Längst ist die Terrormiliz Islamischer Staat nicht mehr nur auf Syrien und den Irak beschränkt. Die Islamisten versuchen mit unfassbaren Gräueltaten, ihre Herrschaft weiter auszubauen - und den Terror zu exportieren.
Sie sind so furchteinflößend wie erfolgreich: Jeden Tag scheint die Anhängerschaft des Islamischen Staates (IS) zu wachsen. Nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in nordafrikanischen Ländern sowie auf der arabischen Halbinsel funktioniert der "Terror-Export": Islamisten schwören IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Treue und bauen eigene IS-Zellen auf. Die Terrormiliz gilt dabei als Ausbilder, globaler Geldgeber und Garant für willkommene Berichterstattung.
Breit gefächerte Einnahmequellen
Täglich rund 130.000 Barrel Öl soll der IS im Irak und Syrien produzieren – wenig im Vergleich zu den fast 30 Millionen Barrel, die die Opec-Länder fördern. "Durch die Luftangriffe der Allianz ist die Ölproduktion erheblich zurückgegangen", erklärt Günter Meyer vom Geographischen Institut der Universität Mainz. Der Öltransport werde zudem durch die Zerstörung von Tanklastern erschwert. Und die "verstärkte internationale Überwachung der Ölströme sowie der niedrige Ölpreis lassen diese Finanzierungsquelle immer weniger sprudeln".
Auch Plünderungen archäologischer Stätten - eine weitere Einnahmequelle - lohnen nur noch bedingt. Die wertvollsten Schätze haben Schmuggler bereits verkauft. Geht dem IS möglicherweise das Geld aus?
Wohl nicht. Weiterhin werden Einheimische gezwungen, Ausgrabungen durchzuführen. Anschließend müssen sie einen Teil der gefundenen Gegenstände als Steuer abgeben, berichtete etwa der "Guardian". Wer nicht zahlt, wird entführt und nur gegen Lösegeld wieder freigelassen.
Geld bringen aber vor allem ausländische Geiseln. Medien berichteten von 18 Millionen Dollar, die allein im vergangenen April für französische Geiseln entrichtet worden sein sollen.
Eine neue Einnahmequelle ist zudem der Verkauf von Leichen. Der ehemalige US-Geheimdienstler Matthew Levitt vom Washington Institute for Near East Policy sagte dem Handelsblatt unlängst: "Der Islamische Staat ist wahrscheinlich die vermögendste Terrorgruppe, die wir je gesehen haben".
Expansion durch Ausbildung und Bewaffnung
Seine Vormachtstellung versucht der IS aber vor allem durch eine territoriale Ausdehnung des Einflussbereichs zu sichern. Terroristische Gruppen werden über Syrien und den Irak hinaus bewaffnet und ausgebildet. Die Finanzierung fremder Terrorgruppen spielt aber nur eine untergeordnete Rolle: "Die Zellen im Jemen, in Gaza, auf der Sinai-Halbinsel, in Libyen, im Maghreb und in der Sahelzone ebenso wie in den verschiedenen islamischen Staaten in Zentralasien, in Pakistan und Indonesien haben dem IS ihre Loyalität bekundet. Sie sind meist aber aus lokalen islamistischen Gruppen hervorgegangen und finanzieren sich selbst", erklärt Günter Meyer.
Pakistanischen Islamisten hilft der IS dagegen, sich Rekrutierungspersonal zu sichern. Lokale Dschihadisten nehmen Geld- und Waffenspenden entgegen, um Teil des lukrativen Terrornetzwerks zu werden und mehr Aufmerksamkeit für sich zu bekommen. Alteingesessene Taliban verweigern der neuen Terrormiliz dagegen den Treueschwur.
"Pakistan, Afghanistan und Tschetschenien wurden in den vergangenen vier Jahrzehnten von derartigen Gruppen [wie dem IS] überflutet", schreibt der britisch-pakistanische Journalist Ahmed Rashid in der Financial Times. Bereits bestehende Gruppen hätten "weder Bedarf noch Interesse daran, Personal oder Finanzen mit Außenstehenden wie dem IS zu teilen. Egal, wie prestigeträchtig das sein mag."
Islamistische Konkurrenz
Salafisten, Mudschaheddin, Taliban – selbsternannte Gotteskrieger stellen aus westlicher Sicht eine geschlossene Bewegung dar. Doch selbst die syrische Al Nusra-Front und der IS koordinieren sich nur zum Teil. Es gibt personelle Überschneidungen und gemeinsame Trainings. Einsätze werden aber nicht abgestimmt.
Auch mit Boko Haram aus Nigeria eint den IS lediglich das Ziel, ein Kalifat zu errichten. Bei beiden Gruppen sind diese Gottesstaaten geografisch eingegrenzt. Boko Haram versucht vor allem die Sahel-Zone unter seine Kontrolle zu bringen. IS und Al Kaida stehen sich sogar als klare Konkurrenten gegenüber.
Die vermeintliche Geschlossenheit des IS stellt sich also bei näherem Hinsehen in vielen Bereichen mehr als ein loses Netzwerk dar. "Der IS mag mittlerweile aus 18.000 Kämpfern aus 90 Ländern bestehen", rechnet Ahmed Rashid, "aber er ist weder in Indien, Pakistan, Zentralasien oder Nordafrika verankert – noch nicht".
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