Die Terrormiliz Islamischer Staat hat durch den Verlust Palmyras die Kontrolle über eine weitere strategisch wichtige Stadt verloren. Bald könnten Rakka und Mossul an der Reihe sein. Doch geht der IS deshalb wirklich schon auf sein Ende zu?
Kobane, Tikrit, Sindschar, Ramadi – und nun Palmyra. Zum wiederholten Male seit Anfang 2015 hat der sogenannte Islamische Staat einen strategisch wichtigen Ort räumen müssen. Die Rückeroberung der antiken syrischen Wüstenstadt durch die Armee
Im Vergleich zu seiner größten Ausbreitung im Jahr 2014 hat der IS laut Angaben des US-Militärs bis Januar etwa 40 Prozent des Territoriums verloren. In den ersten drei Monaten 2016 kamen weitere acht Prozent hinzu. Bliebe dieses Tempo erhalten, wäre Ende des Jahres vom "Kalifat" nicht mehr viel übrig.
IS in Rakka und Mossul "gut aufgestellt"
Dennoch warnt der Journalist und Buchautor Bruno Schirra im Gespräch mit unserer Redaktion vor allzu großem Optimismus. "Ich sehe es mit Verwunderung, dass nun schon wieder der Abgesang auf den IS angestimmt wird. Das kennen wir schon aus 2015. Da muss man abwarten."
Die Miliz sei in Rakka und Mossul gut aufgestellt, die Strukturen etabliert, die Kämpfer "entschlossen bis zum Tod". Die in vielen Medien verbreiteten Meldungen über die geringer gewordene Kampfmoral der Dschihadisten sehe er skeptisch, betont Schirra.
In Mossul gelang es irakischen Einheiten mit Hilfe amerikanischer Luftangriffe zuletzt, einige Dörfer im Umland einzunehmen. Die Millionenstadt, die als inoffizielle IS-Hauptstadt im Irak gilt, war 2014 von nur rund 900 Milizionären besetzt worden.
Aber selbst der potenzielle Verlust der beiden "Hauptstädte" käme für den Experten keiner entscheidenden Schwächung gleich, da sich der IS in Ägypten, Jemen, Libyen und vielen anderen Ländern etabliert habe. "Sein Gedanke, Unsicherheit und Terror zu verbreiten, ist in der Welt. Die territorialen Verluste stärken den Gedanken eher noch", meint Schirra. Will der IS bezwungen werden, scheint ein Sieg über seine menschenverachtende Ideologie ohnehin wichtiger als militärische Triumphe.
IS wie ein "wildes Tier"
Aktuell versucht die Miliz, durch vermehrte Terrorattacken im Ausland von ihren inneren Gebietsverlusten abzulenken. Clint Watts, Terrorexperte am "Foreign Policy Research Institute in Philadelphia", verglich den IS im Magazin "Foreign Policy" mit einem wilden Tier.
"Wenn ein wildes Tier stranguliert wird, kämpft es wild, tritt um sich und schreit, um den Tod zu verhindern. Es hofft, einen Ausweg zu erzeugen, um nicht zu sterben." Der Terroranschlag von Brüssel müsse in diesem Zusammenhang verstanden werden. "Die Gruppe muss dringend Zeichen des Erfolges präsentieren, um internationale öffentliche Unterstützung sicherzustellen", schrieb Watts weiter.
Daher werde auch Deutschland – wie Paris und Brüssel – früher oder später getroffen werden, prophezeit Schirra, Autor des Buches "ISIS – Der globale Dschihad. Wie der `Islamische Staat` den Terror nach Europa trägt".
Tatsächlich hat die Miliz auf Rückschläge in der Vergangenheit meist offensiv reagiert. Etwa durch die Einführung neuer Gefechtstaktiken in Syrien, die Ausweitung der Kampfzonen im Irak, neue Propagandamethoden zur verstärkten Rekrutierung in der afrikanischen Sahelzone und eben die Zunahme von Terroranschlägen.
Wird in den kommenden Monaten in Rakka und Mossul tatsächlich der große Schlag gelingen? Bruno Schirra ist skeptisch: "Der IS weiß was kommt und wird sich gut vorbereiten."
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