Im Kabinett von Angela Merkel sind die Stühle neu zurechtgerückt worden. So mancher Politiker wechselt dabei von einem Ministerium ins andere – einfach so, ohne ausgewiesene Fachkenntnis. Wie kann das gehen?

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Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Gerade noch hat ein Mitt-Fünfziger bei – sagen wir – der Polizei gearbeitet. Dort war er vielleicht sogar für die Terrorabwehr zuständig. Doch von heute auf morgen verändert er sich beruflich völlig, ohne Umschulung oder Weiterbildung. Statt um die Sicherheit der Deutschen kümmert er sich demnächst um ihre Kartoffelernte. Ein nicht vorstellbarer beruflicher Wandel. Doch im neuen Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist genau das gerade passiert, und zwar ohne großes Aufheben: Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist ab jetzt Landwirtschaftsminister.

Noch erstaunlicher ist der Postenwechsel von Ursula von der Leyen (CDU): Sie wechselt vom Arbeitsministerium ins Verteidigungsressort. Statt sich um Arbeitslose und Hartz IV zu kümmern, steht sie künftig an der Spitze der Bundeswehr. Dabei hat sich von der Leyen bisher nicht als Expertin in Sicherheitsfragen hervorgetan; ebenso wenig wie Friedrich in der Vergangenheit ein besonders Interesse am Schicksal der deutschen Bauern erkennen ließ.

Vorbild "Multiminister" Winston Churchill

So unwahrscheinlich solche Jobwechsel im nicht-politischen Leben sind, so üblich sind sie in der deutschen Bundes- und Landespolitik. Zahlreiche Spitzenpolitiker der vergangenen Jahrzehnte standen mal diesem, mal jenem und später sogar noch einem dritten Ministerium vor. Und das übrigens nicht nur in Deutschland. Der britische Premierminister Winston Churchill beispielsweise war – bevor er dieses Amt zwischen 1940 und 1945 und dann noch einmal zwischen 1951 und 1955 innehatte – unter anderem: Marineminister, Finanzminister, Kolonialminister, Luftfahrtminister, Munitionsminister und Innenminister.

Wer sich über derartige Rotationen wundert, der sitzt einer grundlegend falschen Annahme auf: Der nämlich, dass Minister so etwas wie ausgebildete Sachbearbeiter oder Referenten für ihren Einsatzbereich mit viel Detailwissen sein müssten.

Die Hebel und Stellschrauben bewegen andere

Tatsächlich nämlich geben Spitzenpolitiker als Minister in ihren jeweiligen Häusern "nur" die politischen Leitlinien der Arbeit vor und vertreten die Häuser nach außen. Mit anderen Worten: Sie zeichnen das große Bild vor, das in ihren Ressorts schließlich mit Farbe gefüllt werden soll.

Die eigentlichen Hebel und Stellschrauben werden nicht von ihnen bewegt. Um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: Wenn ein Minister verlangt, ein Gesetz zu Hartz IV müsse auf den Weg gebracht werden, dann formuliert er im Groben lediglich seine Erwartungen an dessen Inhalt. Das eigentliche Ausarbeiten des Gesetzestextes übernehmen die Mitarbeiter des Ministeriums.

Trennung zwischen politischer und sachlicher Ebene

Diese – in der Regel Beamte – bilden die eigentliche Sachebene eines Ministeriums und wechseln längst nicht so häufig wie die Minister an dessen Spitze. Als Staatsdiener unterliegen sie den Weisungen der Hausspitze und arbeiten ab, was von oben kommt – egal ob das von einem CDU-, SPD-, Grünen-, Linken- oder FDP-Mann kommt. Das kann im Extremfall dazu führen, dass sie in der einen Legislaturperiode ein Gesetz zum Beispiel für die Einführung einer Steuer ausarbeiten - und nach einem Wechsel des Ministers in der folgenden Legislaturperiode dann ein Gesetz zur Abschaffung genau dieser Steuer formulieren müssen.

Die Trennung zwischen einer Sach- und einer politischen Ebene hat dazu führt, das unter den Ministeriumsbeamten in Deutschland ein vielsagender Ausspruch bekannt und beliebt ist: "Ist es wichtig? Oder können wir den Minister schicken?"

Detailliertes Wissen schadet nicht

Eine Scharnierfunktion zwischen der Sach- und der politischen Ebene haben Staatssekretäre und höhere Beamte inne. Entsprechend überstehen sie bisweilen auch ein politisches Stühlerücken, weil man auf ihre Kompetenz angewiesen ist. Häufig allerdings bringen Minister zumindest auch ihre eigenen Staatssekretäre mit. Die haben für gewöhnlich das gleiche Parteibuch wie der Minister.

Dass es freilich nicht schaden kann, wenn ein Minister bei der Übernahme eines neuen Ressorts auch inhaltlich detailliert weiß, was er tut, versteht sich von selbst. Allerdings haben sich die meisten Spitzenpolitiker im Laufe der Jahre in so vielen Themenfeldern wenigstens ein Grundwissen erarbeitet, dass sie - um im obigen Bild zu bleiben - sowohl von der Polizeiarbeit, der Landwirtschaft als auch von der Bundeswehr zumindest ein Grundverständnis haben. Außerdem können sie in ihrer Zeit an der Spitze eines Ministeriums langsam in ihre neue Aufgaben hineinwachsen.

Manchen gelingt das besser, anderen weniger gut. Und da verhält es sich wiederum wie im Leben außerhalb der Politik, wo es gute und schlechte Handwerker, Anwälte oder Verwaltungsmitarbeiter gibt.

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