Jugendorganisationen sind oftmals der Wahlkampfmotor von Parteien. Sie verteilen Flugblätter, hängen Plakate und machen Haustürwahlkampf. Die SPD-Jugend will ihre Unterstützung für die Mutterpartei allerdings an eine Bedingung knüpfen.
Dass auch Juso-Chef Philipp Türmer in den vergangenen Tagen gehadert und nach Motivation gesucht hat, daraus macht er auf dem Bundeskongress seines Jugendverbandes keinen Hehl. Während er die Rede für die Vorstellung des Jugendwahlprogramms geschrieben hat, habe er von einer geplanten Abschiebung in seinem Heimatverband der Jusos in Darmstadt erfahren. Eine Entwicklung, die den Juso-Vorsitzenden offensichtlich stark beschäftigt.
Aber nicht nur die Themen Migration und Rückführungen lassen die Jusos immer wieder mit ihrer Mutterpartei hadern. Jüngst war es das Geschacher und Gegrummel in der K-Frage. Dass Kanzler
In seiner Eröffnungsrede schwört Türmer seine Genossinnen und Genossen dennoch auf den Wahlkampf ein und macht wieder deutlich: Es geht nicht um das Gesicht, das vornedran steht, es geht um die Überzeugungen dahinter. Begeisterung und frenetische Unterstützung klingt anders.
Wahlkampf wollen die Jungpolitikerinnen und -politiker dennoch machen – ihre Überzeugung: Es braucht eine starke SPD im Bundestag. Und genau deshalb lohne es sich zu kämpfen. Um auch die Interessen junger Menschen wieder stärker in den Fokus zu rücken, hat der SPD-Nachwuchs ein Jugendwahlprogramm entwickelt.
Jusos fordern von SPD, soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen
Gefordert wird darin etwa eine WG-Zimmer-Garantie, um dem angespannten Wohnungsmarkt zu begegnen, die Schaffung sicherer Fluchtrouten, die Abschaffung der Schuldenbremse und die Tätigung notwendiger Investitionen. "Ich will, dass wir in einem der modernsten Länder der Welt leben, liebe Genossinnen und Genossen", sagt Türmer dazu. Nach der Präsentation des Jugendwahlprogramms tobt die Halle.
Das ist es wohl, was Türmer mit den Überzeugungen hinter den Gesichtern meint. Im Wahlkampf geht es den Jusos nicht nur darum, erneut den Kanzler zu stellen. Sie sprechen von einer Richtungsentscheidung.
Denn die Jusos treibt die Sorge um, dass mit CDU-Chef
Türmer stellt auf dem Kongress zudem eine klare Forderung an die Sozialdemokraten: Fragen der sozialen Gerechtigkeit müssen in den Mittelpunkt gestellt werden. Das sei sein Angebot, wenn er die SPD dafür kämpfen sehe, stünden die Jusos an der Seite der Genossinnen und Genossen.
Heil macht ein Versprechen
Arbeits- und Sozialminister
Auch Heil spricht von einer Richtungsentscheidung – von der Frage, was aus der Demokratie in diesem Land werde. Denn es gebe Kräfte, die Menschen auseinandertreiben wollen. "Mit der SPD wird es ein Nach-unten-Treten in dieser Gesellschaft nicht geben", verspricht er.
Die heiße Phase des Wahlkampfes hat noch nicht begonnen, und doch ist bereits absehbar: Die Auseinandersetzungen könnten heftig werden. Anders als bei den vergangenen Wahlen treten die traditionellen Volksparteien CDU und SPD nicht aus einer gemeinsamen Regierung heraus gegeneinander an: Von 2013 bis 2021 hatte Alt-Kanzlerin Angela Merkel in zwei Großen Koalition regiert. Jetzt tritt der amtierende Kanzler gegen den Oppositionsführer an, mit Samthandschuhen kann in dieser Konstellation kaum gerechnet werden.
Einen Vorgeschmack auf die Debatten gab es bereits nach dem Aus der Ampel-Koalition. Die Union hatte eine sofortige Vertrauensfrage und schnellstmögliche Neuwahlen gefordert – entgegen der Bedenken der Bundeswahlleitern. Die SPD auf der anderen Seite wirft Merz eine Politik sozialer Kälte vor.
