Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger ist nach Angaben der Bundesregierung stark angestiegen. Zahlreiche Bürgermeister schlagen Alarm und sprechen von Zuwanderung ins deutsche Sozialsystem. Auch Betrug in Millionenhöhe wird vermutet. Nun könnte es eine Reform der Zahlungsbedingungen geben.
"Im Juni 2018 wurde für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt", sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Das ist eine Zunahme um 10,4 Prozent. Ende 2017 lag die Zahl noch bei 243.234 Empfängern, 2016 bei 232.189.
Unter den Empfängern sind auch gut 30.000 Deutsche, die im Ausland leben. Die meisten Kindergeldzahlungen gehen an Polen (knapp 120.000 Tausend) gefolgt von Tschechen (gut 21.000) und Kroaten (knapp 20.000).
Massive Kritik von Bürgermeistern
Mehrere Oberbürgermeister schlagen Alarm und sprechen von einer massiven Zunahme gezielter Migration in das deutsche Sozialsystem.
"Die Bundesregierung verschläft dieses Problem, sie muss endlich was dagegen tun, dass es Armutsflüchtlinge in Europa gibt", sagte etwa Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) der dpa.
"Wir haben derzeit rund 19.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. Vor knapp sechs Jahren, 2012, hatten wir erst 6.000 in Duisburg."
Link spricht von kriminellen Schleppern, die gezielt Sinti und Roma nach Duisburg bringen würden, ihnen eine häufig heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten.
Der Bürgermeister sieht kriminelle Energie und viel Betrug durch gefälschte Dokumente, oft wisse man gar nicht, ob die gemeldeten Kinder überhaupt existierten. Das widerspreche dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. "Denn die kommen nicht hierher in erster Linie, um zu arbeiten."
Kindergeld-Betrug vor allem in NRW
Schon vor Monaten hatte die "Welt am Sonntag" berichtet, dass die Familienkassen jährlich um mehr als 100 Millionen Euro betrogen werden könnten durch Banden, die Familien nach Deutschland schicken und Kindergeld kassieren lassen für nicht existierende Kinder oder für Kinder, die gar nicht hier leben.
Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestätigte der dpa, dass Betrugsfälle vor allem in bestimmten Großstädten in Nordrhein-Westfalen aufgetreten seien.
Die für die Auszahlung des Kindergelds zuständige Familienkasse der BA habe kürzlich mit ihren Partnern in Wuppertal und Düsseldorf 100 Verdachtsprüfungen durchgeführt und in 40 Fällen fehlerhafte Angaben festgestellt. "Die Summe des in diesen 40 Fällen unberechtigt bezogenen Kindergelds lag bei 400.000 Euro."
Eine Gesamtsumme möglicher Missbrauchsfälle lasse sich nicht seriös schätzen, sagte der Sprecher. "Diese Ergebnisse sind keine allgemeingültigen Quoten, die bundesweit für alle ausländischen Kindergeldbezieher angenommen werden könnten."
Um Missbrauch zu bekämpfen, gebe es bereits einen verstärkten Datenaustausch auch mit ausländischen Sozialleistungsträgern.
Die Familienkasse fordere zudem, einen tagesaktuellen Meldedatenabgleich zwischen den Meldebehörden und Sozialleistungs- und Steuerbehörden einzurichten, fügte der BA-Sprecher hinzu.
Städtetag dringt auf Reform
Der Deutsche Städtetag dringt auf eine rasche Reform der Zahlungsbedingungen: "Das Kindergeld sollte sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchen, und nicht die Höhe aufweisen, die in einem anderen Land am Wohnsitz ihrer Eltern gezahlt wird", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Die Bundesregierung sollte auf EU-Ebene eine entsprechende Änderung durchzusetzen versuchen, so Dedy.
"Nach meinem Eindruck ist es nicht unmenschlich, in den Fällen, in denen jemand in Deutschland arbeitet, seine Kinder aber in Rumänien leben, Kindergeld nach rumänischem Niveau zu zahlen", sagte er.
Scholz-Sprecher kündigt Änderungen an
Die Bundesregierung sieht das ähnlich, will sich aber weiterhin an EU-Vorgaben halten. Zugleich könnten Zahlungen aber gekürzt werden.
Man setze sich für eine europäische Lösung ein, "die die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den Mitgliedstaaten bei der Zahlung von Familienleistungen berücksichtigt, sagte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Das heißt, dass Zahlungen eben geringer ausfallen könnten, wenn die Kinder in Ländern mit niedrigeren Lebenshaltungskosten leben.
Für Kinder von ausländischen EU-Bürgern, die sich in Deutschland mit einer Wohnung anmelden, aber deren Nachwuchs oft gar nicht hier lebt, fallen jeden Monat rund 50 Millionen Euro an. Pro Jahr liegen die Kosten dann bei weit über 600 Millionen Euro.
2017 wurden insgesamt 343 Millionen Euro an Kindergeld auf Konten im Ausland überwiesen. Allerdings können auch deutsche Empfänger Konten im Ausland haben, beispielsweise weil sie dort leben. (cai/dpa/afp)
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