Seit Jahren krankt das Gesundheitssystem in Deutschland. Um das zu ändern, plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Krankenhausreform. Doch zuletzt erhielt er dabei massiven Gegenwind von seinem Amtskollegen aus NRW, Karl-Josef Laumann. Im Interview spricht Laumann darüber, warum sich die Wogen zwischen ihm und Lauterbach geglättet haben und mit welchem Teil der Reformpläne er noch immer ein Problem hat.
Herr
Karl-Josef Laumann: Erstmal bin ich froh, dass in Berlin die Erkenntnis gereift ist, dass die nordrhein-westfälische Reform sehr durchdacht und unter anderem mit den Vertretern der Ärzteschaft, den Krankenhäusern und den Kostenträgern abgestimmt ist. Dass wir in Berlin zu einer Regelung kommen, die die Überlegungen aus NRW als Grundmodell für die Krankenhausreform nimmt, zeigt ja auch, dass wir sehr gute Arbeit abgeliefert haben. Damit sind wir inzwischen auf einem sehr guten Weg, auch wenn noch längst nicht alles geklärt ist.
Inwiefern?
Krankenhausplanung ist Länder- und nicht Bundessache. Alle Länder, auch die, in denen die zuständigen Ministerinnen und Minister einer anderen politischen Farbe als ich angehören, haben sehr klar gesagt, dass sie die Hoheit diesbezüglich behalten wollen. Damit hier alle Beteiligten Klarheit haben, in welchem Rahmen sich der Bund verfassungsrechtlich bewegen darf, haben wir ja auch zusammen mit Bayern und Schleswig-Holstein ein Gutachten in Auftrag gegeben.
Sehen Sie diesbezüglich Bewegung beim Bund?
In den letzten Tagen hat das Bundesministerium einen gewaltigen Schritt auf die Länder zu gemacht. Insbesondere auch auf NRW, weil wir ja bereits ein Konzept entwickelt und in Kraft gesetzt haben, wie man die Krankenhauslandschaft zukunftsfest weiterentwickeln und stärken kann.
Und wo liegt dann das Problem?
Mit den Krankenhaus-Leveln habe ich schon ein Problem, wenn der Bund sie so definieren sollte, wie es die reine Wissenschaftslehre vorgeschlagen hat. Der Bund will ja bestimmen, welche Leistungsgruppen zusammenkommen müssen, damit ein Krankenhaus eine gewisse Level-Stufe erreicht. Wenn das 1:1 so kommen würde, würde damit quasi die Landeszuständigkeit für Krankenhausplanung abgeschafft.
Können Sie das etwas konkretisieren?
In der reinen Level-Denke der Kommission war bis ins Detail festgelegt, was ein Krankenhaus an Leistungsgruppen alles anbieten muss, bevor es ein bestimmtes Level erhält – mit allen Folgen für die Finanzierung. Da gibt es eine Simulation der Deutschen Krankenhausgesellschaft, was das für die Krankenhauslandschaft in Deutschland bedeutet. Die hat dann wohl jedem klargemacht, dass die alleinige Wissenschaftslehre die eine Seite ist, die Lebenswirklichkeit aber eine andere ist.
Sie beziehen sich auf solche Berechnungen wie, dass es in NRW nur noch 26 Kliniken geben würde, die Geburten durchführen können. Bei 175.000 bis 180.000 Geburten pro Jahr. Das heißt, jedes dieser Krankenhäuser müsste 6.000 Geburten pro Jahr durchführen.
Jeder weiß, dass das nicht geht. Da brauche ich mich gar nicht drüber aufzuregen. Ein Land wie NRW kommt nicht mit 26 Geburtenkliniken aus.
Die Krankenhausgesellschaft kommt in dem Gutachten auch zu dem Schluss, dass 215 Krankenhäuser schließen müssen, würde die starre Kopplung von Leistungen an Krankenhaus-Levels durchgeführt, wie ursprünglich geplant.
Die Pläne von Lauterbachs Kommission für diese Radikalreform sind meines Erachtens vom Tisch. Auch wenn man im Einzelfall Schließungen nicht ausschließen kann: Wir sollten keine Krankenhausplanung machen, um Krankenhäuser zu schließen, sondern um sie zu stärken.
Lauterbachs Aussagen zufolge ist die Idee aber dennoch, am Krankenhaus-Level festzuhalten. Nur sollen die Kliniken auch Leistungsgruppen anbieten dürfen, die nicht ihrer Stufe entsprechen, insofern sie die notwendigen Qualitätsstandards dafür erfüllen.
Das ist ja auch vernünftig. Die wichtige Frage ist jetzt: Wie verbindlich sind die Level? Oder ich sage mal anders: Unter welchen Voraussetzungen können wir mit Begründungen von den Leveln abweichen?
Sie verweisen diesbezüglich immer wieder darauf, dass eine "Bundesschablone" für die Krankenhäuser in den Ländern nicht funktionieren könnte. Dafür seien die regionalen Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung zu groß. Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Die Krankenhauslandschaft des Rheinlandes ist durch die Universitätskliniken in Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf und Essen eine völlig andere als im westfälischen Landesteil. Dort gibt es bei sieben Millionen Einwohnern nur eine einzige Universitätsklinik, nämlich in Münster. Auch im westfälischen Landesteil gibt es universitäre Spitzenmedizin: im Deutschen Herzzentrum in Bad Oeynhausen oder in den Lehrkliniken der medizinischen Fakultäten der Universitäten Bochum und Bielefeld. Aber die Schablone "Level 3 U" passt hier nicht. Das zeigt: Die Krankenhauslandschaft ist zu unterschiedlich, als dass man das einheitlich machen kann.
