Auf die Ampel folgt Schwarz-Rot: Die neue Koalition will vieles besser machen, ein neuer Aufbruch soll her. Unsere Redaktion wirft einen Blick auf wichtige Vorhaben von Union und SPD.
146 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag von Union und SPD (Hier in voller Länger zu lesen). Nur 45 Tage nach der Bundestagswahl steht das neue Bündnis bereits – auch, weil sich die weltweite Lage zuspitzt. US-Präsident Donald Trump zertrümmert das westliche Bündnis und überzieht die Welt mit einem Handelskrieg, während Russland in der Ukraine weiter unvermindert angreift.
Und auch im Inland stehen die Zeichen auf Krise. Die Migrationsfrage: ungelöst. Die Wirtschaft: taumelt ins dritte Rezessionsjahr. Das Gesundheitssystem: braucht dringend ein Update.
Schwarz-Rot ist also von Anfang an gefordert. Unsere Redaktion hat in den Koalitionsvertrag geschaut und sagt, wo Union und SPD liefern. Und wo Leerstellen bleiben.
Verteidigung: Vor allem ein Problem bleibt
Die gute Nachricht: Union und SPD haben die tektonischen Verschiebungen in der Sicherheitsarchitektur Europas erkannt. Daran lässt der Koalitionsvertrag keinen Zweifel. "Unsere Sicherheit ist heute so stark bedroht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr", heißt es etwa. Deshalb sollen schnellere Beschaffungen und langfristige Rüstungsinvestitionen die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr schnell, "nachdrücklich und nachhaltig" erhöhen.
Die schlechte Nachricht: An einem Kernproblem der Truppe – dem Personalmangel – wird auch die künftige Koalition höchstwahrscheinlich nichts ändern. Denn statt die Wehrpflicht wieder einzuführen, will man die Militär-Karriere attraktiver machen und weiter auf Freiwilligkeit setzten. Das war schon das Mantra der vergangenen Jahre. Geholfen hat es wenig.
Wirtschaft: Keine Steuererhöhungen und ein bisschen Entlastung
Im Wahlkampf hat die Union für eine Wirtschaftswende geworben. Allerdings prallen in der Koalition mit den Sozialdemokraten unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. Die SPD würde gerne hohe Einkommen, Aktiengewinne, Vermögen und Erbschaften stärker besteuern. Die Union lehnt das ab.
Herausgekommen ist ein Kompromiss, der durchaus in die richtige Richtung zeigt. So soll die Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen ab Mitte der Legislatur gesenkt werden, außerdem soll der Steuertarif später greifen und flacher verlaufen, wodurch alle Steuerzahler entlastet werden. Ab 2028 wird die Körperschaftssteuer in fünf Schritten jährlich um einen Prozentpunkt gesenkt, Abschreibungen erleichtert und energieintensive Unternehmen sollen mit einem Industriestrompreis entlastet werden.
Durchgesetzt hat sich die SPD beim Soli, der bestehen bleibt. Die Union kann dennoch selbstbewusst vor ihre Mitglieder treten. Sie hat Steuererhöhungen verhindert. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist das eine gute Nachricht – gerade in dieser Zeit.
Sondervermögen: eine große Chance
Die alte Bundesregierung hatte sich in einer umstrittenen Sondersitzung im März mit der Union noch auf ein Sondervermögen für die Infrastruktur geeinigt. Davon profitiert Schwarz-Rot: Mit 500 Milliarden Euro kann die neue Koalition in den kommenden zehn Jahren die marode Infrastruktur in Deutschland wieder auf Vordermann bringen. Eine große Chance. Davon sollen 100 Milliarden an die Länder gehen.
Unter Infrastruktur fällt allerdings Etliches: etwa die Energiewende, der Klimaschutz, Bildung, Verkehr oder Digitales. In welcher Höhe in welchen Bereich investiert wird, ist noch offen. Tatsächlich ist der Bedarf riesig, ob die geplanten 500 Milliarden Euro dafür ausreichen werden, ist fraglich. Allein die Deutsche Bahn bräuchte 148 Milliarden des Sondervermögens.
Rentenpolitik: Schwarz-Rot setzt auf Weiter-so
Die Rentenpolitik von Union und SPD ist vor allem ein "Weiter so". Große Ambitionen sind im Koalitionsvertrag nicht zu erkennen. Das entsprechende Kapitel liest sich wie ein Sammelsurium schwarzer und roter Wünsche.
Beim Renteneintrittsalter bleibt alles, wie es ist, nämlich bei 67 Jahren. Das Rentenniveau soll bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent festgeschrieben werden, was den Sozialdemokraten wichtig war. Die CSU bekommt die Ausweitung der Mütterrente. Und: Rentner sollen künftig 2.000 Euro steuerfrei behalten dürfen, wenn sie weiterarbeiten.
All das wird laut Experten nicht reichen, um das Rentensystem zukunftsfest zu machen. Immerhin: Ab dem 1. Januar 2026 investiert der Staat für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr 10 Euro monatlich in ein Altersvorsorgedepot, das auf Aktien und ETFs beruht.
