein DB-Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion.
Auch die bundeseigene Autobahngesellschaft macht auf Investitionsbedarf aufmerksam: Vergangenes Jahr bezifferte sie die Kosten für Neu- und Ausbau sowie Erhalt und Betrieb aller Bundesfernstraßen auf rund 9,7 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre, wie aus einer Anfrage der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hervorging.
Eine aktuelle Anfrage unserer Redaktion hat die Autobahn GmbH bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht beantwortet.
Energietransformation benötigt enorme Summen
Auch dem Klimaschutz soll das Sondervermögen zugute kommen. Die Denkfabrik Agora Energiewende lobt den Plan: Das Sondervermögen könne "als wirksames Mittel genutzt werden, um klimafreundliche Investitionen anzureizen und die wirtschaftliche Dynamik zu stärken", teilt Philipp Godron, Programmleiter Strom, auf Anfrage unserer Redaktion mit.
Doch auch hier ist der Bedarf groß. Allein für die Umstellung auf klimaneutrale Energiequellen wie Windenergie und Photovoltaik sind laut einer Studie der Denkfabrik Agora Energiewende 884 Milliarden Euro bis zum Jahr 2045 nötig. Im Schnitt wären das Kosten in Höhe von 42,1 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Investitionen müsste demnach aber nicht nur die öffentliche Hand tragen, sondern in großen Teilen auch die Privatwirtschaft.
Hinzu kämen Investitionen in die Energieinfrastruktur in Höhe von 683 Milliarden Euro. Dabei geht es vor allem den Ausbau der Stromnetze. Aber aufatmen: Agora Energiewende kommt in der Studie zu dem Schluss, dass mit den Jahren der Investitionsbedarf deutlich zurückgehen wird. So falle der Großteil der Investitionen in den kommenden zehn bis 15 Jahren an.
Bund und Länder müssten die Investitionen nicht allein stemmen. Bislang sind nämlich für Ausbau und Betrieb der Übertragungsnetze unabhängige Netzbetreiber zuständig. Zudem gebe es knapp 900 Verteilnetzbetreiber, darunter auch private Energieversorger.
Für den Ausbau der erneuerbaren Energien braucht es laut der Denkfabrik öffentliche finanzielle Unterstützung in Höhe von 150 Milliarden Euro. Im Bereich der Wasserstoffförderung wären rund 2,8 Milliarden jährlich bis 2030 im Haushalt nötig. Auch die Bundesförderung Effiziente Wärmenetze (BEW) die unter anderem für die Erneuerung der Wärmeerzeuger in der Fernwärme zuständig ist, müsse bis 2030 mit durchschnittlich 1,7 Milliarden Euro jährlich bis 2030 finanziert werden. Ab 2031 bis 2045 werde hier mit einem Anstieg auf 3,7 Milliarden jährlich gerechnet.
Viel Geld wäre also nötig im Kampf gegen die Erderwärmung. Aber: Auch die Klimakrise kostet mit ihren Auswirkungen Geld. Eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz kommt etwa zu dem Schluss, dass die durch Dürre oder Überschwemmungen entstehenden Kosten für die Wirtschaft zwischen 280 Milliarden und 900 Milliarden Euro bis 2050 liegen könnten. Die Schätzung ist so ungenau, weil viele Variablen dabei eine Rolle spielen.
Krankenhäuser: Endlich klimagerecht sanieren
Deutschlands Kliniken sollen ebenfalls vom Sondervermögen profitieren. Aus Sicht von Gerald Gaß ist das auch dringend nötig. "Der Staat muss den Bürgerinnen und Bürgern eine angemessene Gesundheitsversorgung bieten. Das ist ein Eckpfeiler für Vertrauen in den Staat", sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) im Gespräch mit unserer Redaktion. In den vergangenen Jahrzehnten hätten die dafür zuständigen Bundesländer aber zu wenig investiert.
Handlungsbedarf sieht Gaß bei der klimagerechten Sanierung: "Viele Krankenhäuser stammen aus den 60er- oder 70er-Jahren. In der Vergangenheit ist bei Gebäudehülle oder Wärmedämmung praktisch nichts passiert." Deshalb seien veraltete Krankenhausgebäude echte CO2-Schleudern. "Mit jedem eingesetzten Euro kann man da deutlich mehr CO2 einsparen als im privaten Heizungskeller." Ein Gutachten der DKG habe ergeben, dass für diesen Zweck rund 30 Milliarden Euro nötig wären.
In der Kliniklandschaft warten weitere Baustellen. Krankenhäuser sollen in Zukunft mehr ambulante Behandlungen anbieten. Zudem sollen in den nächsten Jahren 700 bis 800 integrierte Notfallzentren entstehen, in denen Krankenhausbetreiber mit Notärzten der Kassenärztlichen Vereinigungen zusammenarbeiten. "Auch dafür könnten Investitionsmittel aus dem Sondervermögen eingesetzt werden", sagt Gaß.
