Wer in die Notaufnahme geht, braucht oft schnell medizinische Hilfe. Doch viele Kliniken sind überlastet, Patienten müssen oft stundenlang warten. Mit einer Reform will Gesundheitsminister Lauterbach das ändern. Abhilfe schaffen sollen Arztpraxen. Denn ein großer Teil der Notaufnahme-Patienten könnte dem Minister zufolge auch dort behandelt werden.
Der SPD-Politiker erläuterte, 25 bis 30 Prozent der Fälle aus Notfallambulanzen könnten auch in Arztpraxen behandelt werden. Heute sind die Notfallambulanzen häufig überfüllt - Ärzteorganisationen beklagen seit Jahren, dass vor allem am Wochenende dort auch viele Menschen mit leichteren Beschwerden vorstellig würden.
Neue Zentren sollen Krankenhäuser entlasten
Die Notaufnahmen sollen künftig in neue integrierte Notfallzentren aufgehen. Pro 400.000 Einwohnerinnen und Einwohner solle es ein Zentrum geben, kündigte Lauterbach an. Zu diesen Zentren soll auch je eine ambulante Notdienstpraxis in unmittelbarer Nähe gehören. Die Einschätzung, wo die Patientinnen und Patienten versorgt werden sollen, soll an einem sogenannten gemeinsamen Tresen stattfinden.
Nach einer Simulation des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wären für eine flächendeckende Versorgung bundesweit etwa 730 dieser Notfallzentren nötig. "Entscheidend ist eine bessere Verteilung in ländlichen Gebieten, damit für alle Menschen ein Integriertes Notfallzentrum in erreichbarer Nähe liegt", betonte Vorstand Stefanie Stoff-Ahnis.
Im Kern ziele die Reform darauf ab, dass die Patientinnen und Patienten dort behandelt werden, wo es am besten und schnellsten gehe, so Lauterbach am Montag. "Das muss nicht immer das Krankenhaus sein", sagte der Politiker. "In vielen Fällen ist die notdienstliche Akutversorgung sehr viel sinnvoller." Häufig genüge auch der Besuch der Hausarztpraxis am nächsten Tag.
Bessere Beratung per Telefon oder Video geplant
Die unter der Rufnummer 116 117 erreichbaren Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sollen ausgebaut werden. Sie sollen mit den unter 112 erreichbaren Rettungsleitstellen vernetzt werden. So soll es künftig egal sein, welche der beiden Nummern man wählt. Patientinnen und Patienten sollen dort dann eine Ersteinschätzung bekommen, wohin sie gehen sollen. Wählt ein Notfall-Patient die 116 117, soll er beispielsweise auch auf diese Weise einen Krankenwagen geschickt bekommen können.
Auch Telemedizin soll ausgebaut werden, wie Lauterbach erläuterte. Wenn die Ärztin oder der Arzt telefonisch oder per Video einen Praxis- oder Klinikbesuch als nicht nötig erachten, dann soll so auch ein elektronisches Rezept oder eine elektronische Krankschreibung ausgestellt werden können. Der Behandlungsfall könne dann abgeschlossen werden, ohne dass Betroffene außer Haus gehen müssten, so Lauterbach.
Die neuen Notfallzentren sollen sich zudem mit den Terminservicestellen vernetzen. Laut Lauterbach soll dadurch möglich werden, dass man dort direkt Termine für eine Weiterbehandlung angeboten bekommt. Insgesamt sei eine "große Reform" geplant mit "einem unfassbar großen Potenzial, um Geld zu sparen und gleichzeitig die Versorgung zu verbessern".
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Reformpläne: Gemischte Reaktionen von Ärzten
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin, in deren Räumen Lauterbach seine Vorschläge vorstellte, wertete die Pläne positiv. "Für mehr Leistungen sind mehr Ressourcen erforderlich", mahnte der KV-Vorsitzende Burkhard Ruppert allerdings. Zusätzliches Personal und ausreichende Finanzierung seien nötig. Der während der Corona-Pandemie bekannt gewordene Intensivmediziner Christian Karagiannidis forderte Tempo bei der geplanten Reform.
"Schaut man sich an, wer in die Notaufnahmen in Deutschland kommt, dann zeigt sich, dass dort extrem viele 80- bis 90-Jährige hinkommen", sagte Karagiannidis der "Ärzte Zeitung". Häufig stehe bei ihnen mehr ein Versorgungsproblem im Vordergrund als eine schwere Erkrankung.
Kritik an den Plänen eines durchgehenden Angebots für Telemedizin kam derweil vom Hausärzteverband. "Wo sollen die Ärztinnen und Ärzte und die nichtärztlichen Fachkräfte herkommen, die in Zeiten des Fachkräftemangels das alles stemmen?", sagte die Bundesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth der "Rheinischen Post". "Sollen Hausärztinnen und Hausärzte jetzt ihre Sprechstundenzeiten einschränken, um stattdessen Notfall-Telemedizin zu machen?"
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach derweil von einer "Trickkiste", in die Lauterbach "erneut" gegriffen habe, denn "die Erkrankten müssten am Telefon die richtigen Angaben machen können, um eine bedarfsgerechte Behandlung zu erhalten", erklärte Vorstand Eugen Brysch.
Notaufnahmereform soll 2025 in Kraft treten
Die Grünen unterstützten Lauterbachs Reformpläne derweil. Heute gebe es "eine toxische Gleichzeitigkeit von Über-, Unter- und Fehlversorgung", sagte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen der Deutschen Presse-Agentur. Die Reform sei überfällig. "So können auch Notfälle, die die Strukturen eines Krankenhauses, nicht aber einen Aufenthalt in einem solchen brauchen, zukünftig besser versorgt werden."
Mit einer Regelung zur Finanzierung spezieller ambulanter Notfallversorgungen wie Telenotfallmedizin, Notfallpflegeteams, Gemeindenotfallsanitätern und psychiatrischen Krisendiensten sollten nicht notwendige Transporte und stationäre Klinik-Aufenthalte vermieden werden.
Das Gesetz zu der Reform soll in der ersten Jahreshälfte im Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden. In Kraft treten soll es dann Anfang 2025. In Kürze will Lauterbach auch Eckpunkte zu einer Rettungsdienstreform vorstellen. (dpa/afp/thp)
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