Bürgergeld: Ein neuer Name für die Grundsicherung
Beim Bürgergeld hat es vor der Wahl gekracht zwischen Union und SPD: Für die Sozialdemokraten war es ein Prestigeobjekt, der Abschied von Hartz IV. Die Union würde es lieber heute als morgen abschaffen. Die neue Koalition will es nun deutlich verändern – und hat auch schon einen neuen Namen dafür.
Aus Bürgergeld wird die neue Grundsicherung für Arbeitssuchende. Ein vermeintlicher Punktsieg für die Union. Denn: Es soll außerdem deutliche Verschärfungen gegenüber dem bestehenden System geben. Ein zentraler Punkt ist die Bewerbungspflicht. Wer sich nicht aktiv um einen Job bemüht, muss mit Sanktionen rechnen. Im schlimmsten Fall könnte die Regelleistung gekürzt oder ganz gestrichen werden – und das alles "schneller, einfacher und unbürokratischer" als beim Bürgergeld.
Allerdings ist all das keine Revolution, eher eine behutsame Veränderung des Bürgergeldes. Denn auch die Union weiß: Beim Existenzminimum zieht das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen.
Wohnen: Viele Zugeständnisse an Mieter
Ein bisschen könnte man fast meinen, die Union hätte beim Thema Wohnen nicht mit der SPD verhandelt – sondern sie einfach mal machen lassen. Denn abseits der Abschaffung des Heizungsgesetzes und einer "Investitions-, Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive" liest sich das Papier an vielen Stellen wie ein Zugeständnis an die geplagten Mieter im Land.
So soll etwa die Mietpreisbremse verlängert und verschärft werden. Auch Umgehungs-Schlupflöcher für Vermieter will Schwarz-Rot schließen. Zum Ausgleich soll "wer günstig vermietet […] steuerlich belohnt" und der Wohnungsbau insgesamt angekurbelt werden.
Ob das reicht, hängt auch davon ab, wie ambitioniert die Pläne verfolgt werden. Doch zumindest liest es sich wie ein solides Fundament. Und das ist ja die halbe Miete beim Bau.
Migrationswende á la Merz
Die Migrationswende, die der künftige Kanzler
Im Vertrag haben sich die Koalitionäre nun darauf geeinigt, vor allem Straftäter, Menschen ohne Bleibeperspektive und abgelehnte Asylsuchende schneller abzuschieben. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll ausgeweitet und der Familiennachzug ausgesetzt werden. Auch an den Grenzen sollen, wie von Merz im Wahlkampf angekündigt, Menschen direkt zurückgeschickt werden. Deutschland dürfte für Schutzsuchende ungemütlicher werden. Merz und seine Koalition gehen damit einen großen Schritt hin zur Migrationswende. Gleichzeitig soll die Integration für jene, die bleiben dürfen, gefördert werden.
Das bisschen Klima
Das Klimaressort wandert unter Kanzler Merz weg vom Wirtschaftsministerium und wird stattdessen in Umweltministerium eingegliedert. Letztlich lässt sich Klimaschutz aber nicht losgelöst von der Transformation der Wirtschaft und Energie denken und umsetzen. Das Ministerium soll laut Koalitionsvertrag an die SPD fallen, während die CDU für Wirtschaft und Energie zuständig ist.
Im Koalitionsvertrag taucht der Punkt Klima trotzdem im Kapitel Wirtschaft auf. Schwarz-Rot bekennt sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens und plant einen breiten Ausbau von Solar- und Windenergie sowie Biogasanlagen. Gleichzeitig sollen auch neue Gaskraftwerke gebaut werden. Den Kohleausstieg wollen die Koalitionäre bis 2038 umsetzen – die Ampel wollte das idealerweise bis 2030 schaffen. Als wichtigstes Instrument nennt Schwarz-Rot den CO2-Zertifikate-Handel. Ein großer Sprung in Sachen Klimaschutz ist von der neuen Koalition kaum zu erwarten. Vielmehr wirken die Ziele weniger ambitioniert als bei der Ampel.
Gesundheitspolitik: Große Schritte zur Entlastung?
Das Primärarztsystem soll kommen. So wollen die Koalitionäre für Entlastungen bei Fachärzten sorgen – und damit womöglich Wartezeiten auf Termine reduzieren. Vermitteln sollen nicht nur Hausärzte, sondern auch die Hotline 116-117 von der Kassenärztlichen Vereinigung. Augenmerk will Schwarz-Rot aber nicht nur auf die Versorgung von Kranken legen, sondern auch auf Präventionsmaßnahmen. Die Krankenhausreform der Ampel-Regierung soll weiterentwickelt werden. Finanziert werden soll die Transformation der Krankenhauslandschaft in Teilen aus dem Sondervermögen Infrastruktur.
Geplant ist außerdem eine große Pflegereform. Eine Kommission soll dahingehend noch in diesem Jahr Ergebnisse vorlegen, wo Pflege und Pflegeversicherung optimiert werden können. Ein dickes Brett, das, mit Blick auf die steigenden Abgaben für die Sozialversicherungen, gebohrt werden muss. Karl Lauterbach wird das Ministerium sicher nicht weiter begleiten, das Gesundheitsressort wandert laut Vertrag an die CDU.