SPD-Führung fordert Ende der Diskussion um Kanzlerkandidatur
Heil bittet die Jusos nach dem Bundeskongress Diskussionen um die K-Frage und die Nominierung von Olaf Scholz einzustellen. Ab Montag müsse ein gemeinsamer Wahlkampf geführt werden.
Ein Vorschlag, der nicht bei allen gut ankommt. Michelle Breustedt von den Jusos Hessen-Süd stellt etwa in ihrer Gegenrede klar: Für sie ist es nicht in Ordnung, dass die SPD die Erwartungshaltung habe, dass die Jusos in der Eiseskälte einen Winterwahlkampf führen und nicht weiter diskutieren.
Sie selbst habe aber die Erwartungshaltung, dass der Kanzlerkandidat, für den sie und ihr Verband kämpfen, nicht in einem "stickigen Hinterzimmer" gekürt werde. Sie fordert eine umfassende Debatte. Der Applaus in der Halle legt nahe: Allein ist sie mit dieser Meinung nicht. "Wir sind nicht der Wahlkampfverein der SPD", stellt ein Genosse an anderer Stelle klar.
Jusos lassen Frust bei Parteispitze ab
Schwerer als Heil hat es Parteichefin
Juso-Chef Türmer macht daraufhin erneut deutlich: Die Jusos sind bereit, wenn es die SPD ist. Und der Parteinachwuchs erwarte, dass sich das frisch beschlossene Jugendwahlprogramm im Wahlprogramm der Partei wiederfindet. Außerdem müsse sich Kanzlerkandidat Scholz in die Strategie der Partei einreihen. Marvin Müller stellt zudem klar: "Die Jusos werden immer ein Bollwerk gegen die GroKo bleiben." Von einem möglichen Eintritt in eine Große Koalition unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz hält der Jugendverband nichts.
Imke Grützmann wirft Esken an den Kopf: "Bei der Personaldebatte ist das Kind in den Brunnen gefallen, bei Themen hast du noch eine Chance." Sie fordert Esken auf, nicht nur über soziale Gerechtigkeit zu sprechen, "du hast die Chance, etwas dagegen zu tun. Du bist die Vorsitzende der Kanzlerpartei."
Wahlkampf könnte Überzeugung der Jusos auf die Probe stellen
Für Themen und Wahlprogramm ist zuvorderst Generalsekretär Matthias Miersch als Wahlkampfmanager zuständig. In seiner Rede macht er deutlich, dass ihm ganz klar ist, welche Aufgabe die SPD in den kommenden 91 Tagen – und danach – hat. Er nennt Klimaschutz in Verbindung mit der sozialen Frage, Entlastung der Arbeitnehmenden und Besteuerung von Vermögen sowie die Abkehr von der Schuldenbremse und Investitionen in die Zukunft. Miersch beschwört den Zusammenhalt der SPD in den kommenden drei Monaten.
Doch bei seiner ersten Rede auf einem Juso-Bundeskongress als Generalsekretär seiner Partei macht es ihm der Jugendverband nicht leicht. Auch bei Miersch kommen die Delegierten auf das Hickhack bei der K-Frage zurück.
"Das war Kinderkacke", macht Nina Gaedike deutlich. Es sei Aufgabe der Parteispitze gewesen, den Mitgliedern ein Angebot zu unterbreiten. "Es brodelt nicht nur, wir sind auf 180 und das nicht nur bei den Jusos", sagt sie. Sie verweist auf die starke Kritik am Sicherheitspaket der Ampel aus den Reihen der SPD. Von "der alten Leier", die Koalition sei besser als ihr Ruf, will die Jungsozialistin nichts mehr hören. Das würden die Menschen am Wahlkampfstand ohnehin nicht glauben. "Wir lassen uns nicht als Wahlkampfdienstleister ausnutzen", stellt Gaedike fest. Es sei nun für den Parteivorstand an der Zeit, die Kritik anzunehmen.
Eins ist nach dem zweiten Tag des Bundeskongresses klar: Der Wahlkampf der SPD wird nicht nur kalt und kurz, sondern auch eine Probe der Überzeugungen. Die Jusos wollen kämpfen, für eine starke Sozialdemokratie – und fordern von ihrer Mutterpartei lautstark eine starke sozialpolitische Ausrichtung. "Macht jetzt alles dafür, damit die SPD weiter existiert als starke Kraft in diesem Land", richtet Türmer seine Bitte an die Parteiführung.
Verwendete Quellen
- Besuch des Bundeskongresses der Jusos
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