Die türkische Regierung stellt ein Strafverlangen gegen ZDF-Satiriker Jan Böhmermann und Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan klagt persönlich mit. Doch wie sieht es überhaupt mit den rechtlichen Grundlagen für die Strafanträge aus und wie sind die Erfolgsaussichten für Erdogan?
"Art. 5 für Kanzlerin #Merkel höchstes Gut." Das twitterte Regierungssprecher
Berlin muss auf Grundlage eines Strafverlangens aus Ankara entscheiden, ob ZDF-Journalist Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichts strafrechtlich verfolgt werden kann.
Er habe Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Ansicht der türkischen Regierung in seiner Sendung "Neo Magazin Royal" in dessen Würde beleidigt.
Auch Erdogan stellte einen Strafantrag wegen Beleidigung. Welches die rechtlichen Grundlagen für die jeweiligen Strafanträge sind. Was die entsprechenden Paragrafen im deutschen Strafgesetzbuch besagen und wie die Erfolgsaussichten Erdogans gegen Böhmermann stehen - Antworten auf juristische Fragen.
Um welche Paragrafen geht es konkret?
Das Strafverlangen der türkischen Regierung beruft sich auf Paragraf 103 Strafgesetzbuch (StGB), namentlich den Vorwurfs des Deliktes der "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten." Erdogan beruft sich persönlich wiederum auf Paragraf 185 StGB zum juristischen Begriff der "Beleidigung".
Was ist die rechtliche Grundlage für die jeweiligen Strafanträge?
Vorneweg: Alle Empörung beiseite gerückt, sind sie juristisch wohl nachvollziehbar. In Paragraf 103 heißt es: "Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung (…) beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Dieser Paragraf soll zum Schutz der Würde und Ehre ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten dienen.
Voraussetzung für eine Strafverfolgung ist laut Paragraf 104a StGB, "dass die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt."
Aktuell berät die Bundesregierung über den letztgenannten Punkt. Die Voraussetzungen für eine solche Ermächtigung sind neutral betrachtet gegeben.
Paragraf 185 wiederum besagt: "Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Eine Tätlichkeit liegt wohl nicht vor.
Was unterscheidet diese beiden Paragrafen?
Paragraf 103 StGB bezieht sich auf die Beziehungen der Staaten untereinander und ist demnach für Nicht-Juristen abstrakter. Es ist juristisch nicht weiter definiert, inwiefern bei einer Ermächtigung der Strafverfolgung durch die Bundesregierung politisches Kalkül mit in diese Entscheidung einfließen darf, soll oder kann.
Fakt ist: Seine Anwendung soll diplomatische Spannungen verhindern oder zumindest dafür sorgen, dass sich solche nicht weiter verschärfen. Im Fall von Böhmermann darf mittlerweile wohl getrost von einer Staatsaffäre gesprochen werden.
Interessant: Nicht nur ein angeblich betroffener Staat oder Staatsoberhaupt darf diesen Strafantrag stellen. So gingen unabhängig vom türkischen Strafbegehren bei der Staatsanwaltschaft Mainz seit vergangener Woche mindestens 20 Anzeigen von Privatpersonen gegen Böhmermann wegen seines Schmähgedichtes ein.
Der Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung bezieht sich indes auf die persönlich private Ebene, sozusagen juristisch vis-a-vis Erdogan gegen Böhmermann.
Wie sind die Erfolgsaussichten für Erdogan gegen Böhmermann?
Erdogan darf sich durchaus berechtigte Hoffnungen machen, dass sein Schachzug zum Erfolg führt und er im Fall des durch seine Regierung initiierten Strafantrages Recht bekommt. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit. 103 StGB wird auch Schah-Paragraf genannt.
Der Hintergrund: In den 1960ern hatte sich Schah Mohammad Reza Pahlavi von Persien wiederholt auf ihn berufen, zum Beispiel als er sich 1964 durch eine karikierende Fotomontage im "Kölner Stadt-Anzeiger" beleidigt fühlte. Die dafür verantwortlichen Mitarbeiter mussten eine Geldstrafe zahlen.
1977 erklärte das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen ein zur Zeit der Pinochet-Diktatur vor der chilenischen Botschaft in Bonn gezeigtes Transparent mit der Aufschrift "Mörderbande" für rechtswidrig – völlig unabhängig davon, dass Augusto José Ramón Pinochet hinterher die Inhaftierung und systematische Folter politischer Gegner nachgewiesen wurde.
Ob Satire eine Beleidigung ist, hängt juristisch indes davon ab, ob die sachliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht oder der Wille, jemanden verächtlich zu machen.
Bei der Auslegung der Gesetze gibt es einen Interpretationsspielraum. Der dürfte im Fall von Paragraf 185 wegen der Begriffe, die Böhmermann in seiner Schmähkritik wählte, deutlich begrenzter sein.
Vor Haft muss er sich aber wohl nicht fürchten, das bekräftigten Juristen in den vergangenen Tagen wiederholt, schließlich sei er kein Wiederholungstäter. Doch Geldstrafen gegen den Satiriker sind, Stand jetzt, nicht ausgeschlossen.
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