Lauterbach hat Sie zuletzt vor einem Alleingang bei der Krankenhausreform gewarnt. Steht der für Sie potenziell immer noch im Raum, sollte man am Ende der Debatte mit dem Konzept des Bundes nicht zufrieden sein?
Nein, das ist überhaupt nicht meine Absicht. Mir geht es auch nicht darum, eine Auseinandersetzung mit meinem Kollegen Lauterbach zu führen. Es hat Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die sind geklärt und jetzt sollte es uns allen um die Sache gehen. Der Bund hat sich in den letzten Tagen im Grunde genommen die Grundzüge der nordrhein-westfälischen Krankenhausplanung zu eigen gemacht. Das ist eine große Chance.
Viele Bürger treibt die Sorge um, dass durch die Reform die Versorgung vor Ort unsicherer wird, wenn die Kliniken künftig weniger Leistungen anbieten dürfen. Im Falle eines Notfalls bleibt nicht unbedingt die Zeit zu googeln, ob das lokale Krankenhaus tatsächlich helfen kann.
Bei welchem Notfall welches Krankenhaus angefahren wird, entscheiden doch heute schon die Rettungsdienste. Das ist dann immer eine Abwägung zwischen Spezialklinik und Zeit. Mir ist wichtig, dass vollständig klar ist, dass Krankenhäuser für die Menschen erreichbar bleiben. Deswegen steht im nordrhein-westfälischen Krankenhausplan, dass 90 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger innerhalb von 20 Autominuten ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung erreichen können müssen. Aber wir werden bei knappen finanziellen und personellen Ressourcen nicht an jeder Ecke eine Klinik haben können, die jede Art von Behandlung anbietet.
Sie hatten Lauterbach zuletzt damit gedroht, seine Reform im Bundesrat zu blockieren. Glauben Sie, dass sie nach jetzigem Stand das Potenzial hat, umgesetzt zu werden?
Es gibt in Wahrheit aktuell gar keinen "Stand jetzt". Die Fachleute würden ja nicht weiterkommen, wenn nicht die Minister ein paar grundsätzliche politische Entscheidungen treffen. Die Minister haben sich am Donnerstag auf einige Eckpunkte geeinigt. Jetzt geht es darum, dass sich die Fachleute zusammensetzen und die Bundesländer simulieren müssen: Was heißt das eigentlich für unsere Krankenhauslandschaft? Und dann müssen wir sehen, ob wir zu einem gemeinsamen Gesetzesentwurf kommen, wobei ich seit der Sitzung am Donnerstag sehr zuversichtlich bin.
Das heißt, jetzt ist quasi erst die Basis für die Diskussion um die Reform geschaffen?
Dadurch, dass Lauterbach sich der Vorarbeit aus NRW bedient, ist aus meiner Sicht vieles einfacher. Sonst hätte er ja auf Bundesebene erstmal 60, 80 oder wie von der Expertenkommission vorgeschlagen 128 Leistungsgruppen definieren müssen. Dafür haben wir in NRW fast drei Jahre gebraucht. Ich hatte den Eindruck, dass viele es akzeptieren, dass man sich jetzt an unserer Vorarbeit orientiert.
Für mich klingt das, als würde sich der Zeitplan für die Reform nach hinten schieben.
Zumindest haben wir die Zeit zur kompletten Neuerarbeitung der Leistungsgruppen gespart. Ich habe aber immer gesagt, dass der Plan, bis zur Sommerpause einen Gesetzesentwurf vorzulegen, sehr sportlich ist. Sie können nicht eine Krankenhausplanung über das gesamte Land ziehen und sagen: Ab morgen gilt die bis zur letzten Krankenhausabteilung in Deutschland.
Die Kliniken haben aber jetzt schon Angst vor Insolvenzwellen. Haben wir Zeit für ein langsameres Tempo bei der Reform?
Erstens: Das bisherige Finanzierungsmodell hat die Krankenhäuser in die Bredouille gebracht. Nicht das Modell, was wir jetzt diskutieren. Der zweite Punkt ist, dass auch die Krankenhäuser unter der Inflation und der Teuerung bei der Energie leiden. Das können die Krankenhäuser nicht einfach aus eigener Kraft, mit Einnahmen wie vor der Inflation, bezahlen. Das muss abgefangen werden, ebenso wie wir es auch in anderen Wirtschaftsbereichen machen. Der Bund hat den Krankenhäusern relativ viel Geld an Energiehilfen und weiteres ins Schaufenster gestellt. Nachdem, was ich höre, kommt aber nur ein kleiner Teil davon an. Die Krankenhäuser brauchen, was der Bund ihnen zugesagt hat.
Die Finanzierung des Umbaus des aktuellen Systems wird aber auch Geld kosten. Sehen Sie überhaupt Spielraum angesichts des Streits über die Haushaltsplanung, der in der Ampel sowieso schon entbrannt ist?
Wenn man Abteilungen verlegt, vergrößert und so weiter braucht es für die Umsetzung mehrere Jahre. Und eine solche Zeit muss man auch mit Geld hinterlegen, damit Krankenhäuser in neue Strukturen investieren können. In NRW haben wir den Krankenhäusern die Zusage gegeben, dass wir als Land in den nächsten vier Jahren 2,5 Milliarden dafür ausgeben werden. Beim Bund haben wir die Klarheit noch nicht. Darüber wird sicherlich noch zu reden sein.
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