Die Kliniklandschaft befindet sich ohnehin im Umbruch. Die im vergangenen Herbst beschlossene Krankenhausreform soll bewirken, dass sich die Häuser stärker spezialisieren – und gleichzeitig eine Grundversorgung auch in ländlichen Regionen gewährleistet ist. Auch dafür sind Umbauten und somit Investitionen nötig. Bezahlen sollten diese 50 Milliarden Euro zwar zur Hälfte die Länder und die gesetzlichen Krankenkassen. Nun haben Union und SPD aber entschieden: Den Anteil der Krankenkassen von 25 Milliarden Euro will der Bund übernehmen und aus dem Sondervermögen bezahlen, um die Kassen zu entlasten. Das schmälert dann womöglich die Ausgaben für andere Kliniksanierungen.
Gerald Gaß fordert die nächste Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Verbänden auf: "Die Politik hat jetzt eine nennenswerte Summe Geld ins Schaufenster gestellt. Das Geld muss aber auch abrufbar gemacht werden – mit möglichst unbürokratischen Verfahren", sagt er.
Bildungseinrichtungen: Es ist kompliziert
In Sachen Bildung zeigt der erste Blick: Es ist kompliziert. Auch weil Bildung Ländersache ist. 100 Milliarden Euro des Sondervermögens sollen die Bundesländer bekommen. Bei der Mittelverteilung wird der Königsteiner Schlüssel angewendet. Er legt fest, in welcher Höhe sich die Länder an gemeinsamen Finanzierungen beteiligen – und eben auch, wie viel Geld bei ihnen für die Bildung ankommt. Schleswig-Holstein etwa rechnet vorsichtig mit rund 3,6 Milliarden Euro.
Die Wissenschaftsministerkonferenz schreibt in einem Positionspapier für die Kultusministerkonferenz Anfang des Jahres, dass für die Sanierung der staatlichen Hochschulen allein ein Investitionsvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe nötig wäre. Etwas konkreter wird das Papier in einer Fußnote: "Eine aktuelle Kostenabschätzung aus Hamburg beziffert das erforderliche Investitionsvolumen auf etwa 140 Milliarden Euro (ohne Universitätsklinika)."
Nicht Teil der Betrachtung allerdings: alle anderen Bildungseinrichtungen wie Kitas oder Schulen. Laut aktuellem Kommunalpanel der staatlichen Förderbank KfW lag der bundesweite Investitionsrückstand bei Schulen im Jahr 2023 bei knapp 55 Milliarden Euro.
Digitalland Deutschland?
Bis 2030 soll Deutschland flächendeckend mit Glasfaser ausgestattet sein. So das erklärte Vorhaben der alten Bundesregierung. Damit soll "die Zukunftsfähigkeit und Innovation in allen Bereichen des Landes" sichergestellt werden, schreibt das Digital- und Verkehrsministerium. Doch das Ziel ist noch lange nicht erreicht.
Zudem hatte das Ministerium vergangenen Sommer mitgeteilt, staatliche Förderung unterversorgter Gebiete drastisch zu kürzen. Dafür soll ein Teil des Sondervermögens nun gezielt in den Ausbau der digitalen Infrastruktur, vor allem Breitbandnetze, fließen.
Doch das ist laut Bundesregierung eine "Gemeinschaftsaufgabe". Bis 2025 werde die Telekommunikationsbranche 50 Milliarden Euro in den Ausbau investieren, hieß es 2023 in der Gigabitstrategie des Bundes. Wie teuer der Ausbau des Breitbandnetzes bis 2030 noch wird, hat das Gigabitbüro des Bundes bis zur Veröffentlichung des Artikels auf Anfrage der Redaktion nicht beantwortet.
Die Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst" bezifferte die Kosten für einen flächendeckenden Ausbau in einer Analyse von 2019 auf bis zu 80 Milliarden Euro. Trotz bestehender Mitverlegungsmöglichkeiten läge das Investitionsvolumen demzufolge immer noch bei bis zu 45 Milliarden.
Immerhin: Das 5G-Mobilfunknetz ist verhältnismäßig gut ausgebaut. Laut Gigabit Grundbuch waren im Januar 2025 93,9 Prozent der Fläche Deutschlands mit dem aktuellen Mobilfunkstandard versorgt, 97,5 Prozent immerhin mit dem Vorgängerstandard LTE.
Verwendete Quellen
- Anfragen an die KfW, die Deutsche Bahn, die Autobahn GmbH, das Gigabitbüro des Bundes und Agora Energiewende
- Gespräch mit Gerald Gaß
- Beschluss der Wissenschaftsministerkonferenz: Positionspapier Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationsagenda für ein zukunftsfähiges Deutschland
- shz.de (Bezahlinhalt): "Sondervermögen Infrastruktur: SH hat für die Verwendung schon einen Kompass"
- KfW-Kommunalpanel 2024
- sueddeutsche.de: "Deutsche Bahn will 148 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen"
- faz.net: "Die Modernisierung von Brücken kostet weitere Milliarden"
- Gigabit Grundbuch
- Agora Energiewende: "Investitionen für ein Klimaneutrales Deutschland"
- faz.net: "Klimaschutz kostet bis zu 255 Milliarden Euro – im Jahr"
- bmwk.de: "Kosten des Klimawandels – Neuste Erkenntnisse aus der Forschung"