Mitte Juni haben die Kolumbianer Iván Duque zum neuen Präsidenten gewählt. Schon jetzt beginnt, was seine Gegner befürchtet haben: Duque und seine Parteifreunde rütteln am Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla, das 2016 einen 50 Jahre währenden blutigen Konflikt beendet hatte. Droht dem Land die Rückkehr in düstere Zeiten?
Noch nie verliefen Präsidentschaftswahlen in Kolumbien so friedlich. Noch nie hat ein linker Kandidat in Kolumbien so viel Stimmen geholt wie Gustavo Petro. Noch nie haben sich so viele Menschen getraut, sich dazu zu bekennen, links zu wählen - und das überlebt.
Damit enden die guten Nachrichten allerdings schon. Die Wahl gewonnen hat der rechtskonservative Kandidat Iván Duque. Der hatte schon im Wahlkampf versprochen, das Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla von 2016 massiv überarbeiten zu wollen, mit dem der scheidende Präsident Juan Manuel Santos mehr als 50 Jahre blutigen Konflikt beendet hatte, der über 220.000 Menschen des Leben gekostet hat und unzählige weitere unter Folter, Entführungen und Vergewaltigungen leiden ließ.
Noch ist Duque nicht im Amt, doch der Umbau hat mit Hilfe seiner Mehrheit im Parlament bereits begonnen. Die erschreckende Bilanz drei Wochen nach der Wahl:
1. Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden wird aufgeweicht
Die Besonderheit des Friedensabkommens, für das es international als vorbildlich gilt: Die Opfer stehen im Zentrum, und die Wahrheitsfindung hat Priorität vor der Bestrafung der Täter. Ein Herzstück ist deshalb die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden.
Doch mehr als ein Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens fehlen immer noch die Gesetze und Verordnungen, die das Gericht benötigt, um seine Arbeit vollständig aufnehmen zu können.
Schon am Montag nach Duques Wahl hat seine Partei versucht, die nötige Debatte im Kongress in die neue Legislaturperiode zu verschieben. Dagegen hatten sich nicht nur der amtierende Präsident Juan Manuel Santos, sondern auch die Beobachtungskommission der Vereinten Nationen ausgesprochen, um die Opfer nicht noch länger warten zu lassen.
Hochrangige Militärs hatten protestiert. Auch für die ehemaligen FARC-Kämpfer ist die Sondergerichtsbarkeit wichtig. Sie sollte schließlich unter anderem über das Schicksal von mehr als 6000 Ex-Guerrilleros, Polizisten und Soldaten entscheiden, die Verbrechen während des Konflikts begingen, und ihnen mildere Strafen garantieren, wenn sie dafür bei der Wahrheitsfindung kooperieren.
In der letzten Sitzung der Legislaturperiode hat der Senat jedoch auf Initiative der Duque-Partei entscheidende Änderungen bei der Sondergerichtsbarkeit beschlossen. So wird diese künftig nicht mehr über die Auslieferung von mutmaßlichen Straftätern entscheiden dürfen. Richter der Sondergerichtsbarkeit dürfen keine Beweise oder weiteren Ermittlungen über die Tat selbst und den mutmaßlichen Täter anfordern, sondern nur aufgrund von bereits öffentlichen Informationen entscheiden, ob der Tatzeitpunkt unter die Sondergerichtsbarkeit fällt. Beweise sichten darf nur der Oberste Gerichtshof.
Außerdem sollen die Verfahren für Militärangehörige und Polizisten 18 Monate eingefroren werden und diese eine eigene Kammer mit eigenen Richtern bekommen.
Laut Rodrigo Londoño, dem Vorsitzenden der FARC-Partei, sowie Noch-Präsident Santos sind diese Änderungen verfassungswidrig.
2. Düstere Aussichten für Homosexuelle
Eine weitere Besonderheit des Friedensabkommens ist, dass es die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Transgendern explizit betont. Kolumbiens künftiger Präsident aber ist streng konservativ und als solches bekennender Gegner der Homo-Ehe.
Mit der Mehrheit von Duques Partei und der christlichen Partei MIRA wurde nun die Abkürzung LGBTI (für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) aus dem Teil des Abkommens gestrichen, in dem es um Gender-Gerechtigkeit und politische Beteiligung dieser Minderheiten geht.
Das letzte Wort über die Änderungen am Friedensabkommen hat das Verfassungsgericht.
3. Das Morden geht weiter
Friedensabkommen hin oder her: das Morden in Kolumbien geht weiter - unter Duque wohl erst recht.
Während die FARC ihren Verpflichtungen aus dem Friedensabkommen größtenteils nachgekommen ist, hat der Staat seine nur unzureichend erfüllt. Nach dem Rückzug der FARC hat er es nicht geschafft, die verlassenen Gebiete zu stabilisieren. Neo-paramilitärische Gruppen, ELN-Guerrilleros, FARC-Dissidenten sowie Drogenkriminelle haben die Macht übernommen. Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens wurden mindestens 50 ehemalige FARC-Kämpfer und Angehörige ermordet.
Außerdem war die FARC zwar Kolumbiens größte Guerilla-Gruppe, aber nicht die einzige. Die aktuelle Regierung verhandelt seit Langem über einen Waffenstillstand mit der zweitgrößten Guerrilla ELN, die im vergangenen Jahr immer wieder Anschläge verübt hat. Duque hat für eine Fortführung der Verhandlungen Bedingungen genannt, die Experten für unerfüllbar halten. Sie gehen davon aus, dass er militärisch statt am Verhandlungstisch gegen die ELN vorgeht.
Auch sonst sieht es düster aus: Zwar war 2017 die kolumbianische Mordrate die niedrigste seit 42 Jahren. Aber Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschafter und linke Politiker leben weiter gefährlich. Laut dem kolumbianischen Friedensinstitut Indepaz wurden im Jahr 2017 allein 170 Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten getötet. Das ist ein Anstieg von 45 Prozent gegenüber 2016.
Im März nannte UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra'ad Al Hussein die Situation "alarmierend". Nach der Präsidentschaftswahl häuften sich die Meldungen über Verfolgungen und Morde an Anhängern des linken Gegenkandidaten Gustavo Petro. Seit der Wahl mussten mindestens drei Unterstützer Petros ihr Leben lassen. Zum Beispiel traf es vergangenen Mittwoch die Koordinatorin der Wahlkampagne in der Region Antioquia, Ana María Cortés.
Sie war eines von acht Opfern in jener Woche. Am Freitag fanden deshalb landes- und weltweit Lichterdemonstrationen in Solidarität mit den Aktivisten statt. Tausende Kolumbianer gingen auf die Straße.
Und nicht zuletzt sind da noch die Paramilitärs. Die haben während des bewaffneten Konflikts deutlich mehr Menschen umgebracht als die Guerrilla. Duques Gegner befürchten, dass dieser wie in so vielen Bereichen auf der Linie seines politischen Ziehvaters bleibt, dem Ex-Präsident Álvaro Uribe. Enge Vertraute und Verwandte von Uribe wurden wegen Zusammenarbeit mit den Paramilitärs verurteilt. Gegen Uribe selbst wird seit Jahren deshalb ermittelt.
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